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Es ist angerichtet: Konzerte, Kino und Theater im Freien – sensor blickt hinter die Sommerfestival-Kulissen

Von Hendrik Jung. Fotos Kai Pelka.

Es duftet nach Ofengemüse und Hühnchen in dem nah am Rheinufer gelegenen ehemaligen Weingut, in dem die Büros der Rheingau Musik Festival Konzertgesellschaft mbH untergebracht sind. Bis unter das Dach wird hier auf drei Etagen intensiv gearbeitet – an der Sponsorensuche, am Programm des kommenden Jahres (2018), das zu 85 Prozent bereits feststeht, und auch schon an dem der Folgejahre und an der Entwicklung des Unternehmens.

Deshalb kümmert sich täglich eine Köchin um das leibliche Wohl der siebzehn Festangestellten. Einige Arbeitsplätze sind jedoch gerade verwaist, denn am 24. Juni beginnt der Reigen der 155 Veranstaltungen, die in diesem Sommer in Wiesbaden und dem Rheingau geplant sind. Manche Mitarbeiter sind unterwegs, um mit einem Team des Hessischen Rundfunks eine Übertragung aus dem Kloster Eberbach zu besprechen. Andere treffen sich mit Vertretern eines der Sponsoren-Unternehmen auf Schloss Johannisberg. Drei Beschäftigte des Rheingau Musik Festivals sind ausschließlich mit dem Sponsoring befasst, das etwa die Hälfte des 8,2 Millionen Euro umfassenden Budgets trägt. Die andere Hälfte wird aus Kartenverkäufen erwirtschaftet, an denen die rund 3.500 Mitglieder des Fördervereins großen Anteil haben, die über ein Vorkaufsrecht verfügen. Dimensionen, die bei der Gründung des ursprünglichen Trägervereins des Festivals vor dreißig Jahren undenkbar gewesen sind. Bei der ersten Ausgabe 1988 stand am Ende der 19 Veranstaltungen ein Verlust von mehr als 250.000 Mark. „Ich dachte, wir sind pleite. Aber es ging weiter und stetig bergauf“, blickt Intendant und Geschäftsführer Michael Herrmann zurück. Im ersten Jahr habe man sich auf Kammermusik beschränkt, dann seien die ersten Orchester dazu gekommen. In der Zwischenzeit habe man von den New Yorker Philharmonikern über Anna Netrebko bis zu Ray Charles so gut wie alle namhaften Stars zu Gast gehabt.

Klassik auf digitaler Ebene

Eine Weiterentwicklung des Festivals ist derzeit vor allem auf digitaler Ebene geplant. So arbeite man daran, dass Programmhefte künftig vor den Veranstaltungen zum Herunterladen bereitstehen. Auch über ein Angebot von Übertragungen über das Internet wird nachgedacht. Hochkarätig besetzte Klassik-Livereignisse haben ihren Preis, und der kann schon mal über 100 Euro für eine Karte liegen. Tickets für die Konzerte, bei denen über den „Sommer voller Musik“ hinweg auch rund hundert junge Leute Nebenjobs finden, sind aber auch ab 15 Euro erhältlich. Schließlich versuche man, auch ein junges Publikum an das Festival zu gewöhnen.

Dies ist auch ein Ziel bei der Reihe „Jazz im Hof“, die seit 1989 im Hof des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst ausgerichtet wird. Seit gut anderthalb Jahren gibt es ein neues Vorstandsteam im Förderverein, der seit 2011 für die Organisation des Festivals zuständig ist. Unter den insgesamt neun Konzerten, die am Pfingstsonntag mit einem Auftritt von Bill Ramsey starten, befindet sich deshalb seit vergangenem Jahr jeweils auch ein Latin-Konzert. Mit dem genreübergreifenden Mareeya Jazz Quartet gehen die Macher in diesem Jahr außerdem in eine ganz neue Richtung.

