Von Dirk Fellinghauer.
Wieder einer weniger – oder: von 11 auf 9 in 5 Wochen. Die AfD-Fraktion im Wiesbadener Rathaus verliert den nächsten Kopf. Der Stadtverordnete Wilfried Bröder hat die Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung verlassen und legt sein Amt als stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher nieder. Erst vor gut einem Monat hatte der Stadtverordnete Wilfried Lüderitz die Wiesbadener AfD-Fraktion verlassen, wegen „fehlender Abgrenzung zur innerparteilichen Radikalisierung der Bundespartei“. Äußerst befremdlich erscheint, wen die Fraktionsspitze als neue stellvertretende Stadtverordnetenvorsteherin auserkoren hat – Erika Müller. Die 1943 geborene einzige Frau in der AfD-Fraktion scheut sich nicht davor, üble Beschimpfungen abzulassen, und forderte bei einem geselligen Empfang im Staatstheater, „dass junge Flüchtlingsmänner wenigstens kastriert werden, ehe sie ins Land dürfen“.
Mit Bröders Schritt reduziert sich die Stärke der Wiesbadener AfD-Fraktion auf 9 Sitze. Ihr als Strippenzieher geltender Geschäftsführer Robert Lambrou strebt laut FR-Bericht an die Spitze der Hessen-AfD. Die verbliebenen Mitglieder der Wiesbadener Fraktion reagierten „mit Staunen und großer Enttäuschung“ auf Bröders am Wochenende erfolgten und am Montag bekanntgewordenen Schritt, wie in einer nach der Fraktionssitzung in der Nacht von Montag auf Dienstag versandten Pressemitteilung gejammert wird. „Nachdem ich für mich diese Entscheidung getroffen habe, erübrigt sich jedes weitere Gespräch über diese Inhalte“, habe Bröder im Austrittsschreiben mitgeteilt und ein Gespräch mit dem Fraktionsvorstand abgelehnt. Heute habe er nun in einer E-Mail doch seine Gründe schriftlich mitgeteilt. Diese will man aber „entsprechend der Geschäftsordnung der AfD Rathausfraktion Wiesbaden“ als „Fraktionsinterna“ für sich behalten.
Viel pikanter erscheint auch, dass die verbleibende AfD-Fraktion als neue stellvertretende Stadtverordnetenvorsteherin einstimmig die Stadtverordnete Erika Müller nominiert hat. Damit soll eine Frau ein repräsentatives und verantwortungsvolles Ehrenamt der Landeshauptstadt Wiesbaden bekleiden, die durch menschenverachtende Äußerungen aufgefallen ist. Der Wiesbadener Gerhard Valentin hat im Februar dieses Jahres ein Erlebnis mit Erika Müller, das ihn fassungslos gemacht hat, aufgeschrieben. Wir veröffentlichen seine Schilderung mit Zustimmung des 1940 geborenen Autors, der auch einen viel beachteten Beitrag zum Projekt „StadtteilHistoriker“ der Wiesbaden-Stiftung (Thema „Bierstadt unterm Hakenkreuz“) verfasst hat, im Wortlaut:
„Weil Merkel das Pack ins Land gelassen hat …“
„Es gibt Dinge, die sollte man nicht für möglich halten. Da sitzt man jahrelang in der Nähe einer freundlichen älteren Dame in den Buchbinderkursen der Volkshochschule und erfreut sich an vielen wunderbaren Dingen, die man gemeinsam gestaltet. Man spricht miteinander, man spricht über gemeinsame Interessen, Musik, Literatur. Irgendwann erzähle ich ihr, dass ich Mitglied in der Wiesbadener Mozartgesellschaft bin und lade sie ein, mitzumachen und Mitglied zu werden, was sie auch tut. Alles gut. Alles gut? –
Dann treffe ich sie mit meiner Partnerin wieder, im Staatstheater. Die Mozartgesellschaft hatte eingeladen zur „Zauberflöte“. Nach der Vorstellung ein kleiner Empfang im Foyer mit Sängerinnen und Sängern und dem Dirigenten. Anregende und interessante Gespräche finden statt (…).
