Von Hendrik Jung. Fotos Kai Pelka.
Trockenheit, Tierwohl und Territorien sind Themen, die die Landwirtschaft auch in Wiesbaden besonders umtreiben. Verantwortungsvolle Bauern setzen hier auf neue Techniken wie auf bewährte Methoden, auf Handarbeit wie auf Roboter.
Die jüngste landwirtschaftliche Revolution beginnt derzeit unter anderem im Wiesbadener Osten. Auf den Feldern des Nordenstadter Scholzenhofs ist in diesem Frühjahr erstmals ein Roboter im Einsatz gewesen. Farmdroid heißt das Modell, das von Solarmodulen angetrieben wird und mit Hilfe des Global Positioning Systems (GPS) genau weiß, an welcher Stelle der Ackerfläche es das Saatgut für die Zuckerrüben ausgebracht hat. Auf diese Weise ist die aus Dänemark stammende, autonom arbeitende Maschine nicht darauf angewiesen, mit einem bildgebenden Verfahren zu erkennen, ob es sich bei den ersten zarten Trieben auf dem Feld um die Rübe oder ein Beikraut handelt. Es „weiß“ einfach, an welchen Stellen sie das Wachstum nicht erwünschter Pflanzen mit dünnen Drähten unterbinden soll.
„Als ich das im November 2019 auf der Agritechnica in Hannover gesehen habe, habe ich mir gedacht: Das ist genau das, auf das ich seit Jahren warte“, blickt Ditmar Kranz zurück. Ganz so wie erhofft, ist es dann aber nicht gelaufen. Schuld daran war das trockene Frühjahr. Es hat dazu geführt, dass zunächst nur ein kleiner Teil des Saatguts aufgegangen ist und sich auf den Feldern des Bioland-Betriebs große Erdschollen gebildet haben.
Den Biobauern plagte die Sorge, dass die wenigen Rüben, die sich entwickelt haben, beim automatisierten Arbeiten von den Erdschollen verschoben werden und sich in der Folge nicht mehr an der gespeicherten Position befinden würden. Um nicht zu riskieren, dass sie als Konsequenz daraus bei der Bearbeitung des Felds verletzt werden, entschied er sich dazu, den Farmdroid pausieren zu lassen. Die Pause sei dann jedoch zu lang gewesen, als dass die Beikräuter noch mit den dünnen Drähten hätten klein gehalten werden können.
Bahnbrechendes Prinzip
„Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass es ein bahnbrechendes Prinzip ist. Wir haben viele Erfahrungen gesammelt und das hat immer mit Schmerzen zu tun“, betont Kranz. Um zu den 22 Landwirten zu gehören, die deutschlandweit in diesem Jahr die Arbeit mit dem Farmdroid aufgenommen haben, hat er einen Kaufpreis in Höhe eines Mittelklassewagens gezahlt, ohne dass es in Hessen bereits eine Förderung dafür gegeben hätte. Doch für den Scholzenhof sei es ein Schritt in die Unabhängigkeit. Schließlich sei es gerade in diesem Jahr schwierig gewesen, Saisonarbeitskräfte zu finden und der Einsatz der Maschine habe im Frühjahr Arbeitsgänge bei den Zuckerrüben eingespart, so dass den Menschen mehr Zeit für die Erdbeeren geblieben sei. Sehr gute Erfahrungen habe man in den vergangenen drei Jahren auch mit dem Einsatz eines mobilen Hühnerstalls gesammelt, so dass man gerade die Anschaffung eines zweiten Modells plane.
