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Editorial Juni-sensor: Liken Sie noch oder leben Sie schon?

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Liken Sie noch oder leben Sie schon,

liebe sensor-Leser? Nutzen Sie Facebook, wohldosiert oder überdosiert, oder gehören Sie zu der seltenen Spezies der konsequenten Facebook-Verweigerer? Dann herzlichen Glückwunsch. Ich selbst bin sehr intensiver Facebook-Nutzer. Nun habe ich den Vorteil, dass ja fast alles irgendwie auch dienstlich ist, was mich und mein Facebook-Verhalten betrifft. Ich habe also immer eine gute Ausrede, mich einzuloggen – beziehungsweise mich kaum noch auszuloggen. „Fühle deine Stadt“ – diesen Slogan unseres Stadtmagazins lebe ich zwar am allerliebsten in persönlichen Begegnungen und Gesprächen, aber auch immer wieder über Facebook. Vielleicht ahnen Sie gar nicht, wie viele sensor-Geschichten ihren Ursprung in einem Facebook-Post genommen haben.

Ich bin dankbar für diese Möglichkeit, mit ein paar Klicks so vieles zu erfahren und zu entdecken. Genauso bin ich aber auch genervt, dass inzwischen fast alle Wege zu und über Facebook führen. Wer braucht noch eine „eigene“ und „echte“, mühevoll und liebevoll gestaltete Webseite mit eigenem Charakter, wenn er alles so herrlich bequem dort loswerden kann, wo sich nun mal meistens die meisten rumtreiben? Ich habe gar nichts gegen Banalitäten, Belanglosigkeiten und Absurditäten, die via Facebook zum Besten gegeben werden. Ist ja nichts dagegen zu sagen, sich auch mal einfach nur unterhalten und zerstreuen lassen zu wollen. Das Problem ist halt, dass aus einem „mal gerade eben“ schnell ein „mal wieder ewig“ wird. Facebook frisst nicht nur Daten, sondern auch Zeit. Und die wird doch eigentlich immer knapper, oder?

Können auch Sie die Finger nicht von Facebook lassen, sind Sie in guter Gesellschaft. Wir Wiesbadener leben in der Stadt mit dem wohl „facebookigsten“ Oberbürgermeister der Republik. Er lässt seine 4.983 „Freunde“ (Stand 26. Mai 2015) teilhaben, wenn er nachts um 3 schlaflos in Berlin ist, wenn sein Helge den gemeinsamen Garten „Long Island“ fein  herausgeputzt hat oder wenn sie beide sich fein herausgeputzt haben, um gemeinsam zum Ball des Weines zu fahren (inklusive Livefoto von der Fahrt, versteht sich). Er verabschiedet  sich nach genau dokumentierten langen und harten Arbeitstagen gerne mit „Gute N8“ von seinem Volk bzw. Facebook-Gefolge, teilt und teilt mit, zettelt Diskussionen an und lässt sich in Diskussionen verwickeln – zumindest, so lange ihm der Verlauf passt. Er hat die Gratwanderschuhe feste geschnürt, und ist auch schon manchmal ausgerutscht, nicht nur bei seinem legendären privaten Schreibtischverkauf.

Außer der Frage, was die Leute auf Facebook machen, stellt sich natürlich die Frage, was Facebook mit den Leuten macht? Und mit ihren Daten und Informationen, die sie hier so unbedarft preisgeben? Schauen Sie sich dazu mal das Video „Facebook tötet die Freiheit“ an, das die Wiesbadener Grafikdesignerin Katja Sinning dieser Tage auf YouTube hochgeladen hat. Sie beschreibt ihren 7:22-Minuten-Animationsfilm, den sie als Bachelorthesis an der Hochschule RheinMain realisiert hat: so: „Facebook hält uns dumm und glücklich, denn Ahnungslose wehren sich nicht. Die harte Realität ist: Verfolgung, Ausbeutung und die langsame Ermordung unserer Privatsphäre. Erfahre, wie Facebook deine Daten ergaunert und verkauft und warum dich niemand schützt.“ Klingt reißerisch, ist doch einiges dran. Und doch ist auch Katja Sinning selbst noch „drin“.

Informieren, reflektieren – und dosieren. Vielleicht ist es das, was wir alle versuchen sollten auf und mit Facebook.

Liken Sie ruhig*. Aber leben Sie auch!

Dirk Fellinghauer – Facebook-Freund

*Haben Sie eigentlich schon die sensor-Facebook-Seite geliked? Herzlich willkommen: www.facebook.com/sensor.wi