Von Hendrik Jung. Fotos Tim Dechent.
Mit frischem Schwung in das neue Jahr starten, wer will das nicht? Vielleicht klappt´s besser, wenn man sich abseits ausgetretener Fitnesspfade auf den Weg zur Form des Lebens macht
Auf dem Boden liegen Betonkugeln in verschiedenen Größen, von der Decke hängen Ringe, und an der Wand lehnen ein paar Ruderbänke. Wie ein Fitness-Studio im Vintage-Style wirkt die sogenannte Box, in der Stephen Glover seine Crossfit-Schmiede eingerichtet hat. Spartanisch, aber wirkungsvoll. Schauplatz: Rollkontor, hinter dem Hauptbahnhof – ein Ort, an den sich bisher selten jemand hin verirrte und der doch seit einiger Zeit vermehrt gezielt angesteuert wird. Der Trendsport aus den USA, bekannt als „härtestes Workout der Welt“ oder „Extrem-Zirkeltraining“, ist in Wiesbaden angekommen.
Zum Outfit gehörten im Dezember auch mollige Mützen und warme Westen. „Die Heizung ist bestellt“, erklärt Stephen lachend beim Blick auf die Frauen und Männer, die eigentlich ins Schwitzen geraten sollten. Dem Amerikaner, den es wegen des Jobs seiner Verlobten aus Colorado nach Wiesbaden zog, wird es selbst langsam zu kalt an seinem Arbeitsplatz. Auf einem Whiteboard hat er das Workout des Tages notiert: Bankdrücken, Liegestützen im Handstand und Arbeit mit der Kugelhantel. Zum Aufwärmen: Rudern, Liegestützen und Kniebeugen. „Wir machen jeden Tag etwas anderes, damit kein Gewöhnungseffekt eintritt“, erläutert der 35-jährige. Wer ins Training einsteigen will, wird drei Wochen lang an je drei Abenden für anderthalb Stunden mit den wichtigsten Anweisungen, Bewegungen und der korrekten Ausführung vertraut gemacht „So müssen die Trainer später nur noch Details korrigieren.“
Ziel ist es, die Teilnehmer in die Form ihres Lebens zu bringen. „Bevor ich Crossfit kennen gelernt habe, bin ich fünfmal die Woche ins Fitness-Studio gegangen, bin Mountainbike und Kajak gefahren und dachte, ich wäre fit. Aber dann habe ich nach wenigen Minuten platt auf dem Boden gelegen“, betont Stephen. Dass Crossfit dennoch Spaß macht, davon können sich Gäste auch beim „Strong Man/Strong Woman-Contest“ am10. Januar ab 17 Uhr überzeugen.
15 Frauen und ein Mann im Pool
Ein Kontrastprogramm bietet sich jeden Samstag um 11 Uhr im Hallenbad in Kostheim, wo Bikinis die warmen Westen ersetzen. Bei einer Lufttemperatur von 31,2 Grad lässt es sich ganz entspannt auf den Schnee vor den Fensterscheiben blicken. Auch wenn Latino-Rhythmen den Raum erfüllen: Urlaubsstimmung kommt bei den 15 Frauen und einem Mann im Poolbecken dennoch nicht so richtig auf. Sie müssen im hüfttiefen Wasser nach machen, was ihnen Frederike Eicher am Beckenrand vortanzt. „Normales Zumba ist gut für das Herz-Kreislauf-System. Aqua-Zumba dient eher dem Muskelaufbau und ist gut für die Gelenke“, erläutert die Instruktorin. Gegen den Wasserwiderstand wird mal auf der Stelle gejoggt, ist die Hüfte ständig in Bewegung wird aber auch mal nach Herzenslust um sich gespritzt. Von der Vortänzerin ist während der ganzen Dreiviertelstunde nur ein einziges Wort zu hören: „Schneller!“ Dennoch steigen am Ende alle bestens gelaunt aus dem Becken. „Das ist ein guter Start in den Tag und absolut kein reiner Frauensport“, findet der 26-jährige Quotenmann Christian Grünewald. „Die Übungen, die ich im Wasser mache, könnte ich an Land gar nicht mehr machen“, fügt die 76-jährige Anne-Lore Semprich hinzu.
Nervenkitzel an der Kletterwand
Wieder eine andere Dimension bietet sich jeden ersten Freitagabend im Monat in der Nordwand Wiesbaden. Dann steht in der Indoor-Kletterhalle das sogenannte Lightclimbing auf dem Programm. Dabei wird ein Bereich des 2.500 Quadratmeter großen Raums in buntes Licht getaucht. Außerdem gibt es ein spezielles Angebot: Etwa, dass man in der Riesenschaukel auf 12 Metern Höhe durch dichten Nebel und Blitzlichtgewitter aus dem Stroboskop schießt. An diesem Abend jedoch bleiben die Lichter ganz aus. Geklettert wird ausschließlich im Schein der Stirnlampen. „Es ist nicht so abwegig, dass man irgendwann mal nachts in den Bergen klettern will. Dafür ist das eine realistische Trainingssituation“, erläutert Geschäftsführer Dennis Oberwalder. Auch im kommenden Jahr soll es Überraschungen für die Gäste geben. Nicht nur beim Lightclimbing: Am 19. Januar ist bei der Crazy-Look-Pokernacht einmal Nervenkitzel ganz anderer Art gefragt.