Jazz mit Dialog und Kinderbetreuung

„Wir möchten eine Mischung aus Tradition und Moderne“, erklärt Peter Bel vom vierköpfigen Vorstandsteam. Und meint Stammgäste wie der Wiesbadener Juristenband oder der Barrelhouse Jazzband, aber auch Dialogkonzerten, bei denen die Profis sich die Bühne mit dem Nachwuchs teilen. Ein Konzept, das bereits unter dem alten Vorstand installiert worden ist und ebenso weiter geführt wird wie auch das Angebot der Kinderbetreuung bei den Konzerten.

Für diese steht ein Budget von fast 80.000 Euro zur Verfügung, das neben den Kartenverkäufen und Sponsoren-Geldern sowie den Beiträgen der rund dreihundert Mitglieder auch durch die Unterstützung des Ministeriums erwirtschaftet wird. Das stellt nicht nur den Veranstaltungsort zur Verfügung und sorgt durch Mitarbeiter dafür, dass Woche für Woche die Bestuhlung aufgebaut wird, sondern fördert das Festival auch finanziell. Da der Zuwendungsbescheid aus dem Ministerium jedoch meist erst im März kommt, kann das ehrenamtliche Vorstandsteam auch dann erst verbindliche Verträge unterschreiben. Daher kann es vorkommen, dass angefragte Bands zwischenzeitlich an anderer Stelle Kontrakte abgeschlossen haben und bei der endgültigen Programmgestaltung kurzfristig improvisiert werden muss.

Ska in guter Nachbarschaft

Erfahrung im Improvisieren hat man auch bei der Veranstaltungsreihe „Sommer in der Reduit“ am Kasteler Rheinufer. „Letztes Jahr ist uns beim Riverside Stomp abends um Viertel vor zehn das Bier ausgegangen. Da haben wir bei den anderen Vereinen rund gerufen und gefragt: Wer kann helfen?“, plaudert Birgit Schütz aus dem Nähkästchen. Tatsächlich habe man sich bei einem der anderen in der Kasteler Reduit ansässigen Vereine bedienen können. Ein Zeichen für die gute Nachbarschaft, die man dort pflege. Um diese zu erhalten, wolle man nicht zu viele Veranstaltungen hier organisieren. In Kooperation zwischen dem Verein Kultur in der Reduit und dem Amt für Soziale Arbeit finden ein Kindersommerfest sowie drei Konzerte statt. Dazu kommen die Kulturtage und zwei Open-Air-Konzerte befreundeter Veranstalter. Auf dem gemeinsamen Flyer sind außerdem das Graffiti-Festival International Meeting Of Styles sowie das Mainzer Rockfield aufgeführt. Mit einem gemeinsamen Flyer hat die Geschichte des Sommers in der Reduit Anfang der 90-er Jahre auch begonnen, damals noch mit Freiluft-Konzerten unterschiedlicher Musikstile. Nach ein paar Jahren sei man sich dann aber bewusst geworden, dass man sich fokussieren müsse, weil es schwierig sei, für die verschiedenen Genres immer wieder neues Publikum anzuwerben.

Herausforderungen mit Abstand meistern

Den entscheidenden Auslöser habe dann Hermann Junglas gegeben, als er 1998 sein Wohnbau-Festival in der Reduit veranstaltet hat, bei dem es viel Ska und Reggae zu hören gab. Seitdem liegt hier der Schwerpunkt, mit dem ein Publikum aller Altersschichten angezogen wird. „Wir haben es auch immer geschafft, die Jugendlichen dazu zu bekommen, mitzuarbeiten“, freut sich Birgit Schütz. Von den knapp fünfzig Personen, die bei den Veranstaltungen des Vereins aktiv sind, seien nur die Techniker und die Sicherheitsleute extern eingekauft. In den Anfangsjahren des 2002 gegründeten Vereins habe man für die Finanzierung privates Geld vorgeschossen. Aktuell habe man am Ende eines Veranstaltungsjahres stets genug für das Folgejahr übrig. Herausforderungen gebe es dennoch jedes Jahr neue, betont Hermann Junglas. Seien es die geforderten Lärmprotokolle oder diesmal die Auflage, dass alle Stände vier Meter Abstand zu den Hauswänden haben müssen.