Agroforst mit Naturefund – abgeschaut bei indigenen Völkern
Außerdem will der Scholzenhof ein Agroforst-Projekt mit dem in Wiesbaden ansässigen Naturefund starten. Bereits seit drei Jahren führt die weltweit tätige Naturschutzorganisation eine solche Mischung aus dem Anbau von Bäumen und landwirtschaftlichen Kulturen auf Hof Erbenheim durch. In diesem Fall handelt es sich um ein sogenanntes dynamisches Agroforst-System, das man sich bei Naturefund von den indigenen Völkern Südamerikas abgeschaut hat. Das Prinzip besteht darin, auf kleiner Fläche eine hohe Pflanzendichte sowie eine große Vielfalt zu schaffen und durch das Abdecken des Bodens mit dem Grünschnitt die Verdunstung von Feuchtigkeit zu reduzieren. „2017 haben wir die erste Parzelle angelegt, und die Bäume sind gut gediehen für drei Jahre Trockenheit“, findet Naturefund-Geschäftsführerin Katja Wiese.
Biodiversität für den Boden
Hof Erbenheim-Landwirt Ralf Schaab ist sich sicher, dass die große Biodiversität des Projekts gut für das Bodenleben ist. Um die Fläche aber nicht ganz aus der Bewirtschaftung zu nehmen, baut er in den Zeilen dazwischen Kürbisse an. Der Umgang mit landwirtschaftlichen Flächen treibt ihn derzeit in großem Umfang bei der geplanten städtebaulichen Entwicklung des Ostfelds um. „Eine Wertreduzierung auf drei bis zwölf Euro pro Quadratmeter stellt eine Form der Enteignung dar“, zeigt Schaab sich nicht einverstanden mit der geplanten Entschädigung der Grundstückseigner. Vor allem aber sieht er außer beim vorgesehenen Neubau für das Bundeskriminalamt nicht den von der Stadtpolitik proklamierten Bedarf an Wohn- und Gewerbeflächen. „Warum macht man nicht ein Moratorium und wartet ab, welche Effekte durch die Corona-Krise entstehen?“, fragt sich der Erbenheimer Bauer.
Ostfeld und die Probleme des Mittelalters
Schließlich handelt es sich im Ostfeld um Böden, die eine gute landwirtschaftliche Qualität haben. „Das ist seit dem Mittelalter ein Problem. Je besser der Boden ist, je einfacher ist es, eine Stadt zu errichten“, erläutert Christian Born. Der Erbenheimer ist mindestens in fünfter Generation Landwirt und hat mit der Entschädigung kein Problem, da seine Familie in der betroffenen Region hauptsächlich gepachtete Flächen bewirtschaftet. „Aber es ist nicht möglich, in dieser Größenordnung an Land zu kommen. Das ist für uns ein weiterer Grund, auf neue Kulturen zu gehen, um eventuell auf geringerer Fläche mehr Wertschöpfung zu erzielen“, ergänzt der 32-jährige. Schließlich würde der Betrieb im Ostfeld mehr als ein Fünftel der insgesamt bewirtschafteten Fläche verlieren. Etwas mehr als die Felder, die man derzeit mit Sojabohnen bepflanzt.
Sojabohnen ohne Gentechnik – und Kichererbsen in der Pipeline
„2012 haben wir den ersten Probeanbau gemacht und uns gesagt, versuchen wir mal, ob es in unseren Anbau passt“, berichtet Vater Adolf Born. Tatsächlich passt die Kultur gut, denn im Gegensatz etwa zu Weizen, Roggen und Gerste werden die Sojabohnen nicht im Hochsommer, sondern erst im Spätsommer geerntet. „Das entzerrt unsere Arbeitszeitspitzen“, verdeutlicht Christian Born. Außerdem brauche die Pflanze keinen Stickstoffdünger und bislang gebe es in der Region keine bekannten Krankheiten oder Schädlinge. Dass die Pflanzen aufgrund fehlender Niederschläge in der Blütezeit heuer sehr kleinwüchsig sind, sei angesichts so vieler Vorteile bislang kein Grund, den Anbau wieder einzustellen. Sehr zufrieden sei man in diesem Jahr mit dem Probeanbau von Süßkartoffeln im eigenen Garten, im kommenden Jahr wolle man erste Erfahrungen mit Kichererbsen sammeln.
