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Substanz: Fehlanzeige! Seit fast einem Jahr sitzt die AfD im Stadtparlament. Was sie da macht? Herzlich wenig

Von Falk Sinß. Illustration Jan Pieper.

Die gute Nachricht: Rechtsextreme Äußerungen von Wiesbadener AfD-Politikern sind bislang keine bekannt geworden. Und wenn doch entsprechende Äußerungen an die Öffentlichkeit gelangten, zog die AfD schnell Konsequenzen: Vom angestellten politischen Referenten Klaus-Peter Kaschke trennte man sich, gegen Parteimitglied Aleksej B. wurde ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet. Die schlechte Nachricht: Auch in Wiesbaden trägt die AfD, die nach der Kommunalwahl am 6. März 2016 mit elf Sitzen in der Stadtverordnetenversammlung vertreten ist, wenig zu drängenden kommunalen Problemen bei. Und wenn sie sich dazu äußert, dann in populistischer Art und Weise, wie ein Blick auf die bisher gestellten Anträge zeigt.

Die elfköpfige AfD-Fraktion, bestehend aus einer Dame und zehn Herren, hat bislang in der Stadtverordnetenversammlung sieben Anträge gestellt. Im „Maschinenraum“ des Parlamentes, in den elf Fachausschüssen, waren es zwei. Anträge sind das wichtigste Instrument der Stadtverordneten, um politische Initiative zu ergreifen. Sie werden gestellt, um zu einem Thema einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung herbeizuführen. „Eigene Anträge erfordern eigene Ideen auf Grundlage eines kommunalpolitischen Gesamtkonzepts sowie die Bereitschaft jedes Stadtverordneten, sich in seinem Bereich auch fachpolitisch zu engagieren“, sagt der Stadtverordnete Sebastian Rutten von der FDP. Dazu gehöre aber auch. sich in unspektakuläre aber wichtige Themen einzuarbeiten. Solange die AfD aber nur darauf aus sei, emotionale Themen vornehmlich in der öffentlichkeitswirksameren Stadtverordnetenversammlung zu behandeln, sei mit einer handwerklichen Mitarbeit nicht zu rechnen, so Rutten.

Alles noch so neu hier …

Der Fraktionsvorstand der AfD, bestehend aus Dr. Eckhard Müller, Robert Lambrou und Michael Obergfell, begründet die bislang geringe Beteiligung auf sensor-Nachfrage damit, dass man als neue Fraktion erst die Gepflogenheiten des Parlamentsbetriebs kennenlernen und zudem die Fraktionsgeschäftsstelle aufbauen musste. Aber man werde sich die nächsten vier Jahre mit sachkundiger Arbeit profilieren.

Ein wichtiges und emotional besetztes Thema ist die Sicherheit. Im Vorwort ihres Wahlprogramms zur Kommunalwahl 2016 versprach die AfD Wiesbaden, die „besten, dem Allgemeinwohl dienenden Konzepte in Gesellschaft und Staat auf der Basis von realen Gegebenheiten und nachprüfbaren Fakten” umsetzen zu wollen. Davon scheint nicht viel geblieben zu sein. In der Sitzung vom 15. Dezember 2016 stellte die AfD den Antrag „Mehr Sicherheit in Wiesbaden durch stärkere Polizeipräsenz”, in dem unter anderem die Verlängerung der Arbeitsverträge von 22 Stadtpolizisten gefordert wurde. Fraktionsgeschäftsführer Robert Lambrou begründete diesen Antrag vor den Abgeordneten und auch gegenüber sensor mit einer „dramatisch verschlechterten Sicherheitslage“ in Wiesbaden. Als Beleg dient ihm die gestiegene Zahl der ausgestellten kleinen Waffenscheine, die für eine „Verschlechterung der gefühlten Sicherheit“ spreche.

Behauptungen widersprechen den Fakten

Nur widerspricht die Behauptung der dramatisch verschlechterten Sicherheitslage den nachprüfbaren Fakten. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik gab es 2015 einen signifikanten Rückgang der Straßenkriminalität. Die Polizei Wiesbaden spricht von der niedrigsten Fallzahl seit 20 Jahren. Im Jahr 2016 ist die Straßenkriminalität nochmals zurückgegangen. Gleichzeitig war die Aufklärungsquote so hoch wie nie zuvor. Die AfD führt gegen diese Zahlen die Dunkelziffer nicht erfasster Straftaten an. Die gibt es, nur gab es diese Dunkelziffer auch in den Jahren in denen die Kriminalität nachweislich höher war. Politik auf Basis nachprüfbarer Fakten sieht anders aus.