Die zierliche ältere Dame gesellt sich zu mir und Clara, meiner Partnerin. Freundliches Erkennen, gegenseitige Vorstellung. Und dann das: Ungefragt erzählt sie, dass sie jetzt auch Wiesbadener Stadtverordnete sei. Sie sei aus der CDU aus- und in die AfD eingetreten, „weil die Merkel die ganzen Kerle, das Pack, ins Land gelassen hat. Wenn sie vorher wenigstens alle kastriert worden wären…“ –
Sprachlosigkeit und Entsetzen beendet wunderbaren Abend
Mit Sprachlosigkeit und Entsetzen wurde der wunderbare Abend abrupt beendet. Mit einem Mal war die vorher noch dagewesene freundliche Atmosphäre zunichte gemacht. Gegenargumente und „wieso“ und „warum“ trafen auf taube Ohren.
Ich musste an mich halten, um ihr nicht laut vor allen Anwesenden ins Gesicht zu schleudern, was sie für eine arme Irre, was sie für eine verwirrte und grundgefährliche Kreatur sei. Clara hat mich weggezogen von der freundlichen, älteren Buchbinderkollegin, die die Flüchtlingsmänner am liebsten alle kastriert hätte. Schade um den eigentlich wunderbaren Mozart-Abend, aber Wegziehen reicht nicht!“
Das ist ein Skandal!
Ich werde bei der Stadtverordnetenvorsteherin Christa Gabriel dagegen Protest einlegen.
Mit Erika Müller werde ich nicht im Präsidium sitzen!
Trottel
Sehr mutig und differenziert ihre „Meinung“ in dieser Form anonym im Internet zu äußern.
Ich glaube Ihr Kommentar sagt mehr über Sie als über mich aus.
Und wenn Sie der „Meinung“ sind, dass es in Ordnung ist Flüchtlinge kastrieren zu wollen ist das zutiefst verachtenswert. Ich jedenfalls werde so etwas nicht einfach hinnehmen.
Die Stadtverordneten müssen sie ja nicht wählen! Mal klare Kante zeigen! Das wäre was. Und ein Paradebeispiel für Jugendliche, wie gelebte Demokratie Menschenfeindlichkeit verhindern kann Raum einzunehmen. Go!
Die Stadtverordneten haben sie auch nicht gewählt. Das war die AfD-Fraktion höchst selbst.
Es gehört leider zu den traurigen Erfahrungen unserer Tage, dass Menschen, mit denen man für längere Zeit fast freundschaftlich verbunden war, plötzlich Positionen vertreten, die weit jenseits von auch nur minimalem Anstand und ganz alltäglichem Recht verortet sind. Liegt es nur daran, dass manche denken, nun sei es endlich erlaubt einmal zu zeigen, dass das ganze Gerede von Menschenwürde, Respekt und Demokratie ohnehin nichts wert sei und nun die Stunde schlage, „das Volk zurück zu erobern“? Oder haben wir die bisher versteckten Signale und kleinen Anfänge übersehen? Sollte es gar so sein, dass nur die vertraute, ganz persönliche Atmosphäre das ans Tageslicht bringt, was vielfach unter der alltäglichen Freundlichkeit schlummert? Eher, so denke ich, müssen wir realistisch sehen, dass es eine unbelehrbare Minderheit gibt, die ganz gut mit den freiheitlichen Garantien unserer Demokratie lebt, und die zugleich die Basis dieses toleranten, menschenfreundlichen Zusammenlebens bewusst zu zerstören bereit ist. Überzeugen kann man diese Leute kaum, wohl aber klare Grenzen setzen und klar und deutlich, politische Ämter verweigert. Hoffentlich geschieht dies im Wiesbadener Stadtparlament. Es ist mutig und gut,, dass solche Erfahrungen wie der von G.V. an die Öffentlichkeit kommen und bekannt werden.