Schweine im Wohlfühlstall
Die gentechnikfreien Sojabohnen der Familie Born finden unter anderem bei Michael Dörr einen Abnehmer. Er füttert damit seine Schweine, für die er gerade einen Stall errichtet hat, den er als Wohlfühlstall bezeichnet. Moment sind es zwanzig von insgesamt 45 Tieren, die bereits von den Vorteilen profitieren. Dazu gehört zunächst einmal der zur Verfügung stehende Platz, der insgesamt 130 Quadratmeter beträgt.
„Maximal sollen da 55 Tiere rein“, erläutert Michael Dörr seine Pläne. Das entspräche 2,36 Quadratmeter pro Schwein. Der gesetzliche Mindeststand sieht dagegen für Mastschweine von bis zu 110 Kilogramm Gewicht lediglich 0,75 Quadratmeter Raum vor. Zu den weiteren Vorzügen, die der Wohlfühlstall aufzuweisen hat, gehört das großzügig verteilte Stroh. Einerseits diene es zur Beschäftigung, andererseits sei es gut für das Stallklima, weil es Feuchtigkeit absorbiere und Wärme reguliere. Bei Hitze werde regelmäßig Wasser durch einen Kompressor vernebelt, so dass die Verdunstung des Wassers den Stall kühle. Fressen können die Tiere wann immer sie wollen. Das nehme vor allem denjenigen Stress, die in der Hackordnung ganz unten stehen.
Schafe auf Streuobstwiesen
Sichtlich wohl fühlen sich auch die Schafe der Familie Spandl. Schließlich wissen die 32 Lämmer, die nach Geschlechtern getrennt in den Tageslichtställen der Rambacher Kippelmühle im Stroh stehen nicht, dass über kurz oder lang eine Fahrt in den Schlachthof ansteht. Zumindest für die 16 jungen Böckchen, denn in der Gebrauchszucht geht es um ihr Fleisch. Ein gutes halbes Dutzend der schönsten Mädels hingegen wird jedes Jahr aufgestallt und darf in der kommenden Saison zum Mutterschaf werden, während ein paar der bisherigen Auen geschlachtet werden. „Man muss die Herde jung halten. Vier bis fünf Jahre können die ganz gut Lämmer groß ziehen“, erläutert Nebenerwerbsschäfer Maximilian Spandl. Ein Zeitraum, den man verlängern könnte, wenn man die Muttertiere früher von ihrem Nachwuchs trennen würde, weil dieser nicht gerade sanft mit den Eutern umgehe.
„Aber Flaschenkinder sind nie so proper, selbst wenn man qualitativ hochwertigen Milchaustauscher verwendet“, erklärt Gabriele Spandl. Darüber hinaus lasse man die Jungtiere vorsichtshalber erst im zweiten Jahr decken, weil man hoffe, dass sie dann eine leichtere Geburt haben. Seit August ist Schafbock Hulk bei den vierzig Muttertieren auf der Weide im Rambacher Flachsland. „In diesem Jahr ist der Bewuchs extrem mager. Wir müssen den Pferch alle zwei bis drei Tage umstecken und große Flächen bilden“, verdeutlicht Gabriele Spandl. Im Spätherbst kommen die Schafe dann auf die Streuobstwiesen. Ein Gewinn für beide Seiten, denn die Tiere dürfen die Äpfel fressen, die niemand geholt hat und sorgen für Landschaftspflege in einem besonders wertvollen Lebensraum.
Domäne im Umbruch
Verändern wird sich die Tierhaltung in Zukunft auf der Domäne Mechtildshausen. Das hat weniger damit zu tun, dass nach einem Salmonellenbefall in der Geflügelhaltung des Bioland-Betriebs der Bereich der Masthähnchen von dem der Legehennen mit einer Schleuse getrennt wird. Vor allem dürfte die Zahl der Milchkühe und Mastrinder angepasst werden. „Das erfolgt in Absprache mit unserem landwirtschaftlichen Leiter und Fachberatern von Bioland“, erläutert Werner Backes, Geschäftsführer der Wiesbadener Jugendwerkstatt (WJW), die die Domäne als Ausbildungsbetrieb nutzt. Da die Kreislaufwirtschaft eines der sieben Prinzipien des Bioland-Verbands darstellt, werden im gleichen Maße die Flächen reduziert, die bislang zur Futterproduktion verwendet worden sind.
