Von Dirk Fellinghauer. Fotos Stilbruch / OFB
Die Stadt will unbedingt ein Stadtmuseum an der Wilhelmstraße bauen lassen. Wenn sie nicht aufpasst, bekommt sie ein Spottmuseum. Derweil wird neben dem vom Investor vorgestellten „Jahn-Entwurf“ (Bild) nun auch ein Alternativentwurf „made in Wiesbaden“ diskutiert. Und heute findet eine Podiumsdiskussion zur Frage „Falsches Spiel ums Stadtmuseum?“ statt.
Den „Herzenswunsch der Wiesbadener“, endlich ein Stadtmuseum zu bekommen, finden die Mitglieder des unabhängigen Gestaltungsbeirats richtig klasse. Das war es dann aber auch schon fast, was ihnen an Lob zu diesem Thema über die Lippen kommt. Am Entwurf des „Stararchitekten“ Helmut Jahn für den geplanten Neubau auf der Wilhelmstraße ließen die externen Experten kaum ein gutes Haar bei ihrer mit Spannung erwarteten Sitzung im vollbesetzten Raum 22 des Rathauses.
Harsche Kritik mit angezogener Handbremse
Handwerkliche Fehler wurden ausgemacht, konzeptionelle Ungereimtheiten kritisiert, die spezifische Funktionalität als Stadtmuseum hinterfragt und an diversen Punkten – etwa dem „Hingucker“ LED-Screen und der Materialwahl – „angeregt“, den Stand der Planungen zu überdenken. „Dass wir uns so vorsichtig ausgedrückt haben, ist Ausdruck des Respekts gegenüber dem Wunsch der Stadt, ein Stadtmuseum zu bauen“, ließ Beiratsmitglied Tilman Latz in seinem Schlusswort anklingen, dass die doch schon sehr deutliche fachliche Kritik sogar mit angezogener Handbremse vorgetragen worden war.
Die Beiratsvorsitzende Professor Gesine Weinmiller hatte den Nachmittag mit dem Satz eröffnet: „Ich freue mich, dass man offen diskutieren kann“. Was selbstverständlich sein sollte, gestaltete sich im Verlauf des Zusammentreffens konträrer Welten als gar nicht so einfach. Der Geschäftsführer der Frankfurter Investorfirma OFB Projektentwicklung, Alois Rhiel, reagierte ungehalten und gereizt auf Kritik oder auch bloßes Nachfragen seitens der aus ganz Deutschland angereisten Fachleute.
Stadtmuseum von Investors Gnaden
Mit seinem Auftreten demonstrierte der frühere hessische Wirtschaftsminister, dass er sich, auch wenn er sich am Ende der Diskussion zumindest ansatzweise gesprächsbereit zeigte, eigentlich gar nichts zu sagen lassen habe: „Wir bieten der Stadt ein solches Museumsgebäude an. Sie muss eine Antwort geben, ob sie es sich leisten und so akzeptieren kann.“ Diese Aussage des Eigentümers des Filetstück-Areals auf der „Rue“ lässt sich getrost übersetzen mit „Friss oder stirb“ und ist der Tatsache geschuldet, dass die OFB das Gründstück „bedingungsfrei“ gekauft hat: Wenn, dann bekommen die Wiesbadener nun – ohne Ausschreibung oder Wettbewerb – ein Stadtmuseum von Investors Gnaden. Im Wissen darum, wer nun wem die Bedingungen diktieren kann, bezeichnete die verantwortliche Kulturdezernentin Rose-Lore Scholz die Zustimmung zum vorliegenden Angebot in einem Zeitungsinterview als „letzte Chance“.
Kulturdezernentin kämpft
Die CDU-Stadträtin kämpft vehement für das – und genau für dieses – Stadtmuseum, das sie als „Glücksfall für diese Stadt“ bezeichnet – mit etwas pflichtschuldig anmutender Unterstützung des OBs (siehe unser Interview „Noch nie so nah dran“), mit begeisterter Unterstützung ihrer Fraktion („grandioser Gewinn für Wiesbaden“, „einmalige Chance, Wiesbaden eine neue Kultur- und Architektur-Dimension zu eröffnen“) , mit zurückhaltender Unterstützung des Groß-Koalitionspartners SPD („allein die Debatte über den Entwurf positiv für das Museum und seine künftige Nutzung, schlüssiges Finanzierungskonzept und Deckungsvorschläge für Betriebskosten müssen folgen“) – und gegen wachsenden Widerstand aus der Bevölkerung, der Fachwelt und der Rathausopposition, der sowohl auf den Entwurf als auch auf die Umstände zielt.
