Von Taylan Gökalp. Fotos Samira Schulz, Erik Weiss.
Wer hat Deutungshoheit über den Tod? Wie verändert sich Abschiedskultur? Und ist der Tod Privatsache? Erkundungen mitten im Leben rund um ein Thema, das wir so gerne verdrängen. Aber warum eigentlich?
Der Weg allen Fleisches ist unabwendbar. Und doch wissen nur die wenigsten, wie sie damit umgehen sollen. Dabei kommt für jeden irgendwann der Tag, an dem er sich von dieser Welt verabschieden muss. Und in aller Regel gleich mehrmals im Leben muss man von einem geliebten Menschen für immer Abschied nehmen. Aber was bedeutet das überhaupt, Abschied nehmen? Früher war die Sache ganz einfach: Es gab eine Sargpflicht, und der Tote musste in einem Sarg auf dem Friedhof bestattet werden. Den Angehörigen blieb nichts anderes übrig, als diejenige Form des Abschieds zu praktizieren, die der Gesetzgeber für sie vorgesehen hat. Mittlerweile hat sich das Bestattungswesen geändert. Neue Bestattungsformen haben sich etabliert. Der Umgang mit Tod und Trauer erfährt einen Wandel. Vom Institutionellen zum Individuellen.
Die Urne der Instagram-Zeit
„Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde uns neuen Räumen jung entgegen senden“ – Hermann Hesses berühmtes Gedicht „Stufen“ entschärft die Angst vor dem Tod mit einem einfachen Bild: Jeder Abschied ist gleichzeitig ein Neuanfang. Genau dieses Bild greift die Wiesbadener Künstlerin Sonja Toepfer mit ihrer Idee auf: Eine gläserne Urne in Form einer Knospe. Eineinhalb Jahre lang hat sie Sterbende begleitet, Gespräche geführt, Erkenntnisse gewonnen und die Quintessenz dieses Schaffens in Form jener Urne, die nun als „Die mit Stil“ auf den Markt kommt, zusammengefasst: „Ich habe mir selbst die Frage gestellt: Wo wirke ich nach dem Tod weiter?“ Die Erkenntnis ließ nicht lange auf sich warten: „Natürlich als Knospe.“ Die Sichtbarkeit der Asche in der gläsernen Urne sei keine exhibitionistische Darstellung, vielmehr gehe es um den symbolischen Gehalt der Asche als Samen. Für die visuelle Umsetzung ihrer Idee arbeitete Toepfer mit ihrer Tochter, der Medien-Designerin Eva Franz, zusammen. Sonja Toepfer betrachtet ihre Neuentwicklung als „die Urne der Instagram-Zeit“. In sozialen Medien gehe es darum, Dinge mitzuteilen, die einem wichtig sind. Auch die Urne habe einen Mitteilungswert: „Sie teilt mit: Ich bin tot, aber ich habe keine Angst davor.“
Während ihrer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema kam Sonja Toepfer mit den unterschiedlichsten Schicksalen in Berührung. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr die Geschichte einer Frau, die im Hospiz im Sterben lag und dabei gefilmt werden wollte. Zuvor habe sie eine schmerzhafte Zeit im Krankenhaus hinter sich gehabt. Im Hospiz sei sie glücklich darüber gewesen, dass sie ihre letzten Lebenstage schmerzfrei verbringen konnte. Und jenes Glück wollte sie für die Nachwelt festhalten. „Die Frau ist wirklich glücklich gestorben. Sie lag absolut friedlich da. Das hat mich sehr sprachlos gemacht“, sagt Sonja Toepfer.