Daraus ergibt sich eine Konzentration auf das Gelände, das unmittelbar um die Domäne herum zu finden ist, so dass die verbleibenden Rinder in Zukunft nicht mehr bis zu siebzig Kilometer auf die Weide gefahren werden müssen. Die beiden Ausbildungsberufe in der Tierpflege und der Landwirtschaft blieben jedoch ebenso erhalten, wie die Ausrichtung auf die Zertifizierung als Bioland-Betrieb, die seit mehr als 25 Jahren besteht. „Ich glaube, wir brauchen hier ein ehrliches Statement zur Nachhaltigkeit, hohen Produktstandards und zu Lebensmitteln, denen man vertrauen kann“, versichert Werner Backes.
Prosumenten frönen der Solidarischen Landwirtschaft
Keine Zertifizierung strebt man derzeit hingegen beim im Februar gegründeten Verein „Solidarische Landwirtschaft Wiesbaden“ an. Dabei verwendet man hier zur Anzucht von Feldsalat, Tomaten oder Rosenkohl samenfeste Sorten und behandelt das in der Gibb angebaute Gemüse weder mit Dünger noch mit Pestiziden oder Insektiziden. „Letztens haben wir bei einer Aktion Kartoffelkäfer mit der Hand gesammelt“, berichtet der neunjährige Maxim. Doch eine Zertifizierung braucht es nicht, weil sämtliche Erträge ohnehin unter den fast siebzig der insgesamt rund achtzig Vereinsmitglieder verteilt werden, die über einen Ernte-Anteil verfügen. „Der Anbau ist transparent für unsere Mitglieder“, erläutert Anna-Theresa Reip. Prosumenten lautet der vereinseigene Begriff für produzierende Konsumenten.
Wer sich mittwochs oder samstags seinen Teil vom Ertrag abholen möchte, zahlt dafür 55 Euro im Monat und verpflichtet sich, im gleichen Zeitraum zehn Arbeitsstunden zu leisten. Was angebaut wird, entscheidet der Arbeitskreis Pflanzen gemeinsam mit dem als Lohnarbeiter angestellten Gärtner. Denn im Gegensatz zu dem, was man gemeinhin als solidarische Landwirtschaft versteht, dient der Verein nicht dazu, einen bestehenden Betrieb zu unterstützen, sondern hat Flächen gepachtet, um selbst Gemüse anzubauen. „Das ist wie eine Art Meditation“, findet Stéphanie Skatschkow. Darüber hinaus liege es dem basisdemokratisch organisierten Verein am Herzen, gemeinnützig zu sein, weshalb im September etwa eine Aktion ausgerichtet worden ist, um die Gibb von Müll zu befreien.
Agrarpädagogik in Wiesbaden
Um Kindern die Landwirtschaft näher zu bringen, gibt es seit 18 Jahren den Kinderbauernhof. Begleitet von pädagogischem Fachpersonal, können Kinder hier nahe dem Kleinfeldchen Tiere versorgen, von Schafen über Gänse und Ponys bis hin zu Bienen, oder auch im Bauerngarten arbeiten, Brot backen oder Honig schleudern.
Seit zwei Jahren dient auch der historische Frauensteiner Hof Armada als Lernbauernhof. Hier können Kitagruppen und Schulklassen bei der Versorgung der Hoftiere helfen, zu denen in diesem Fall unter anderem Schweine, Kühe und Ziegen gehören. Die Produkte des Bauerngartens können etwa zu Marmelade oder Backwaren verarbeitet werden. Außerdem gibt es eine Holzwerkstatt sowie die Möglichkeit zu Exkursionen in Feld, Wald und Wiese.