Direkt zum Inhalt wechseln
|

2×5-Interview: Thomas Michel, Vorstandsvorsitzender „Die Wiesbaden Stiftung“, 60 Jahre, 3 Söhne

2x5sensor_michel_2014_web

Interview: Dirk Fellinghauer. Foto: Simon Hegenberg.

BERUF/UNG

Engagieren die Wiesbadener sich zu wenig für ihre Stadt?

Viele sagen, ja. Aber ich meine, man muss auch gute Rahmenbedingungen schaffen und die Leute immer darauf aufmerksam machen, dass dieser Einsatz auch Sinn und Freude macht. Dafür haben wir „Die Wiesbaden Stiftung“ gegründet. Wir haben hier in Wiesbaden zwei große „Menschenfelder“ – eine Menge reicher Leute, die Wiesbaden auch als sympathischen Ruhesitz gewählt haben, die kulturbeflissen sind, die aber häufig nicht so eine starke Identität für diese Stadt haben. Und dann haben wir noch eine ganze Menge Menschen, die am anderen Ende der Einkommensgrenze sind. Diese Schienen mehr zusammenzubringen, das war der Grundansatz für die Wiesbaden Stiftung.

Im Oktober veranstalten Sie zum ersten Mal die Wiesbadener Stiftungstage – warum?

Es gibt 74 Stiftungen in Wiesbaden. Die haben wir erst mal lokalisiert und alle angeschrieben. Da haben wir festgestellt, dass über achtzig Prozent der  74 Stiftungen gar keinen Kontakt zu irgendeiner anderen Stiftung dieser Stadt haben. Da haben wir ein Stiftungsnetzwerk ins Leben gerufen, um den Austausch von Stiftung zu Stiftung in Bewegung zu setzen. Dazu kommt der Grundgedanke, dass man  – manche suchen Geld, manche suchen verzweifelt Projekte, wo sie ihr Geld investieren können – auch Börsen schaffen kann, das ist aber noch Zukunftsmusik. Nun möchten wir all das der breiteren Öffentlichkeit einfach mal vorstellen. Wir machen eine Fachtagung und außerdem eine Messe für die allgemeine Bevölkerung.

Man muss also nicht zwangsläufig Millionär sein, um sich einzubringen?

Wir möchten, dass alle Beteiligten sich immer mehr vernetzen. Der eine kann Zeit spenden, der eine kann Geld spenden, alles ist wichtig für das Zusammenleben in unserer Stadt. Auch bei der Jugend wollen wir die Bereitschaft, etwas für die Gesellschaft zu tun, fördern. Der Bürger soll es als sinnvoll ansehen. Bürger für Bürger. Es geht einem besser, weil man einen größeren Sinn in seinem Leben sieht. Wir machen auch viele Integrationsprojekte. Viele Wiesbadener, die aus anderen Kulturkreisen kommen, möchten sich engagieren.

In welchen Feldern herrscht in Wiesbaden besonders großer Bedarf an Engagement?

Die Schere zwischen Arm und Reich stärker zusammenzubringen, ist eigentlich das größte Anliegen. Und Wiesbaden in seiner wunderbaren Substanz langfristig zu halten, das ist eine Riesenanstrengung. Wir müssen den Handel stärken, die Innenstädte in Ordnung bringen, mehr Sauberkeit in die Stadt bringen. Das klingt so elitär, aber davon profitieren alle. Manche sagen, da ist Hopfen und Malz verloren, das nehme ich nie in den Mund.

Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?

Einen Kampf muss man immer aufnehmen. Wir lassen uns auch durch Vandalismus nicht von unseren Ideen abbringen. Irgendwann lernt es auch der letzte. Man muss die Menschen fordern und fördern. Wir haben auch Projekte gemacht in Brennpunktschulen, und da habe ich festgestellt: In jedem steckt ein guter Kern. Wenn man feinfühlig Brücken baut und hilft, etwas selbst auf den Weg zu bringen, das lohnt sich. Es bringt viel mehr als das Versorgen. Es gibt auch Schicksale, aber wer einfach Geld bekommt, ohne etwas dafür zu tun, ist am Ende auch nicht glücklich und zufrieden. Genauso müssen wir auch etwas für Leute machen, die vermögend sind, damit sie für diese Stadt ein stärkeres Herz bekommen.

