Direkt zum Inhalt wechseln
|

Mit Erlaubnis zum Lachen: Neues Sommertheater mit Premierenstück über Flucht und Heimat

Sommertheater_3spVon Julia Anderton. Fotos Alexa Sommer / eye take your picture.

Über sieben Brücken musste Peter Maffay gehen. Nur eine einzige hat Ferdinand Havlicek zu bewältigen, und doch wird sie zum Sinnbild purer Verzweiflung: Unter ihr fließt der Grenzfluss zweier Staaten. Und da Havlicek versäumt hat, beizeiten seine Papiere zu erneuern, sitzt er als Spielball zweier Grenzer in hilfloser Ohnmacht zwischen beiden Ländern fest. Das Stück „Hin und Her“ ist bereits 83 Jahre alt. Geschrieben hat es der österreichisch-ungarische Schriftsteller Ödön von Horváth, der nach der nationalsozialistischen Machtergreifung als Persona non grata aus Deutschland ausreiste und seine Erlebnisse in dieser Posse verarbeitete.

Jan-Markus Dieckmann ist Schauspieler und Regisseur, unter anderem beim Freien Theater Wiesbaden. Die Aktualität des Stücks hat ihn erschreckt. „Dass solche Strömungen, wie sie sich in den Wahlerfolgen rechter Parteien ausdrücken, jemals wieder Fuß in Deutschland und Europa fassen können, treibt mich gelegentlich zur Verzweiflung“, sagt er: „Hass und Ausgrenzung entspringt aus einem Mangel an Verständnis und Kenntnis seiner Mitmenschen. Dem entschieden etwas entgegenzusetzen und sich klar zu positionieren, ist mir sehr wichtig. Wir dürfen nicht zulassen, dass ignorante, kurzsichtige und egomanische Menschen unsere offene und freie Gesellschaft zerstören.“

Das Premierenstück seines Sommertheaters im Nerotal stand somit schnell fest, ebenso die Umsetzung als Freiluftproduktion.  Dafür mangelte es an geeigneten Örtlichkeiten. Bis Dieckmann beim Umherstreifen die Brücken auf dem Gelände des Wiesbadener Tennis- und Hockeyclubs (WTHC) entdeckte. Der Club fand das Vorhaben spannend, und so wird seit Mai für die Premiere am 13. Juli geprobt. Das Publikum wird auf Bierbänken zu beiden Seiten des Baches in grüner Kulisse sitzen, bis zu 150 Besucher finden so Platz.

Sommertheater_02_3spEin echter Bach als Kulisse – und Herausforderung

Bei Regen werden Zelte aufgestellt, die Schauspieler nehmen Schirme in die Hand. Doch nicht nur mögliche Wassergüsse von oben bilden eine Herausforderung: „Der Bach ist auch nicht zu vernachlässigen, aber mit temporären Mitteln lassen sich die Plätschergeräusche leicht minimieren: Wir setzen jeweils kurz vor der Vorstellung zusätzliche Steine so, dass das Wasser ruhig fließen kann.“ Die Wiesbadener können sich also voll auf das Geschehen konzentrieren, das ebenso Unterhaltung wie Denkanstoß sein will. „Das alles beherrschende Thema ist der Umgang mit Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten und nun auf den Schutz und die Gastfreundschaft anderer angewiesen sind. Für Viele ist es schwer, sich in diese Menschen hineinzuversetzen, nicht wenige ergehen sich in Angst, Abwehrreaktionen und sogar Hass gegenüber anderen, die – zumeist ohne eigenes Zutun – in eine unerträgliche Situation geraten sind“, so Dieckmann.

Ernstes Thema, skurrile Figuren

Genau dies seien auch die zentralen Themen von „Hin und Her“. „Der Verlust der gelebten und gefühlten Heimat, die Abschiebung in ein fremdes Land und die Zermürbung durch teilweise unfähige Bürokraten sowie die Eitelkeit und Kurzsichtigkeit der politischen Kaste führen das Schicksal eines solchen Menschen überdeutlich vor Augen.“ Ein erhöhter Moralinspiegel ist trotzdem nicht zu befürchten – im Gegenteil: Die Komödie sorge für einen ungezwungenen Blick, der einen emotionalen Zugang ermöglicht, betont Dieckmann. „Lachen  ist gesund. Aber es kann einem auch im Halse stecken bleiben. Die Balance ist wichtig, um ein Thema an sich heranzulassen. Wenn man über etwas lachen kann – und ich meine keine Häme oder Spott -, dann geht man offener damit um, Lachen öffnet das Herz.“ In „Hin und Her“ stecke ein tiefer Ernst: „Die Komik entsteht durch die skurrilen Figuren und die Absurdität der Situation.“ Dass die deutsche Uraufführung ausgerechnet im Hessischen Staatstheater im Dezember 1965  stattfand, war für Dieckmann ein Zufall, den er als schöne Traditionslinie sieht. Für ihn selbst bedeute der Begriff der „Heimat“ keinen konkreten Ort. „Es sind die Menschen, mit denen ich durchs Leben gehe. Erst an zweiter Stelle kommt für mich der tatsächliche geografische und sprachliche Raum. Im Zuge der Arbeit an „Hin und Her“ habe ich mich mit dieser Thematik beschäftigt. Was macht Heimat für mich aus, und was wäre, wenn ich alles verlassen müsste, das ich liebe? Eine schwierige Frage, auf die ich immer noch keine abschließende Antwort gefunden habe.“

Die Premiere findet am Mittwoch, dem 13. Juli um 20 Uhr auf dem Gelände des Wiesbadener Tennis- und Hockeyclubs im Nerotal (WTHC) statt. Weitere Spieltermine sind 14., 15., 16. und 17. Juli ebenfalls 20 Uhr. Mehr Informationen gibt es auf www.freiestheaterwiesbaden.de/spielplan