Äußere Bedingungen machen es auch dem Verein Bilderwerfer in seinem Jubiläumsjahr schwer. „Die Verleiher geben nicht mehr gerne DVDs heraus. Aber wenn wir von einem Server abspielen müssten, wäre das eine riesige Investition, die Leihe ist nicht ohne“, berichtet Kristin Kosemund-Meynen. Bei der zwanzigsten Ausgabe ihres kultigen Open-Air-Kinos in den Reisinger Anlagen können die Bilderwerfer aber noch mit DVDs arbeiten. Angefangen haben sie auf Initiative des 2012 verstorbenen Ronald Meynen noch mit 35-Millimeter-Filmen. Damals wollte man die bereits existierende Tradition eines kostenlosen Freiluft-Kinos an selber Stelle bewahren.

Fake News auf der Kinowiese

Auch die allabendliche Projektion eines Kurzfilms haben die Bilderwerfer von ihrem Vorgänger übernommen. In diesem Jahr steht sogar eine ganze Kurzfilm-Rolle zum Thema Fake News auf dem Programm. Außerdem wird beim Jubiläum an die erste Ausgabe des Filmfestes unter den Bilderwerfern angeknüpft. Damals ist „Trainspotting“ gezeigt worden, dessen kürzlich erschienener zweiter Teil diesmal projiziert wird. Die Entscheidungen über das Programm treffen ein halbes Dutzend Vereinsmitglieder, die sich die vorgeschlagenen Filme zum Teil gemeinsam anschauen. Während des Filmfestes sind dann mehr als doppelt so viele Ehrenamtliche aktiv, von denen manche sogar einen Monat lang jedes Wochenende aus Berlin anreisen, um bei den – sofern das Wetter mitspielt – insgesamt zwölf Vorführungen zu helfen. Etwa am eigenen Getränkestand, der neben Sponsoren, der Unterstützung durch das Kulturamt und Standgebühren dazu beiträgt, das Budget von bis zu 30.000 Euro zu erwirtschaften. Dennoch ist es den Gästen frei gestellt, sich ihre Verpflegung mit zu bringen.

Improtheater in Picknick-Atmosphäre

Das ist auch beim Wiesbadener Impro Theater Sommer so, den das weit über die Grenzen Wiesbadens hinaus bekannte Improvisationstheater für Garderobe keine Haftung in diesem Jahr zum 14. Mal ausrichtet. „Das ist eine schöne Atmosphäre, wenn die Leute mit ihren Picknick-Decken kommen und sich jeder was mitbringt“, findet Lisa Frankenbach. Gemeinsam mit Initiator Frederik Malsy gehört sie zu den Hauptorganisatoren des Festivals. Mit an die 10.000 Gästen im vergangenen Jahr stößt die Veranstaltung an der Erlebnismulde auf dem Neroberg langsam an ihre Grenzen. Vor allem an den vier Samstagen mit jeweils drei Veranstaltungen, die stets mit einer Kindershow starten, wird es sowohl mit Parkplätzen als auch mit einer guten Sicht auf die verschiedenen Impro-Formate eng. Zwei neue werden für die diesjährige Ausgabe entwickelt, die sowohl von den Mitgliedern des Ensembles Für Garderobe keine Haftung als auch ihren Gästen ehrenamtlich absolviert werden. Immerhin sind Fahrtkosten und Unterbringung für die Auswärtigen drin. Der größte Teil des Budgets von rund 50.000 Euro wird für Technik, Vermarktung, Müll-Entsorgung und Gema benötigt. Zu rund 85 Prozent werden sie über die Einnahmen erwirtschaftet. Da es keine öffentlichen Zuschüsse gebe, werde die Veranstaltung komplett auf eigenes Risiko getragen, betont Frederik Malsy.