Erinnerungskultur in Zeiten der Digitalisierung
Das klassische Bild eines Bestattungsunternehmens ist nach wie vor das des Familienbetriebes. Auch das Bestattungsunternehmen Fink aus dem Wiesbadener Westend ist ein solches Familienunternehmen. Dominik Fink repräsentiert bereits die fünfte Generation und reiht sich in eine 125-jährige Firmengeschichte ein, die in diesem Jahr gefeiert wird – auch mit neuem modernen Logo und frisch gestarteter Facebook-Präsenz. Dabei war für den 32-jährigen, der vielen Wiesbadenern auch als Musiker und als einer der Betreiber des Szenetreffs „Wakker am Wallufer Platz“ bekannt sein dürfte, gar nicht von Anfang an klar, dass er eines Tages in die Fußstapfen seines Vaters Stefan Fink treten würde. „Ich habe erst mal das studiert, was mich interessiert hat, nämlich Kunstgeschichte und Curatorial Studies. Als ich 30 war und meine Ausbildung abgeschlossen hatte, stand ich an einem Scheideweg: Wie geht es für mich weiter?“ Also entschied er sich, seinem Vater zu folgen, der ihn mit offenen Armen empfangen habe.
Der Wandel im Bestattungswesen wird vor allem durch die Digitalisierung spürbar. Fotos, Videoaufnahmen und Diashows werden mittlerweile häufig auf Trauerfeiern eingesetzt, um das Leben des Verstorbenen zu würdigen. Aus Sicht von Dominik Fink eine Bereicherung für die Erinnerungskultur. „Unser Beruf hat viel mit Erinnerungen zu tun, und Speichermedien können Erinnerungen leichter speichern“, erklärt er.
Allerdings ist der Wandel im Bestattungswesen nicht nur geprägt von Digitalisierung, Individualisierung und neuen Bestattungsformen, sondern auch von einem starken Wettbewerbsdruck, der durch neue Unternehmen forciert wird. Aggressive Niedrigpreispolitik und Discount-Angebote im Internet machen den klassischen Bestattungsunternehmen das Leben schwer. Geschäftsführer Stefan Fink sieht die Billiganbieter jedoch im Nachteil gegenüber den traditionellen Dienstleistern: „Vertrauen ist unser Wettbewerbsvorteil. Als Familienbetrieb stehen wir auch mit unserem Namen dafür. Die Leute kommen zu uns ins Wohnzimmer, und das ist der Unterschied.“ Für Dominik Fink sind die Billigangebote im Internet auch gar nicht haltbar. „Die Angehörigen werden in die Irre geführt, weil sehr viele versteckte Kosten anfallen. Das ist Augenwischerei.“
Vom Musikmanager zum alternativen Bestatter
Ähnlich wie Dominik Fink entschied sich auch der Berliner Eric Wrede im Alter von 30 Jahren, von seinem bisherigen Beruf in das Bestattungswesen zu wechseln. Als er seinen alten Job als Manager bei der Plattenfirma Motor Music aufgab, wusste er zunächst noch nicht, dass er Bestatter werden will. „Ich wollte in einen Bereich, in dem ich noch wirklich etwas ändern kann. Und gleichzeitig wollte ich etwas, bei dem ich Menschen akut zur Seite stehen kann“, sagt er. Als er eines Tages zufällig ein Radiointerview mit einem der Pioniere des Bestattungswesens hörte, war es um ihn geschehen. „Plötzlich hat es Klick gemacht. Alles hat auf einmal Sinn ergeben.“
In der Folgezeit begann Eric Wredes Quereinstieg mit einem unbezahlten Praktikum in einem Bestattungsunternehmen. Eine Lektion in Demut für den ehemaligen Musikmanager, der bis dahin in einer großen Wohnung lebte und 4000 Euro im Monat verdiente. Und dennoch: Die Entscheidung, Bestatter zu werden stand keine Sekunde in Frage.
2014 hat der gebürtige Rostocker sein eigenes, alternatives Bestattungsunternehmen in Berlin gegründet, „Lebensnah“-Bestattungen. Auch ein Buch hat er geschrieben, das gerade veröffentlicht wurde: „The End – Das Buch vom Tod“. Hinter dem Buchdeckel – mit Sarg und Sanduhr – erzählt er auf knapp 200 Seiten seine Geschichte und fasst seine Gedanken zum Thema Tod und Trauer zusammen. Am Totensonntag kommt er, präsentiert von sensor, im Rahmen seiner ersten Lesetour in den Schlachthof nach Wiesbaden.
