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Der große Charme der kleinen Straßen: Was Wiesbadener Einzelhändler von Amsterdam lernen könnten

Von Dirk Fellinghauer. Fotos Paula Kijne.

„Die Innenstadt ist tot“, wird gerne geklagt. Stimmt natürlich nicht. Noch nicht zumindest. Als Lebensretter sind Kunden so sehr wie Ladeninhaber gefordert. Auf der Suche nach Ideen können Blicke über den Tellerrand der eigenen Stadt hinaus sehr inspirierend sein – Blicke nach Amsterdam oder New York zum Beispiel.

Immer wieder höre ich, vor allem von Besuchern unserer Stadt, vom besonderen Charme der vielen kleinen, inhabergeführten Geschäfte in Wiesbaden, die es in dieser Vielfalt in anderen Städten kaum noch gebe. In krasser Diskrepanz zu diesen Schwärmereien sehe und höre ich, ganz besonders in den „Nebenstraßen“ des Einkaufsziels Innenstadt, Einzelhändler mit langen Gesichtern und im chronischen Klagezustand: keine Kunden, miese Umsätze, alles Sch…

Wie kommt das?

Es scheint, dass vor allem die Wiesbadener selbst – wie so oft – von ihrem Glück nichts oder zu wenig wissen und lieber, wenn nicht direkt im Internet, auf den Hauptachsen der Fußgängerzone shoppen. Nun kann man ihnen vorwerfen, dass sie nicht richtig hinschauen. Man kann sich aber auch intensiver bemühen, ihnen die (Einkaufs-)Augen zu öffnen, sie gezielt zu (ver)locken in Richtung der kleinen Gässchen mit dem großen Charme.

… und vor allem: gemeinsam!

Eine Idee wäre, selbstbewusst, ideenreich, originell – und vor allem: gemeinsam! – in die Offensive zu gehen. Nicht ein-, zweimal im Jahr als schüchterne Randerscheinung von gesamtstädtischen Megaevents. Sondern permanent und konsequent und in Eigenregie mit eindeutiger, auch visueller Erkennbarkeit und der klaren Botschaft: Wir sind zwar nicht offensichtlich „im“ Zentrum des Geschehens, wir sind aber trotzdem das eigentlich spannende Zentrum des Geschehens.

Wenn sich die Anlieger der jeweiligen Straßen und Viertel zusammentun – übrigens Einzelhandel am besten Hand in Hand mit der ansässigen Gastronomie – und „das Schiffchen“, „die (Obere) Webergasse“, „die Nerostraße“, die sich gerade spannend neu erfindet, „den Luxemburgplatz“ und andere Ecken mit eigenem Charakter (Taunusstraße, Michelsberg, Kureck, Moritz/Oranienstraße und und und) in erfrischenden Auftritten zur Marke, zum Label, mit jeweils ganz eigenem (Einkaufs-)charakter machen, dann könnte Folgendes passieren:  Kunden verirren sich nicht dann und wann versehentlich in dem einen oder anderen dieser Läden, sondern steuern die Gebiete ganz gezielt zum ausführlichen aufmerksamen Bummel (!) an, werden selber glücklich und machen die Ladeninhaber glücklich.

Miesepetrigkeit ist ansteckend, gute Laune ebenso!

Nette Atmosphäre in den 9 Straatjes.

Für Anregungen, wie es gut funktionieren kann, lohnt sich auch bei diesem Thema der offene Blick über den Wiesbadener Tellerrand. Zum Beispiel nach Amsterdam. Dort gibt es die „9 Straatjes“ – ein schlagkräftiges sympathisches „Shoppingroute“-Marketingkonzept von neun beieinander liegenden Straßen, die voll sind von ganz besonders netten kleinen Geschäften und Cafés – übrigens inklusive Webseite und Webshop-„Verlängerung“: www.de9straatjes.nl . In meiner Lieblingsstadt New York wird die einstige „No-go-Area“ Lower East Side als attraktives Einkaufsziel vermarktet: www.les.ny. Zwei von sicher zahllosen Beispielen, was man machen kann, wie man es (richtig) machen kann.

Die guten Ideen sind oft schon da – „Copy and paste“ kann genügen

In meinem Lieblingsmagazin „Monocle“, das weltweit Trends aufspürt, habe ich gelesen, dass in Sachen Städtemarketing das Rad selten neu erfunden werden muss: Die besten Ideen sind oft schon da und ein „Copy and Paste“ kann genügen, um die eigene Stadt, das eigene Geschäftsviertel, die eigene Straße voranzubringen.

Liebe Wiesbadener Einzelhändler (und Gastronomen): Schauen Sie sich um in der Welt. Ich bin sicher, Sie finden viele Ideen, die sich auf Wiesbaden – am besten in professioneller Zusammenarbeit mit der Wiesbadener Kreativ- und Designszene oder auch den Hochschulen – übertragen lassen. Und die (ansteckende) Miesepetrigkeit in (ansteckende) gute Laune verwandeln können. Zarte Ansätze gab und gibt es ja schon, sei es das Luxemburgplatzfest, „Mitte bei Nacht“ oder das auf Initiative von jungen Kreativen wiederbelebte „Stadtfest-Straßenfest“ in der Oberen Webergasse (gibt es das eigentlich in diesem Jahr wieder?). Wer weiß – weitergedacht, könnte sich Viertel für Viertel als anziehendes Wiesbadener Einkaufsziel etablieren. Und in der Summe und Konsequenz dann wiederum Wiesbaden als Ganzes, als Summe der attraktiven Einzelhandel-Teile, insgesamt neuen Schwung bekommen.

Mehr zum Thema:

Die April-sensor-Titelgeschichte:

„Inner City Blues – Sind Innenstadt und Einzelhandel in Wiesbaden noch zu retten?“

Das Editorial zum April-sensor:

„Ist Wiesbaden in Lebensgefahr?“

„Der visionäre Rueschoppen“ wird sich am Samstag, 9. Juni, im Rahmen des Wilhelmstraßenfestes/Theatrium wird auf der „Wiesbaden-Meile“ Burgstraße mit dem Thema Innenstadt und Einzelhandel beschäftigen.