Nicht anders geht es den drei Organisatoren der Sommerfestspiele Wiesbaden, die zum vierten Mal auf Burg Sonnenberg stattfinden und zuvor zwei Mal in der Innenstadt ausgerichtet worden waren. „Wir sind wie ein Zirkus. Als Intendant reiße ich Karten ab, mache die Toiletten und spiele auch mit“, betont Wolfgang Vielsack. Ihm sei es wichtig, dass die acht Ensemble-Mitglieder nicht noch Geld mitbringen müssen, um bei den Festspielen aufzutreten. Auch hier muss ein Budget von mehr als 50.000 Euro erwirtschaftet werden, obwohl gut dreißig Ehrenamtliche sich bei den insgesamt 21 Veranstaltungen verdient machen. Neben den beiden Eigenproduktionen „Pinocchio“ und „Die Drei von der Tankstelle“ steht in diesem Jahr auch das Sherlock-Holmes-Live-Hörspiel „Der Hund der Baskervilles“ und zum zweiten Mal ein Open Air Poetry-Slam auf dem Programm. „Das war eine ganz spannende Mischung. Da war das Publikum zur Hälfte aus dem Schlachthof und zur Hälfte aus dem Staatstheater“, erinnert sich Susanne Müller an die Premiere. Für die Zukunft hat ihr Ehemann große Ziele.

Sommerfestspiele zur Marke mit Strahlkraft machen

„Wir wollen mit den Sommerfestspielen so bekannt werden, wie das Rheingau Musik Festival oder die Burgfestspiele von Bad Vilbel“, gibt Wolfgang Vielsack ehrgeizige Ziele aus. Durch die Kooperation mit dem Kulturfonds Frankfurt RheinMain sei man bereits auf einem guten Weg. Ganz am Anfang stehen dagegen die Kulturtreibenden, die in ihrer Hoffnung nicht aufgeben, dass es in Wiesbaden im kommenden Jahr eine Nachfolge für das Folklore-Festival geben könnte. In der Kooperationsvereinbarung zwischen SPD, CDU und Bündnis90/Die Grünen ist ein solches Festival vorgesehen. Damit es aber bereits im kommenden Jahr stattfinden könnte, wäre noch vor den Ende des Jahres geführten Haushaltsverhandlungen ein Signal nötig, dass der von den Initiatoren kalkulierte, benötigte Zuschuss in Höhe von 185.000 Euro zur Verfügung steht. Die Vision für ein neues Festival wird erstmals öffentlich am 3. September vorstellt – bei „Der visionäre Frühschoppen im Exil“, dann in der Skatehalle der Kreativfabrik.

Wiesbadener Sommer-Festivals im Überblick

Sommer in der Reduit: 21. Mai bis 15. September, www.kujakk.de

Jazz im Hof*: 4. Juni bis 30. Juli, www.jazz-im-hof.de

Rheingau Musik Festival: 24. Juni bis 2. September, www.rheingau-musik-festival.de

Sommerfestspiele Wiesbaden*: 25. Juni bis 16. Juli (Preview am 17. Juni ab 20 Uhr im ehemaligen Speisesaal des Palast Hotel am Kranzplatz – Der Eintritt ist frei, allerdings – die Plätze sind begrenzt – nur mit vorheriger Anmeldung unter office@kuenstlerhaus43.de ), www.sommerfestspiele-wiesbaden.de

Open Air Filmfest: 29. Juni bis 22. Juli, www.bilderwerfer.de

14. Wiesbadener Improtheater Sommer*: 30. Juni bis 22. Juli (Kick-Off-Sommerparty am 1. Juni im Wohnzimmer, Schwalbacher Straße), www.fgkh.de/improsommer

Sommertheater im Nerotal: „Gefährliche Liebschaften“: 23. August bis 3. September, www.sommertheaterimnerotal.de

*sensor ist Medienpartner. Beim Rheingau Musik Festival präsentiert sensor das Konzert-Highlight Francesco Tristano am 21. Juli im Schlachthof als Medienpartner