Keinerlei Bezug zu realen Begebenheiten hatte der Antrag „Verbot der Vollverschleierung in der Verwaltung der Stadt Wiesbaden“, den die AfD am 22. September 2016 gestellt hatte. Der Antrag wurde abgelehnt, da es in der Stadtverwaltung keine Mitarbeiterinnen gibt, die vollverschleiert zur Arbeit kommen oder kommen wollen. Sebastian Rutten spricht von einem „Schaufensterantrag“, Ronny Maritzen von Bündnis 90/Die Grünen nennt ihn „überflüssig“ und Aglaja Beyes von den Linken bezeichnet den Antrag als „Scheingefecht. „Das ist ein populistischer Antrag zu einem nicht existierenden ‚Problem‘ mit untauglichen und unzulässigen Forderungen“, so Beyes. Die AfD-Fraktion des Main-Taunus-Kreises stellte am 1. September 2016 übrigens einen wörtlich fast gleichlautenden Eil-Antrag im Kreistag, der es aber erst am 31. Oktober auf die Tagesordnung schaffte. Zufall? „Unseren Antrag vom 22. September 2016 hat unseren Informationen zufolge keine AfD-Fraktion in Hessen vor uns gestellt“, antwortet der Wiesbadener-Fraktionsvorstand: „Es gibt seit der Arbeitsaufnahme bisher auch keine Absprachen zwischen der AfD Rathausfraktion Wiesbaden und anderen kommunalen hessischen AfD-Fraktionen in Hinblick auf Anträge.“

Der Fäkalien-Antrag

Ein weiteres Beispiel für das populistische Agieren der Partei gab die AfD Anfang des Jahres. In einem Schwimmbecken des Themalbads Aukammtal schwammen Fäkalien. Die AfD forderte daraufhin in drei Pressemitteilungen die „konsequente Einhaltung der Badeordnung“, eine straffere Mitarbeiterführung, den Verkauf von Schwimmwindeln für Babys, stellte auch entsetzt fest „In den Hallenbädern lässt sich immer wieder beobachten, dass Jugendliche unter ihren Badeshorts noch die Unterhose tragen. Völlig unbeanstandet.“ (O-Ton Dimitri Schulz, sportpolitischer Sprecher der AfD-rathausfraktion, Pressemitteilung 02/2017). Es folgte ein Antrag im Ausschuss für Freizeit und Sport. Seit 1. Februar werden nun testweise für ein halbes Jahr in allen Wiesbadener Bädern Schwimmwindeln verkauft. „Der riesige Aufriss im Sportausschuss war symptomatisch. Die AfD sitzt in der Betriebskommission. Mir wäre nicht bekannt, dass dort das Thema vorab platziert wurde“, sagt Ronny Maritzen. Nur ein kleiner Teil der wenigen Vorfälle in den Schwimmbädern gehe zudem auf Kleinkinder zurück: „Das Problem wird also durch Windeln weder gelöst noch die Ursachen bekämpft.“ Aber darum geht es Populisten auch nicht. Hauptsache man schafft es in die Medien. Mindestens die nächsten vier Jahre wird man solch eine Art von Politik noch öfters erleben.

AfD im Rathaus – Was das kostet!?

Wie für alle anderen Fraktionen dürfen Steuerzahler natürlich auch für die elf  Abgeordneten der AfD im Wiesbadener Rathaus bezahlen. Auch wenn es sich um ein „Ehrenamtsparlament“ handelt, erhält jeder Stadtverordnete 600 Euro Aufwandsentschädigung pro Monat (also zusammen 79.200 Euro im Jahr allein für die AfD-Abgeordneten). Zusätzlich erhalten einzelne Abgeordnete unter anderem als Präsidiumsmitglied (Wilfried Bröder) 250 Euro, als Fraktionsvorsitzende (Eckhard Müller) 500 Euro, als Ausschussvorsitzende (Eckhard Müller, Robert Lambrou) je 250 Euro, als ehrenamtliche Stadträte (Michael Goebel, Ivo Wolz) je 360 Euro pro Monat (macht zusammen nochmal 23640 Euro pro Jahr). Mitglieder in Aufsichtsräten der diversen städtischen Gesellschaften bekommen dafür 80 bis 160 Euro pro Monat plus 45 Euro Sitzungsgeld. Allein der AfD-Stadtverordnete Robert Lambrou bessert sich als Aufsichtsratsmitglied in zehn Gesellschaften seine Vergütung um 1120 Euro pro Monat auf. Außerdem ist er in der auf Steuerzahlerkosten mit Geschäftsführer, Assistentin und zwei Referentenstellen ausgestatteten Rathaus-Geschäftsstelle seiner eigenen Fraktion als AfD-Fraktionsgeschäftsführer angestellt und soll dafür ein Gehalt von 6600 Euro bekommen.

