Von Dirk Fellinghauer (Text und Fotos)
Reinhard Ernst hat all seine Kunstwerke mitgebracht zum Gespräch im Büro von Museumsdirektor Alexander Klar. Hunderte. Sorgsam ausgedruckt in Farbe, eine Din A-Seite pro Werk. Ein Stapel großer Werke – und Werte. Schon auf dem Papier machen die Bilder mächtig Eindruck. Man könnte sich stundenlang damit beschäftigen, ohne dass es langweilig wird. Wie großartig wäre es erst, könnte man all diese Werke im Original betrachten, an den Wänden eines auch architektonisch bedeutenden Museumsbaus? Kein Zweifel: Sehr großartig wäre das! Und: Man könnte, die Wiesbadener und ihre Besucher aus aller Welt könnten genau das. Wenn die Stadt „Ja“ sagt. „Ja“ sagt zum Angebot des Kunstsammlers, Unternehmers, Mäzens – und Wiesbadeners – Reinhard Ernst: Der 71-Jährige möchte der Stadt ein Kunstmuseum bauen und es auch selbst betreiben. 30 Millionen Euro würde er allein für den Neubau locker machen.
Die – ergebnislose – Suche nach dem Haken
„Wo ist der Haken?“, rufen reflexartig Zweifler und hören selbst von Skeptikern schnell: „Es gibt keinen!“. (Genau diese Erfahrung machte jetzt auch Eppstein, wo vor wenigen Tagen eine von Ernst´ Stiftung finanzierte Musikschule eingeweiht wurde.) Rund 600 bedeutende Werke abstrakter Nachkriegskunst aus Europa, USA, Fernost (und insbesondere aus seinem Faibleland Japan) nennt Herr Ernst sein eigen. „Sie gehören nicht alle mir persönlich, sondern auch meiner Stiftung und meiner Holding“, präzisiert er. Seine Stiftung, das ist die nach ihm selbst und seiner Ehefrau benannte Reinhard & Sonja Ernst Stiftung, deren Zweck „Förderung von Kunst und Kultur, die Unterstützung und Ausbildung bedürftiger Kinder, Jugendlicher und alter Menschen weltweit sowie die Unterstützung der Entwicklungshilfe und die Förderung der Denkmalpflege“ ist. Seine Holding ist die „Interglobal Holding“, zu der auch sein „Hauptunternehmen“ Harmonic Drive gehört.
„Weltspitzensammlung am richtigen Ort“
Mindestens 400 der Kunstwerke attestiert der restlos begeisterte Dr. Klar, der nun die Sache ins Rollen gebracht hat, Museumsreife. „Das wäre eine Weltspitzensammlung am richtigen Ort“, sagt der Direktor des Museum Wiesbaden, der keine Konkurrenz fürchtet, sondern gegenseitige Befruchtung erwartet. Anstatt wie bisher zum größten Teil in Depots zu lagern, sollen die Gemälde allen zugänglich gemacht werden – in einem Museum, das der preisgekrönte japanische Architekt Fumihiko Maki – „ein Freund von mir, wenn ich ihn frage, macht er das“ – bauen soll. Sein Freund, der bereits erste erste Skizzen für ein mögliches Kunstmuseum auf der Wilhelmstraße angefertigt hat. Und der beim heute in der Frankfurter Paulskirche verliehenen „Internationalen Hochhaus Preis 2016“ mit seinem New Yorker Gebäude „Four World Trade Center“ einer von fünf internationalen Finalisten war. Und der auch schon einige Museen gebaut hat und derzeit ein neues United Nations-Gebäude in New York baut.
„Mit Kunst wird es gelingen, Leute anzuziehen“, ist Reinhard Ernst von genau der richtigen Wirkung für die Wilhelmstraße überzeugt und bei dann zwei Museen nebeneinander gebe es eine „große Chance, dass Besucher nicht nur in eines gehen.“ Den Bau eines Hotels an dieser Stelle wäre für ihn ein „Sakrileg“ und er findet, die Stadt müsse „gute Argumente haben, um das Angebot nicht anzunehmen“. Ausschließen kann er es natürlich nicht: „Wenn es nicht so kommt, kann ich es nicht ändern. Ich wäre traurig, aber überrascht.“
„Denkmal? Dummes Geschwätz! Ein Museum für die Kunst und für Wiesbaden soll es werden“
„Es ist eine Sammlung, die ein Museum braucht“, ist Museumsdirektor Klar überzeugt und bezeichnet sie als „singulär in Europa“.. Als „dummes Geschwätz“ bezeichnet der Mann, der den Bau finanzieren und, natürlich im Austausch mit der Stadt, auch kontrollieren will (Er sagt „Meine klare Maxime ist: bei allem, was ich tue, versuche ich, die Leute mitzunehmen“, aber auch „Das letzte Wort habe ich“), jegliche Vorwürfe, er wolle sich selbst ein Denkmal bauen: „Ich kann es ja nicht mit ins Grab nehmen.“ Seine Sammlung soll zwar als Dauerausstellung die Basis des Museums bilden („weil es gute Bilder sind“), dazu soll es aber Wechselausstellungen geben, und: „Ich kenne Sammler, die darauf warten, dass ein Museum entsteht. Sie könnten dort auch ihre Werke zeigen. Ich habe kein Problem, entsprechende Bilder zu bekommen“, stellt der weltweit bestens vernetzte Mann, der in einem Porträt zu seinem 70. Geburtstag in der Presse als „leidenschaftlicher Unternehmer und Wohltäter“ in allerhöchsten Tönen gelobt wurde, Abwechslung in Aussicht. „Es soll ein Museum für die Kunst werden, aber auch für die Stadt Wiesbaden“, erklärt er seine Motivation: „Ich möchte es hier machen, weil ich hier wohne, weil ich hier zuhause bin, weil es mir Spaß macht und ich der Stadt etwas geben kann.“ Museumsdirektor Klar weist bei der Gelegenheit darauf hin, dass fast alle öffentlichen Kunstsammlungen privat sind (und die entsprechende Deutschlandkarte des ZEIT-Magazins bestätigt ihn).