MENSCH

Ihre spannende Familiengeschichte begann in Venedig und führte über Jerusalem nach Wiesbaden – erzählen Sie mal!

Wir sind eine alte Venezianerfamilie, die mit den Kreuzzügen nach Jerusalem gekommen ist. Mein Urgroßvater Kalil Michel ist in Bethlehem geboren. Er hat internationale Beziehungen aufgenommen in der ganzen Welt.  In November1898 wurde die Versöhnungskirche in Jerusalem eingeweiht. Da kam der Kaiser Wilhelm und hat ihn eingeladen nach Wiesbaden. Schon ein halbes Jahr später hat er eine Firma hier gegründet und einen Laden mit orientalischen Einrichtungsgegenständen aufgebaut. Alles in Sachen Orient war damals total in. Der Kaiser hat gedacht, ich muss ein bisschen Internationalität in diese Stadt reinbringen. Ich bin nun leider der Letzte der Familie, der noch mit Teppichen rummacht. Meine Söhne sind alle auf anderen Wegen. Beruf bedeutet aber auch, dem inneren Spürsinn nachzugehen. Das ist ein entscheidender Maß stab für die Berufsfindung.

Sehnen Sie sich manchmal nach den guten alten Zeiten?

Nein! Ich freue mich jeden Morgen, wenn ich aufstehe, wieder spannende Dinge erleben zu können, genau wie ich es vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren gemacht habe. Ich bin kein Mensch, der nur in der Vergangenheit lebt. Es ist hier und heute schön.

Welche Werte sind Ihnen wichtig?

Das Thema der Zuverlässigkeit ist für mich ein Wert. Vertrauen ist natürlich ein ganz großer Wert. Man muss immer aufpassen mit Werten. Ordnung zum Beispiel. Natürlich braucht alles eine gewisse Ordnung. Aber diese Überordnung, die geht einem ja auf den Geist.

Sie kennen in Wiesbaden Gott und die Welt. Wer hat in dieser Stadt das Sagen?

Im Endeffekt hat die Politik immer das Sagen. Die Politik ist in Wiesbaden der maßgebliche Motor einer Umsetzung. Sie reden zwar immer, die Bürger zu beteiligen, aber trotzdem ist die Politik immer der erste Motor. Das sehe ich nicht unbedingt als negativ. Dafür wählen wir sie ja. Wenn sie nichts zu sagen hätten, bräuchten wir sie nicht zu wählen. Die Politik muss Entscheidungen treffen. Wenn der 25. Kompromiss genommen wird, dann wurde die Entscheidung zu spät getroffen. Wenn man alles bis zum letzten ausdiskutiert, weiß keiner mehr, um was es eigentlich geht. Abwägen, Vernunft und etwas langfristiger denken, das wäre schön.

Was ist Ihre persönliche Meinung zum Thema Stadtmuseum?

Ich würd liebend gerne ein Stadtmuseum sehen, was für mich aber ein bisschen mehr sein müsste: Zukunftswerkstatt sein, jugend- und altersgerecht. Was ich nicht gerne sehen würde, wäre eine wahnsinnig starke finanzielle Belastung für die Zukunft. Das ist jetzt wieder so ein Thema. 25.000 Jahre geeiert, und was kommt bei heraus? Da ist die Politik ängstlich in Entscheidungen. Manchmal muss man einfach mal durch. Zum vorliegenden Entwurf und Diskussionsstand will ich gar keine Meinung abgeben. Umso mehr Leute sich einmischen, umso schlechter wird es. Da möchte ich mich lieber neutral halten, aber ich würde mich natürlich über ein Stadtmuseum riesig freuen.

15.10.2014 und 16.10.2014, 1. Wiesbadener Stiftungstage, in den Räumen der Nassauischen Sparkasse, Rheinstraße 42-46, 65185 Wiesbaden

Infos zur Wiesbaden Stiftung und den Stiftungstagen:

http://www.die-wiesbaden-stiftung.de/

http://www.stiftungsnetzwerk-wiesbaden.de/