Weniger spielerisch geht es im Krav Maga-Training zu. „Defend yourself“ lautet hier das Motto. „Wir nutzen natürliche Reflexe und instinktive Bewegungen“, erklärt Instruktor Andreas Burkert die Besonderheit dieser Selbstverteidigung: „Wenn Dich jemand würgt, wirst Du ganz automatisch nach seinen Armen greifen.“ Allerdings bringe es wenig, diese nach unten ziehen zu wollen. Um sich zu befreien, müsse man die Hände des Gegners nach außen ziehen und dabei gleichzeitig „den Türöffner drücken“. Das gelingt, indem man einen Tritt dorthin setzt, wo es besonders weh tut. Mehrmals demonstriert er die Bewegungsabläufe, dann ist es an den etwa 30 Schülern, sich paarweise selbst daran auszuprobieren. Einige von ihnen tragen ein Kompendium zum Schutz der Zeugungsfähigkeit.
Kampf gegen Aschenbecher
Krav Maga ist in Israel entstanden. Von dort reisen Global Instructor-Teams in die ganze Welt, um Seminare zu geben. Im Herbst hat im Schlachthof ein großer Barfight-Workshop stattgefunden. Mehr als hundert Teilnehmer haben gelernt, wie man sich auf engstem Raum gegen Angriffe mit improvisierten Waffen wie etwa einem Aschenbecher zur Wehr setzt. Für den Sommer 2013 ist in Wiesbaden ein Tages-Seminar zum Thema Combat-Fighting vorgesehen, bei dem Hemmungen abgebaut und an die Grenzen gegangen werden soll. Ab Januar wird Andreas Burkert genau zu diesem Thema auch einen neuen Kurs anbieten.
Einmal im Monat trifft man sich zum Kämpfen auch im Dojo in der Adelheidstraße. Hier allerdings wird mit zwei Stöcken von 66 Zentimetern Länge gearbeitet. Sie bestehen aus Rattan, weil dieses Holz nicht bricht, sondern nur zerfasert. „Der Stock ist eine Waffe, die mir meine Reichweite deutlich macht und mich daran erinnert, dass ich verletzlich bin. Er kann aber auch meine Geschicklichkeit und Koordination üben“, erläutert Sibylle Magel. Die Grundlagen des Stockkampfs gehen auf philippinische Kampfkünste zurück. Die Ziele, die dabei anvisiert werden, gehen der Legende nach auf die Nahtstellen der Rüstungen der spanischen Konquistadoren zurück, gegen die die Filipinos sich lange erfolgreich zur Wehr gesetzt haben: Stellen wie Schlüsselbein, Knie und Hüfte. In der Partnerarbeit wird beim Stockkampf schnell deutlich, ob man mit der nötigen Klarheit zu Werke geht. Die Variante, die Sibylle Magel unterrichtet, ist um Elemente aus dem Tanz ergänzt. „Wenn ich Durchlässigkeit trainieren will, kann ich im Tanz erst mal besser arbeiten, als mit dem Stock“, erläutert die Tanz- und Theaterpädagogin.
Ohne Mut kein Wachstum
Seit jeher bietet Yoga eine gute Möglichkeit an sich selbst zu arbeiten. Für die traditionelle Lehre werden ständig neue Formen entwickelt. Etwa das Insideflow von Inside Yoga – kürzlich eröffnet im Luisen Forum-, das auf dem Vinyasa-Yoga basiert. „Das fokussiert sich auf die Übergänge zwischen den einzelnen Haltungen“, erläutert Lehrer Hie Kim. Nach und nach entwickle sich aus den fließenden Bewegungen eine Choreografie. „Die Musik kommt erst am Ende der Stunde dazu. Oft sind die Teilnehmer dann ganz überrascht, um was für einen Titel es sich handelt“, fügt der 26-jährige hinzu. Auch bei der Verbindung von Yoga mit HipHop werde stets ernsthaft und respektvoll gearbeitet, betont er. Das gilt ohnehin für einen zweiten Kurs, den er anbietet. Beim Upside Down Yoga dreht sich vieles um Asanas im Handstand. Den könne zwar keiner der Teilnehmer. Entscheidend sei jedoch, dass man in den Partnerübungen aus der Komfortzone heraus komme. „Das braucht ein gewisses Maß an Mut. Ohne Mut kann kein Wachstum entstehen“, betont Hie Kim. Und Wachstum ist schließlich genau das, was man sich gemeinhin für ein neues Jahr erhofft.
Crossfit: Stephen Glover: 0151/50619091
Aqua-Zumba: Frederike Eicher: 0176/22229269
Nordwand Wiesbaden: 0611/98826944
Krav Maga: Andreas Burkert: 0611/2050938
Philippinischer Stockkampf: Sibylle Magel: 0611/3605043
Inside Yoga: 0611/58066278
Ein Kompendium zum Schutz der Zeugungsfähigkeit, also ein „Lehrbuch“? Wohl eher ein Suspensorium 😉