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So wohnt Wiesbaden: Ein Leben im Wohncontainer – 15 Quadratmeter Würde

Von Stefanie Pietzsch. Fotos Kai Pelka.

Was für eine Idylle! Oben am Schloss Freudenberg scheint die Welt in Ordnung: üppiges Grün, friedliche Stille und der weite Blick über das Rheintal. Auch die Bewohner am südöstlichen Ende des Schlossparks wissen diesen beschaulichen Landstrich sehr zu schätzen. Das große Glück für sie ist vor allem, dass sie wieder ein festes Dach über dem Kopf haben. Ihre Freude ist spürbar. Ihr Schicksal, dass sie zu ehemals Wohnungslosen gemacht hat, bitter.

Bunt ist sie, die Containersiedlung am Freudenberg. Gelb, blau, rot oder zartrosa – die Außenfarbe konnten sich die 14 Bewohner selbst aussuchen. Jeder von ihnen bewohnt einen eigenen: 15 Quadratmeter groß, Spüle, Herd, Bett und ein paar wenige persönliche Dinge, in der Regel auch ein Fernseher. Geduscht wird im Sanitärcontainer, geklönt beim Grillen im Garten oder Kaffee in der Hütte. Realisiert hat dieses Wohnprojekt das Diakonische Werk Wiesbaden.

„Alles was mir lieb und heilig war, war auf einmal weg“

Stefan Meißner wird dieses Jahr sein drittes Weihnachten hier sein. Vorher lebte der 56-Jährige zwei Jahre auf der Straße. Und davor: „31 Jahre habe ich ein schönes Leben gehabt.“ Zusammen mit seiner Frau und den drei Kindern wohnte der gelernte Bau- und Möbelschreiner in einer großen Altbauwohnung in Wiesbaden. Er selbst habe eine schreckliche Kindheit gehabt, geprägt vom Alkoholismus seiner Mutter und der Gewalttätigkeit seines Stiefvaters geprägt. Umso glücklicher war Stefan Meißner mit seiner eigenen Familie. Bis die Kinder erwachsen waren und seine Frau über Nacht aus der gemeinsamen Wohnung auszog. „Morgens lag noch ein Zettel auf dem Tisch ‚mein Schatz … ich liebe dich’ und am Abend war sie für immer verschwunden.“ Bis heute kennt er die Gründe nicht und hat auch keinen Kontakt. „Alles was mir lieb und heilig war, war auf einmal weg.“

Für Stefan Meißner brach damit die Welt zusammen. Versuchter Ausweg: Suizid. Nach Therapien folgte die Erwerbsunfähigkeit; die Miete war allein zu hoch, die Suche nach einer kleineren Wohnung erfolglos. Schließlich kündigte der Vermieter. Nach Zwischenstationen bei einem Freund landete Meißner auf der Straße mit einem Schlafsack und einer Tüte mit den wichtigsten Papieren und der nötigsten Kleidung. „Ich habe heute gar nichts mehr, nicht mal mehr ein Familienbild von früher.“

Stefan Meißners Container ist zartrosa gestrichen, davor stehen ein bequemer Balkonstuhl und ein Aschenbecher für die Zigarillos. Drinnen fällt das ordentlich gemachte Bett ins Auge. „Ich muss mir mal Putzzeug besorgen, damit ich mal richtig sauber machen kann.“ Sein größter Wunsch ist, wieder eine eigene Wohnung zu haben. Dennoch ist er hier oben glücklich, eine Bleibe zu haben. „Es ist grausam, einfach schrecklich, auf der Straße zu leben! Aber die Diakonie hilft einem schon sehr und greift unter die Arme.“ Vielleicht klappt es über das Programm „Betreutes Wohnen“, für das er sich angemeldet hat. „Ich gebe nicht auf; das darf man einfach nicht … man darf sich nicht aufgeben!“

„Solidarische Gesellschaft muss Platz für alle bieten!“

Die Siedlung am Freudenberg gibt es bereits seit 30 Jahren. Damals kaufte das Diakonische Werk ausgediente Wohnwagen und schaffte wohnungslosen Menschen ein sogenanntes niedrigschwelliges Angebot, das einen sicheren Wohnraum bietet. Agim Kaptelli, seit 2012 Leiter des Diakonischen Werks Wiesbaden, erklärt: „Es gibt Menschen, die aufgrund ihrer Situation lange auf der Straße gelebt haben und gar nicht mehr oder nur sehr schwer wieder einen Weg zurück finden. Sie müssen sich erst wieder an ein Leben in umbauten Raum gewöhnen, ohne große Regeln“. Als er seinen Job vor knapp drei Jahren in Wiesbaden antrat, überlegte er mit dem „Ideengeber der Wohnsiedlung“, dem damaligen Straßensozialarbeiter Volker Stapel, dass die Wohnwagen nicht mehr zeitgemäß seien. „Ich hatte das Bedürfnis, dass wir dieses Projekt weiter entwickeln, dass wir die Menschen mehr betreuen und begleiten.“

So wurden die alten Wohnwagen nach und nach gegen Container ausgetauscht, auch durch großzügige private Spender. Einer sei sogar dabei gewesen, als der Hebekran mit dem Wohnklotz anrückte. Begeistert sei er gewesen, da er unmittelbar miterleben konnte, wie die Spende eingesetzt wurde, erzählt Agim Kaptelli. Seit Februar 2017 hat die Siedlung dank Glücksspirale sogar einen Hausmeister. „Mit Armin Jung haben wir nicht nur handwerklich einen großen Gewinn gemacht, er hat auch die Gabe, sehr gut auf die Menschen, die hier leben, einzugehen.“ Armin Jung kommt eigentlich aus dem Handwerk, fast sein Leben lang hat er sich nebenbei kirchlich engagiert. „Vielleicht kommt es daher“, schmunzelt er bescheiden. Armin Jung ist jeden Tag hier, ein Vollzeitjob. Ihm geht es dabei viel um das soziale Lernen und Integrieren, das Miteinander ins Gespräch kommen – oder einfach einen Tagesrhythmus selbst gestalten. Apropos gestalten: Dass die Siedlung heute so behaglich wirkt, dafür haben einige der Bewohner selbst gesorgt. Mit geliehenen Großgeräten haben sie den Weg gepflastert, einen kleinen Kräuter- und Gemüsegarten angelegt, einen Grillplatz gebaut und die Farben auf die Container gebracht. „Man muss die kleinen Erfolge sehen, und nicht was man meint, dass es das Richtige sei,“ ergänzt Armin Jung. Es herrsche ein recht gutes nachbarschaftliches Verhältnis untereinander, erzählt er und das bestätigen auch die Bewohner.

Mit der Entwicklung des Projektes ist Agim Kaptelli sehr zufrieden: „Wir haben eine gesellschaftliche Verantwortung, uns Menschen, die aus der Gesellschaft gefallen sind zuzuwenden. Eine solidarische Gesellschaft muss Platz für alle bieten!“ Der Diakonie-Leiter erwähnt noch, dass der Bedarf sehr weit höher ist, als er abgedeckt werden kann – Tendenz leider steigend.

Spenden erbeten

Um diese und weitere Hilfen bereitstellen zu können und wohnungslosen Menschen, gerade im Winter, ein warmes und sicheres Zuhause anbieten zu können, bittet das Diakonische Werk um Spenden. Wer das Projekt unterstützen möchte, kann dies unter dem Stichwort „Containerdorf der Diakonie“ tun: Nassauische Sparkasse Wiesbaden, Kto: 100 021 676 , BLZ: 510 500 15, IBAN: DE 78 5105 0015 0100 0216 76, BIC: NASSDE55XXX