5 responses to “Substanz: Fehlanzeige! Seit fast einem Jahr sitzt die AfD im Stadtparlament. Was sie da macht? Herzlich wenig

  1. Es wurden der AfD Rathausfraktion Wiesbaden vom Stadtmagazin Sensor insgesamt elf teilweise detaillierte Fragen gestellt. Alle diese elf Fragen beantworteten wir umfassend und fristgerecht. So, wie jede andere Presseanfrage an die AfD Rathausfraktion Wiesbaden bisher ebenfalls.

    Es wäre aus unserer Sicht deutlich interessanter für die Sensor-Leser gewesen, alle elf Fragen und alle elf Antworten einfach abzudrucken. Das hätte dann allerdings einen deutlich anderen und erheblich vielschichtigeren Eindruck von der AfD Rathausfraktion ergeben.

    Noch eine generelle Anmerkung. Eine Berichterstattung über die AfD darf anscheinend in vielen Medien nach wie vor nur in die Richtung „Torte im Gesicht der AfD“ gehen. Alles andere wäre wohl zu gefährlich, denn bei einem positiven Bericht über die AfD muss sich ein Journalist stets gleich den Vorwurf gefallen lassen, er wäre ein AfD-Symphatisant.

    1. Sehr geehrter Herr Lambrou,

      ich nehme an, Sie wollen Ihre Anmerkung/Erwartung/Forderung, „alle elf Fragen und alle elf Antworten einfach abzudrucken“, als Scherz verstanden wissen.

      Falls nicht, empfehle ich Ihnen in Ihrer Funktion als (neben vielem anderen) Pressesprecher Ihrer Partei dringend, ein kleines Basisseminar Pressearbeit zu absolvieren, in dem sicher auch das kleine 1×1 des journalistischen Handwerks vermittelt würde.

      Auf die Schnelle mag auch ein Blick auf Wikipedia helfen:
      „Redigieren ist der Oberbegriff für jene journalistischen Tätigkeiten, die darauf abzielen, aus dem eingegangenen Material eine inhaltliche und formale Einheit zu gestalten. Redigieren steht für Auswählen, Bearbeiten und Präsentieren des Stoffes in der dem Medium entsprechenden Form. Mit dem Redigieren wird auf das Wesentliche reduziert, Texte werden verständlich gemacht und auf die Zielgruppe zugeschnitten.“ (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Redakteur#Redigieren)

      Im vorliegenden Fall hat unser Redakteur Falk Sinß Ihnen als einem von mehreren Gesprächspartnern einen Fragenkatalog zukommen lassen, den Sie dankenswerterweise ausführlich beantwortet haben. Insgesamt kommen in dem Beitrag vier Gesprächspartner zu Wort, hinzu kommen die Ausführungen des Autors selbst sowie Zitate aus weiteren Quellen.

      Aus dieser Fülle von Rohmaterial hat Herr Sinß nun seine Aufgabe als Redakteur entsprechend der Wikipedia-Beschreibung erfüllt.

      Eine redaktionelle Seite im sensor enthält in der Regel ca. 4.000 Zeichen. Allein die Fragen an Sie und Ihre Antworten ergeben eine Gesamtzeichenzahl von gut 27.000 – würden wir diese, wie von Ihnen verlangt, 1:1 abdrucken, würden diese also allein an die 7 sensor-Seiten beanspruchen. Nicht im Ernst Ihre Idee von Journalismus, oder?

      Ganz abgesehen von den begrenzten räumlichen Kapazitäten ist es aber selbstverständlich auch inhaltlich weder unsere Absicht noch unsere Aufgabe, die Ausführungen einer Partei, oder überhaupt irgend eines Gesprächspartners, ungekürzt, ungefiltert, unredigiert wiederzugeben.

      Fragen Sie gerne zum Beispiel mal allein unsere bisher rund fünfzig „2×5-Interview“-Gesprächspartnerinnen und –gesprächspartner (https://www.sensor-wiesbaden.de/search/2×5/), wie viel diese uns bei unseren Interviews erzählt haben und welcher Anteil des Gesagten schließlich den Weg ins Magazin gefunden hat – und dies in diesem Fall bei expliziten 1:1-Wortlaut-Interviews ohne begleitenden redaktionellen Text oder weitere Gesprächspartner oder Protagonisten.

      Ganz unabhängig von all diesen Aspekten sei Ihnen zum „Trost“ noch gesagt, dass nicht verwendete Aussagen keinesfalls überflüssig sein müssen, sondern Redakteuren auch als wertvolles Hintergrundwissen, durchaus auch über den eigentlichen Artikel hinaus, dienen können.