Sammlung wächst weiter
Kunstsammler ist Reinhard Ernst seit 1982. Mit einem Bild von Karl Otto Götz fing alles an. Zu Zeiten, als die Werke, die heute „extrem teuer“ sind, im Vergleich zu heute noch „einigermaßen erschwinglich“ waren, hat er seine Sammlung „sporadisch aufgebaut“ – und baut sie bis heute weiter aus. Die Frequenz seiner Kunstkäufe hängt von den Angeboten ab. „Ich habe weltweit Kontakte zu Galerien, die wissen, was ich sammle“, erzählt der weitgereiste Wahl-Wiesbadener. Zehn bis zwanzig Werke im Jahr erfüllen seine Kritierien – dass sie zur Sammlung passen, dass die Qualität stimmt und natürlich auch der Preis. Seine Lieblingskünstlerin ist Helen Frankenthaler.
Die Kunst, die öffentlich zugänglich gemacht werden soll, ist das eine. Das andere ist das Gebäude, in dem die Kunst gezeigt werden soll. „Er bringt den Architekten mit, aber nicht die Architektur“, betont Alexander Klar. „Nicht von der Stange, unverwechselbar“, stellt der mögliche Bauherr in Aussicht: „Da kann man nichts dagegen haben.“ Der 88-jährige Japaner baue skulptural, von innen nach außen, um die Sammlung herum, also „nicht einfach irgendeinen modernen Kasten“, aber „natürlich auch kein klassizistisches Gebäude“. Bedenken wegen des Alters der Architekten muss laut Ernst niemand haben: „Er reist munter um die Welt, hat einen 14-Stunden-Tag.“ Sowohl seine Mutter als auch sein Vater seien über 100 Jahre alt geworden, habe er ihm berichtet.
Kein Haken, aber ein kleiner Konflikt
Also offenbar kein Haken an der Sache, aber ein kleiner Konflikt: Das Angebot steht, aber nur für ein ganz bestimmtes Grundstück – und zwar für das wohl wertvollste, begehrteste, prestigeträchtigste von Wiesbaden: Wilhelmstraße 1. Und das „schwierigste“: seit Ewigkeiten Brachland, sollte dort ein Stadtmuseum-Neubau der große Coup der Stadt werden. Grandios gescheitert. Nächster Plan: 4-Sterne-Hotel. Neuester Plan: Bürgerbeteiligung. In genau diesen Prozess, der in vollem Gange ist und einige diskussionswürdige Ideen hervorgebracht hat, „platzte“ nun das Angebot mit dem Kunstmuseum. Nicht aus dem Nichts, Museumsdirektor Klar war schon im Sommer auf Werbetour bei OB und Rathaus-Fraktionsspitzen: „Der Grundtenor war positiver als erwartet“, so seine Einschätzung. Mit Verweis auf den laufenden Bürgerbeteiligungsprozess verkneifen sich die Kommunalpolitiker derzeit natürlich jeden öffentlichen Kommentar. „Eine überwiegende Mehrheit“ im Stadtparlament nennt Ernst als Voraussetzung, sein Angebot in die Tat umzusetzen. Klar, es gibt noch viele offene Fragen, etwa zur Infrastruktur, zu Parkplätzen, zur Anlieferung der Werke. Gut, dass sie jetzt gestellt werden. Und ein reizvoller Gedanke, dass als Antwort auf alle – auch unbedingt kritischen – Fragen ein Kunstmuseum auf der Wilhelmstraße 1 (ent)stehen könnte.
Alle eingebrachten Ideen zum Bürgerbeteiligungsprozess Wilhelmstraße 1 werden weiterdiskutiert in Arbeitsgruppen, die öffentlich tagen: nach der heutigen Auftaktsitzung sind weitere Termine am 23.11. und13.12., jeweils 18-21 Uhr, im Rathaus. Im Januar soll als Ergebnis eine konkrete Empfehlung an die Stadtverordnetenversammlung gegeben werden, die letztlich über das weiter Vorgehen und die tatsächliche Bebauung entscheiden wird.