Eric Wrede sieht sich in erster Linie als Trauerbegleiter. „Wir haben uns davon verabschiedet, Waren zu verkaufen. Einen Sarg kannst du überall kaufen, der ist austauschbar. Aber einen Menschen zu finden, dem du vertraust und den du nah an deine Familie heranlässt, das ist doch die eigentliche Kunst“, sagt er. Ihm geht es jedoch nicht nur um das Vertrauen der Angehörigen und Sterbenden. Seinen alten Job gab er ja vor allem deshalb auf, weil er in einen Bereich wollte, in dem man noch etwas bewegen kann. Und gerade im „verstaubten“ Bestattungswesen sieht er noch viel Raum für Veränderungen. „Wer hat ganz lange die Deutungshoheit über den Tod gehabt? Es war die Kirche. Aber jetzt stehen wir gerade an einem angenehmen Scheideweg. Wir holen uns das Trauern zurück.“
Ein Fest für die Toten
Der Umgang mit dem Tod hängt nicht nur von den individuellen Bedürfnissen des Einzelnen ab, sondern auch von der Kultur und den Traditionen eines Landes. Das zeigt sich vor allem am Beispiel von Mexiko. Der Feiertag „Dia de los Muertos“ wird in Mexiko als Festtag der Toten zelebriert, mit bunten Farben, mit Musik, mit Essen und Trinken und mit einer großen Portion Lebensbejahung. Nach dem Volksglauben verschwindet an diesem Tag die Grenze zwischen Tod und Leben. Die Toten dürfen für einen Tag und eine Nacht zum irdischen Leben zurückkehren, um mit den Menschen zu feiern. Gelbe und orangenfarbene Blumen säumen Wege, Häuser und Altäre. Sie sind für die Toten gut sichtbar und dienen ihnen als Wegweiser. Der Stuttgarter Thorsten Schwämmle hat sich vor acht Jahren eine gleichnamige Roadshow ausgedacht, die jedes Jahr zu diesem Feiertag stattfindet und das Thema mit Musik und Showeinlagen modern auf die Bühne bringt. Inspiration lieferte seine Freundin, die aus Mexiko stammt.
Auch in Wiesbaden hat sich die Show Anfang November im Schlachthof mit einer großen Party dem Publikum präsentiert. Wenig später wurde der „Dia de los Muertos“ in einer weitaus kleineren Variante gefeiert – im „Wakker“, genau – der besondere Ort am Wallufer Platz, wo Dominik Fink zum Betreiberkollektiv gehört. Die Initiative zu diesem Todesfest ging aber von einem im Wakker-Haus lebenden mexikanischen Künstler aus. Ob in großen Hallen oder in kleinen Cafés gefeiert – was ist in Mexiko so anders beim Umgang mit dem Tod? „Der Tod ist ein Teil des Lebens. Es hat nichts Negatives, sondern die Verstorbenen werden weiter im Leben gehalten“, erklärt Thorsten Schwämmle. In Deutschland habe man in früheren Zeiten auf ähnliche Weise das Andenken an die Toten zelebriert: „Das Bild vom Tod hat sich während den Weltkriegen sehr geändert. Davor gab es zum Beispiel an Allerseelen den Brauch, sich auf Gräber zu begeben und mit den Toten gemeinsam zu speisen.“
Grabpflege durch Mutter Natur
Eine Bestattungsform, die in den letzten Jahren auf besonders viel Interesse gestoßen ist, ist die Naturbestattung im sogenannten Friedwald. Als Alternative zum Friedhof werden die sterblichen Überreste in einer biologisch abbaubaren Urne aufbewahrt und an einer Baumwurzel begraben. Die Stadt Wiesbaden betreibt seit 2013 den Bestattungswald „Terra Levis“ im Frauensteiner Wald auf knapp zehn Hektar, die auf 45 Hektar ausgeweitet werden können. In den ersten vier Jahren wurde bereits an zwei Drittel der Bestattungsplätze das Nutzungsrecht vergeben, die Fläche daraufhin bereits erweitert. Seit 2001 bietet die Friedwald GmbH aus Griesheim diese Bestattungsform an. Mit insgesamt 63 Friedwäldern in ganz Deutschland ist sie Marktführerin. Auch in Taunusstein kann man sich in einem Friedwald bestatten lassen. Jede Grabstätte hat eine Nummer, die in einem Register des Unternehmens und der Kommune eingetragen ist. Freie Grabstätten sind mit einem farbigen Band gekennzeichnet, die um den Baum gebunden sind. Der Friedwald ist im rechtlichen Sinne ein Friedhof. Das besondere daran ist jedoch, dass die Grabpflege nicht durch Friedhofspersonal übernommen wird, sondern durch die Natur selbst: Es gibt keine Grablichter, keine Kränze und auch keine Gestecke. Lediglich eine Namenstafel lässt erkennen, dass hier jemand ruht. „Die Grundidee ist, dass es ein Wald bleiben soll. Das ist der Unterschied zu Baumbestattungen in Friedhöfen“, sagt Friedwald-Marketingleiterin Carola Wacker-Meister.