„Zu wenig Museum für zu viel Geld“ beklagen die Grünen, wollen „kein Stadtmuseum um jeden Preis“ und befürchten wie manch andere in Folge der noch unklaren Finanzierung von Miete und Betriebskosten Kürzungen bei anderen Kulturprojekten. Die Bürgerliste mit ihrem wortgewandten Sprecher Michael von Poser moniert sich, wie „in Geheimverhandlungen“ das Grundstück „verscherbelt“ worden sei ebenso wie über das „Quasi-Gebäude“, das aussehe „wie ein Autohaus“. Widerstand regt sich auch jenseits der Parteien.
Förderverein lädt zum Runden Tisch
Der Förderverein Stadtmuseum meldete sich, nach einer persönlichen Erklärung seines Vorsitzenden Jochen Baumgartner, zu Wort, hält am Standort Wilhelmstraße fest, fordert aber den Projektentwickler auf, „die Planungen angesichts der aus der Bürgerschaft und vom Gestaltungsbeirat geäußerten Bedenken anzupassen und die Museumsleute und die relevanten gesellschaftlichen Gruppen ins Boot zu holen, da dies politischerseits bisher nicht geschehen ist.“
Die neu gegründete überparteiliche Initiative „Gemeinwohl hat Vorfahrt“ rechnet in einem offenen Brief ausführlich vor, dass sich die bisher bekannte Rechnung nicht rechnen kann und warnt: „In der breit gefächerten und keineswegs üppig ausgestatteten Landschaft Wiesbadener Kultureinrichtungen droht ein Kahlschlag von unübersehbarem Ausmaß.“ Am heutigen Donnerstag lädt die Initiative zur Podiumsdiskussion „Falsches Spiel ums Stadtmuseum?“ um 19.30 Uhr im Georg-Buch-Haus in der Wellritzstraße ein.
Perspektiven sind nun als Minimallösung ein in Aussicht gestellter direkter Dialog des Gestaltungsbeirats mit dem Architekten, dem vielleicht ein paar Nachbesserungen folgen, als Ideallösung eine wirklich offene Diskussion aller Beteiligten, Betroffenen und Interessierten. Die Initiative zu letzterem will der Förderverein Stadtmuseum gemeinsam mit der Casinogesellschaft und dem Nassauischen Verein für Altertumskunde ergreifen und kündigt die Einladung zu einem runden Tisch an. Dort könnte, neben kursierenden Alternativvorschlägen wie einer dezentralen Lösung oder der Ansiedlung im Alten Gericht, auch als ganz andere Idee der seit Jahren vorliegende, so ambitionierte wie fundierte Entwurf des international gefragten und erfahrenen Wiesbadener Büros Stilbruch auf den Tisch kommen, der als Referenz an die Historie des Standorts mit einem „Haus in Haus“-Konzept aufwartet, seitens der Stadt bisher ignoriert wurde. Vielleicht ist die Sommerpause, vor der es aller Voraussicht nach nun nicht mehr zu schwerwiegenden Beschlüssen kommen wird, genau der richtige Zeitraum, um den Stand der Dinge nochmal zu überdenken. Und die Stadt vor der drohenden Gefahr zu bewahren, ein Museum zu bauen, das am Ende nicht zum Ziel von Besuchermassen, sondern von Spott wird – in der Stadt, der es eigentlich neuen, faszinierenden und begeisternden Raum zur Identifikation bescheren soll, und über die Stadtgrenzen hinaus.
Diskutieren Sie mit, und sagen Sie uns Ihre Meinung zum „Streitthema Stadtmuseum“: hallo@sensor-wiesbaden.de oder www.facebook.com/sensor.wi
Museum ist nicht gleich Museum:
Museum Wiesbaden: Gibt es schon lange, ist „das Museum“ gegenüber von den Rhein-Main-Hallen, seit 1973 im Besitz des Landes Hessen. Zeigt Kunst und Natur. Bleibt, wo und wie es ist, auch wenn eines Tages ein Stadtmuseum eröffnet.
Stadtmuseum Wiesbaden: Soll entstehen und Stadtgeschichte zeigen. Nach Stand der Dinge in direkter Nachbarschaft zum „Museum Wiesbaden“ auf der Wilhelmstraße. Seit Jahrzehnten Diskussions- und Streitthema. Fort- und Ausgang offen.
Schaufenster Stadtmuseum: Seit Februar 2011 in den Räumen des ehemaligen Café Kühn am Eingang zur Passage hinter dem Standesamt. Dient quasi zur Überbrückung der Wartezeit auf das „echte“ Stadtmuseum und zeigt im dreimonatigen Wechsel spannende Ausstellungen. Aktuell „Die Eiserne Zeit – Wiesbaden im I. Weltkrieg“ (26.06.-28.09.)