„Und ja, wir haben – auch dies soll im Urlaub nicht ungewöhnlich sein – in guten Hotels übernachtet und gut gegessen“, schrieb OB Sven Gerich im Januar 2019 in seiner „Verteidigungserklärung“ zur bekannt gewordenen Andalusienreise mit dem zum Reisezeitpunkt frisch designierten, inzwischen entlassenen WVV Wiesbaden Holding-Geschäftsführer Ralph Schüler. Auch in heimischen Gefilden darf es für den Noch-Rathauschef, der sich im Mai nicht zur Wiederwahl stellen wird, gerne mal ein bisschen mehr sein. Ein Weihnachtsessen im Dezember 2017 mit seinem erklärten „Lieblingskollegen“, dem Mainzer OB Michael Ebling, sowie seinem eigenen und Eblings Ehemann, im Wiesbadener Restaurant „Villa im Tal“ schlug mit 1019,70 Euro zu Buche. Die üppige Zeche wurde, wie der Wiesbadener Kurier heute berichtete und der OB bestätigte, auf Kosten der Stadtkasse, also der Wiesbadener Steuerzahler, beglichen, ebenso zwei weitere, wenn auch vergleichsweise günstigere „Jahresabschlussessen“ in den vergangenen Jahren.
Erst neulich im städtischen Revisionsausschuss hatte Sven Gerich eine Frage der CDU-Stadtverordneten Renate Kienast nach möglicher Nutzung städtischer Kreditkarten zu privaten Anlässen abgetan mit dem Hinweis, dass er privat „einige Kreditkarten“ besitze, dienstlich aber nur über eine verfüge. Genau diese eine zückte der Rathauschef, als es in der „Villa im Tal“ daran ging, die Genüsse des Abends – darunter vier Menüs nebst zusätzlich Curry-Linsen-Salat, Ente und Schokokuchen und zahlreiche Getränke wie eine Flasche Champagner, zwei Flaschen des teuersten Rotweins von der Karte, zwei Flaschen Weißwein, Schnäpse zu 18 Euro das Glas sowie ein paar alkoholfreie Getränke -, zu bezahlen.
Mainzer OB zahlte gemeinsame Zeche privat
Wie der Wiesbadener Kurier berichtet, fanden die „Jahresabschlussessen“ der beiden OBs in den letzten Jahren wechselseitig in Wiesbaden und in Mainz statt. Während der Wiesbadener OB bei „seinen“ drei Essen stets auf Kosten der Stadtkasse einlud (1019 Euro „Villa im Tal“, 310 Euro „Hofgut Klarenthal“, 275 Euro „La Rucola“), gab Ebling gegenüber dem Wiesbadener Kurier an, „seine“ Rechnungen in Mainz jeweils „privat und nicht auf Kosten der Stadtkasse“ beglichen zu haben. Er sei davon ausgegangen, dass Gerich dies genauso handhabe.
Dieser ist, nachdem er vom Wiesbadener Kurier, mit den Sachverhalten konfrontiert wurde, inzwischen ebenfalls zu der auch von der Wiesbadener Antikorruptionsbeauftragten Inge Schupp vertretenen Einsicht gekommen, die drei Rechnungen privat hätten beglichen werden sollen. Die Rechnungsbeträge der drei Essen habe er nun an die Stadt zurücküberwiesen.
In den sozialen Medien wird die Berichterstattung heiß diskutiert, die Meinungen gehen weit auseinander. Die einen äußern sich empört über das Verhalten des Oberbürgermeisters und fragen auch, warum seinerzeit niemand im Rathaus die Kreditkartenrechnungen beanstandet habe. Andere verteidigen den Noch-OB und beschimpfen sogar den Wiesbadener Kurier für seine Berichterstattung. (Dirk Fellinghauer/Archivfoto Sebastian Stenzel)