      Schließlich – abgesehen davon, dass ich in Falk Sinß´ Beitrag keine „Torte im Gesicht“ erkennen kann, sondern vielmehr eine fakten-, erfahrungs- und gesprächsbasierte Bestandsaufnahme: Ihre Erwartungshaltung in Richtung eines „positiven Berichts“ zeugt von einem aus meiner Sicht seltsamen und äußerst bedenklichen Verständnis von Pressefreiheit und unabhängigem Journalismus, auf das ich hier nun allerdings nicht auch noch näher eingehen möchte.

      Mit freundlichen Grüßen,
      Dirk Fellinghauer,
      Chefredakteur Sensor Wiesbaden

      1. Ich habe meinen Ausführungen in diesem Absatz weiter oben ausdrücklich den folgenden Satz vorangestellt. „Noch eine generelle Anmerkung.“

        Dann schrieb ich weiter: „Eine Berichterstattung über die AfD darf anscheinend in vielen Medien nach wie vor nur in die Richtung “Torte im Gesicht der AfD” gehen. Alles andere wäre wohl zu gefährlich, denn bei einem positiven Bericht über die AfD muss sich ein Journalist stets gleich den Vorwurf gefallen lassen, er wäre ein AfD-Symphatisant.“

        Diese Passage bezog sich also ausdrücklich nicht auf den Sensor, sondern allgemein. Und das ist auch meine allgemeine Wahrnehmung. Ich gehe seit langem möglichst jeden Abend eine halbe Stunde auf Google, gebe den Suchbegriff „AfD“ ein und schaue mir unter „News“ dann alle aktuellen Artikel über die AfD bundesweit an. Dadurch habe ich einen ganz guten Überblick, was und in welchem Zusammenhang über die AfD geschrieben wird.

        Es gibt überwiegend die klassischen „Torte-im-Gesicht“-Artikel, wie ich sie nenne und relativ selten Artikel, die eine andere Richtung einschlagen. Jetzt kann man sagen, über die AfD kann man ja nur so berichten. Das sehe ich aber anders. Und ich stelle mir die Frage, warum es nicht öfters passiert. Damit ist aber nicht gemeint, dass ich keine negative Berichterstattung über die AfD mehr wünsche. Überhaupt nicht.

        Das erkennen Sie auch daran, dass in unserem Pressespiegel auf der Internetseite der AfD Wiesbaden stets alle online gestellten Artikel rund um die AfD Wiesbaden aufgelistet sind mit Links zu den Artikeln. Auch die ganzen „Torten-im-Gesicht“-Artikel. Selbstverständlich auch der aktuelle Sensor-Artikel.

        Meine Schlußfolgerung zur allgemeinen Berichterstattung über die AfD habe ich weiter oben geschrieben. Diese muss man überhaupt nicht teilen. Aber man sollte vielleicht auch nicht gleich schreiben, dass Herr Lambrou ein seltsames und äußerst bedenkliches Verständnis von Pressefreiheit und unabhängigem Journalismus hat. Dieser Vorwurf und um einen solchen handelt es sich, trifft schlicht nicht zu.

        Wir arbeiten in Wiesbaden nicht nur mit der lokalen Presse zusammen, sondern immer wieder auch mit überregionalen Medien wie dem HR oder gar nationalen Medien wie beispielsweise dem ZDF Mittagsmagazin. In der ganzen Zusammenarbeit mit diesen Journalisten hat sich außer Ihnen noch kein anderer Kollege kritisch über die Zusammenarbeit geäußert. Im Gegenteil, die Presseaffinitiät der AfD Wiesbaden und die hohe Kooperationsbereitschaft wird immer wieder gelobt.

  2. Der Kommentar von Herrn Lambrou ist ebenfalls symptomatisch. Werden doch von der AfD die Fakten und Aussagen anderer Parteien regelmäßig verkürzt oder ganz falsch wiedergegeben.

    Zudem glaube ich kaum, dass der Sensor Autor „Angst“ davor hat als AfD-Sympathisant abgestempelt zu werden. Man geht hier genau so vor, wie es für Journalisten richtig ist: Frage stellen, ein Gesamtbild aus verschiedenen Quellen bilden und es veröffentlichen.

    Ich gehe sicher davon aus, dass den anderen Befragten für diesen Artikel auch noch andere Fragen gestellt worden und andere Antworten gegeben wurden, die, wenn sie vielleicht an der abgedruckt worden wären, ein viel schlechteres Bild der AfD abgegeben hätten.

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