Wo beginnt Bestattung als Kulturgut?
Der Siegeszug neuer Bestattungsformen findet jedoch nicht nur Befürworter. Oliver Wirthmann, Geschäftsführer des Kuratoriums Deutsche Bestattungskultur e.V. bezweifelt bereits, dass es sich dabei um Bestattungen im eigentlichen Wortsinne handelt. Es fehlen nach seiner Meinung die Grundmerkmale einer Bestattung, nämlich Abschied einer menschlichen Gruppe und kenntlich gemachtes Gedenken durch Grabzeichen, Schrift und Bild. „Menschliche Kultur beginnt dort, wo Menschen ihre Toten nicht auf freiem Feld liegen lassen. Dort, wo Menschen Tote zur Erde bestatten oder verbrennen und einen Stein des Gedenkens aufstellen, dort beginnt Kultur“, sagt er.
Dem hält Eric Wrede entgegen, dass es derzeit überhaupt keine Abschiedskultur, sondern höchstens eine Abschiedsökonomie gebe. „Diejenigen, die sagen, die Bestattungskultur gehe den Bach runter, verdienen viel Geld daran, dass die Leute ihr Geld für Blödsinn rauswerfen.“, sagt er. Die eigentliche Abschiedskultur werde von der Gesellschaft erst jetzt mühsam erarbeitet, indem sie die alten Bestattungsrituale hinter sich lasse. Auch Carola Wacker-Meister wehrt sich gegen den Vorwurf, dass moderne Bestattungsformen wie der Friedwald die Bestattungskultur gefährden. „Bei der Sorgfalt die wir an den Tag legen, kann man nicht davon reden, dass da Kultur verloren geht. Aber natürlich verdienen die Bestattungsunternehmen an einer klassischen Erdbestattung deutlich mehr.“
„Wie stellen Sie sich Ihre eigene Beerdigung vor?“ haben wir alle unsere Gesprächspartner gefragt. Die Antworten reichten von „klassisch katholisch“ bis Party mit Schnaps. Wer was gesagt hat, steht ab 5. November auf www.sensor-wiesbaden.de
Theater, Lesung, Stammtisch – alles rund um den Tod
Eric Wrede kommt zu einer Lesung mit seinem Buch „The End“ am Totensonntag, 25. November, in den Schlachthof. sensor präsentiert und verlost 3 Exemplare des Buchs und 3×2 Freikarten: Mail bis 10. November mit kurzem Text „So stelle ich mir meine eigene Beerdigung vor“ (und Einverständnis zur Veröffentlichung) an losi@sensor-wiesbaden.de
„Let´s talk about Death!” ist ein Stammtisch, der seit Februar 2015 jeden letzten Donnerstag im Monat in Wiesbaden stattfindet. Der Name ist Programm: Hier wird ganz offen über die Tabuthemen Sterben, Tod, Abschied und Trauer geredet. Die Leitung unter Daniela Glänzer und Corinna Leibig endet mit diesem Jahr, doch die große Zahl an langjährigen Stammgästen will die Gesprächsrunde weiter leben lassen – wie gehabt am letzten Donnerstag im Monat , allerdings am neuen Ort, im Crema Catalana in der Herderstraße, 19-21 Uhr. www.lets-talk-about-death.de .
Editorial November-sensor: „Wer hat schon das Sterben auf dem Schirm?“