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Wiesbadener WG-Institution in Not – Junge Bewohner bangen nach Räumungsklage der GWW um ihr Zuhause

wgammarktplatz

 

Es handelt sich nicht um irgendeine WG, sondern um „die“ Wiesbadener WG. Seit dreißig Jahren ist die „WG am Marktplatz“ ein außergewöhnlicher Ort. Die 256-Quadratmeter-Altbauwohnung ist Wohn- und Lebensraum für aktuell sieben junge Menschen, die gemeinsam – so wie in den letzten Jahren und Jahrzehnten Unzählige vor ihnen -mit viel Herzblut und Engagement eine bemerkenswerte Form des Zusammenlebens realisieren. Dieser WG droht nun das Aus. Nach einer Räumungsklage des Vermieters, der stadteigenen Wohnbaugesellschaft GWW, fürchten die Bewohner um ihr Zuhause. Die Stadt Wiesbaden riskiert den Verlust einer Institution mit Bedeutung weit über den Bewohnerkreis hinaus. Dies belegt auch die Woge der Solidarität und Hilfsbereitschaft nach dem öffentlichen Hilferuf. Die in der Verzweiflung eingerichtete „Rettet unsere WG“-facebook-Seite hat innerhalb eines Tages mehr 700 Freunde gefunden und wächst minütlich weiter.

Die Existenz dieser WG, die nicht zuletzt auch aufgrund der legendären, einmal im Jahr stattfindenden Partys mit bekannten Livebands und DJs stadtweiten Kultstatus hat und eine große „Fangemeinde“ besitzt, beruht auf einer Besonderheit.

Vereinbarung mit Stadt hält seit 1983

Im Juli 1983 wurde eine Vereinbarung mit der Stadt getroffen, diese Wohnung als gemeinnützigen „Verein zur Förderung des Wohnraumangebotes für Studenten in Wiesbaden e.V.“ zu nutzen, da bereits in den 80 er Jahren ein Wohnungsmangel für junge Menschen aktuell war. „Seitdem kümmern sich alle Bewohner um diese Wohnung, die zum Bestand der GWW gehört, werten sie auf und verleihen ihr einen besonderen Charme“, beschreiben die Bewohner ihr Selbstverständnis. Wer die Räume schon mal von innen gesehen hat, kann bestätigen, dass diese Beschreibung durchaus zutreffend ist.

Ihr eigener sorgsamer und liebevoller Umgang mit den Räumen stand und steht jedoch in keinem Verhältnis zum offenbar kaum oder nicht vorhandenen Engagement der GWW für den Zustand der Wohnung. „Die sympathischen Bewohner dieser WG sind allesamt ordentliche Studenten. Einzig der schlechte Zustand der Wohnung ist erschreckend“, schrieb unsere Autorin schon im Mai 2012 in ihrer „So wohnt Wiesbaden“-Reportage und konkretisierte: „Strom fließt durch über 100 Jahre alte Leitungen, die Fenster sind undicht, die Heizkörper alt. Und der Vermieter, die Wiesbadener Wohnungsbaugesellschaft? Der weigert sich, so berichten die Bewohner, die Wohnung zu sanieren, aus angeblichem Geldmangel. Dabei erhöht die GWW alle zwei Jahre pünktlich die Miete, die momentan 2280 € beträgt.“

„Das Leben mit Juristendeutsch schwer gemacht“

„Die für uns nicht tragbaren Mängel haben wir regelmäßig in schriftlicher Form der GWW gemeldet. Reagiert wurde gar nicht bis nüchtern“, schildern nun die WG-Bewohner, wie sie den Gang der Dinge erlebten: „Anstatt mit uns auf menschlicher Ebene zu kommunizieren, wird uns das Leben mit Juristendeutsch schwer gemacht. Als sich die Mängel häuften und für uns nicht mehr tragbar waren, wussten wir uns nicht anders zu helfen, als unseren Aussagen mit einer Mietminderung Druck zu verleihen. “ Die GWW-Reaktion darauf sei nun die Räumungsklage gewesen. „Ein rechtlichen Kampf können wir uns allein aus finanziellen Gründen nicht leisten, und appellieren daher an die Menschlichkeit“, hoffen die jungen Leute, viele von ihnen Studenten, auf eine Lösung des Konflikts.

Sie fragen: „Sind 30 Jahre kein Beweis für die erfolgreiche Arbeit eines Vereins zur Förderung des Wohnraumes für Studenten?“ und vermuten: „Andere Städte wären stolz darauf und würden es als Aushängeschild nutzen.“ Die WG erinnert an den angestrebten „Imagewechsel“ der Stadt und daran, dass sich viele Stadtpolitiker in Wahlprogrammen zu eigen macht hätten, bezahlbaren Wohnraum für junge Menschen schaffen zu wollen. „Wo bleibt die Umsetzung?“, will die WG wissen.

OB schaltet sich mit nächtlicher facebook-Botschaft ein 

In den Konflikt hat sich nun auch OB Sven Gerich eingeschaltet. Er reagierte letzte Nacht auf facebook prompt auf die Frage eines WG-Sympathisanten, was er denn zur aktuellen Situation sage. „Heute erst bei mir aufgeschlagen. Ich kümmere mich morgen darum. Immer daran denken….: es gibt zu allem immer 2 Seiten. Ich höre mit beide an! LG und gute N8“, schrieb er auf die Pinnwand und ergänzte heute früh: „Erstmal klären, was da los ist“. sensor hat den Rathaus-Chefs um ein Statement gebeten, sobald er sich ein Bild von der Sachlage gemacht hat.

GWW steht für „sichere und sozial verantwortbare Wohnraumversorgung“ 

„`In Wiesbaden Zuhause´, so lautet das Motto der GWW Wiesbadener Wohnbaugesellschaft mbH, die mit einem Bestand von etwa 14.000 Wohnungen im Stadtgebiet von Wiesbaden der größte Anbieter von Wohnraum ist“, ist in der städtischen GWW-Beschreibung zu lesen, und weiter: „Die städtische Gesellschaft verfolgt das Ziel einer sicheren und sozial verantwortbaren Wohnraumversorgung und trägt mit ihren kontinuierlichen Investitionen dazu bei, ihren Wohnungsbestand zukunftsfähig zu machen.“ Weit mehr als nur sieben junge Wiesbadener hoffen nun, dass die GWW sich auch im Konflikt um die „WG am Marktplatz“ an diesen Leitsätzen orientiert – und messen lässt. sensor wird weiter berichten.

https://www.facebook.com/wgmarktplatz

(Dirk Fellinghauer / Foto (c) „WG am Marktplatz)