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Editorial November-sensor: Wer hat schon das Sterben auf dem Schirm?

Wer hat schon das Sterben auf dem Schirm,

liebe sensor-Leserinnen und -Leser? Wohl die wenigsten von uns. Und das, obwohl – nichts ist wirklich sicher im Leben, das aber schon – es uns alle trifft. Irgendwann, denken wir uns, und beschäftigen uns deshalb kaum bis gar nicht damit. Theoretisch jederzeit, lehrt uns die Wirklichkeit – oder zumindest jene, die im Fall des Todesfalles zurückbleiben. Und ein solcher kann auch „plötzlich und unerwartet“ eintreten, und das ganz und gar nicht erst im hohen Alter.

Ich selbst – rasant Richtung 50 unterwegs – bin nun in einem Alter, wo der Tod verstärkt ins Leben tritt, obwohl man doch denkt, dass einen „das“ noch längst nicht betrifft. Aber der Tod wird zum Thema. Manch schmerzliche Abschiede trafen mich in den letzten Jahren, im engen und noch mehr im erweiterten Umfeld; ein besonders schmerzhafter, weil völlig plötzlicher und unerwarteter, vor ziemlich genau einem Jahr von einem der besten und liebsten Freunde. Und so fängt man doch an, sich mit dem Thema zu beschäftigen.

Alles Zeit der Welt zum Abschiednehmen – Sie glauben nicht, wie gut das tut

Drei Dinge habe ich dabei gelernt: Zum einen, wie wichtig Abschied nehmen und Trauer sind – nicht verordnet, nicht reguliert, nicht im engen zeitlichen Korsett, sondern in jeder Hinsicht frei. Sie glauben nicht, wie gut es tun kann, bei der Trauerfeier alle Zeit der Welt – und nicht schon die nächste wartende Trauergemeinde „im Nacken – zu haben. Sie ahnen nicht, wie schön es ist, wenn eine Trauerfeier höchstpersönlich ist und nicht nach „Schema F“ verläuft. Wenn zum Beispiel die Beatsteaks laufen anstatt irgendein x-beliebiges Kirchenlied, das niemandem wirklich etwas sagt oder gibt. Es dürfen natürlich auch Kirchenlieder sein, Gott bewahre, aber eben dann, wenn es der verstorbenen Person entspricht. Und es darf, es sollte wohl, auch geweint, geheult, geflennt werden – schließlich ändert auch eine „lockere“ und nach bisherigen Maßstäben eher unkonventionelle Trauerfeier nichts daran, dass man sich von jemandem endgültig und unumkehrbar verabschieden muss und diese Person einem einfach verdammt fehlen wird.

Das andere, was ich gelernt habe: Wie hilfreich, wie entlastend es für jene, die Abschied nehmen müssen, ist, wenn möglichst viel geregelt oder zumindest bekannt ist. Wo die wichtigsten Unterlagen sind – analog wie digital, offline wie online. Kontovollmachten, Versicherungen und all so ein Kram – eben all das, was man „jetzt gerade“ nicht so wichtig findet -, all das kann man gar nicht früh genug klären. „Plötzlich und unerwartet“, wie gesagt, soll es nicht, kann es aber passieren. Und wenn es passiert, ist einfach alles gut, was schon erledigt ist. Und sei es in Form eines Sticks mit allen wichtigen Daten, deponiert an einem Ort, den (nur) die kennen, denen er irgendwann weiterhelfen könnte.

„Magst du mal kurz den Sarg anheben?“ – „Natürlich!“ Wie der Tod …

Das Dritte: Der Tod ist natürlich. Und als solches sollten wir versuchen, ihn zu begreifen und mit ihm umzugehen. Jemand, der es ganz wunderbar schafft, das zu vermitteln, ist der Berliner Eric Wrede. In seinem in dieser Woche erschienenen, sehr lesenswerten Buch „The End – Das Buch vom Tod“, mit dem er just am Totensonntag (25. November), präsentiert von sensor, in den Schlachthof kommt. Vor allem aber mit seinem außergewöhnlichen „lebensnah individuelle bestattungen“-Institut, mit dem er auch den Abschied von unserem Freund vor einem Jahr begleitete.

Wir waren etwas zu früh auf dem Hof „Schöne“ in Rixdorf, Erics Kolleginnen Katja und Leo von „lebensnah“ waren noch mit der Vorbereitung beschäftigt. Sie empfingen uns mit wohltuender Wärme – und größter Selbstverständlichkeit. Sie luden uns ein, schon mal hereinzukommen in den Raum, in dem die Trauerfeier stattfinden sollte. „Magst du mal kurz den Sarg anheben, damit wir das Tuch darunter zurechtziehen können?“, fragte mich unvermittelt Katja oder Leo, ich kann mich nicht mehr genau erinnern. Und so stand ich, der sonst immer ein mulmiges und seltsames Gefühl in der Nähe von Särgen hatte, plötzlich nicht nur direkt am Sarg, in dem unser so plötzlich verstorbener Freund lag. Ich packte auch an, auf einmal war auch das ganz selbstverständlich, und „begriff“: Der Tod ist natürlich. Und wünsche mir seit diesem Abschiedsnachmittag, dass auch immer mehr Unternehmen, die nicht so heißen, „lebensnah“ bestatten.

Was ich schließlich außerdem noch hätte lernen können bei den Todes- und Trauerfällen der letzten Jahre, musste ich nicht mehr lernen, weil ich es schon wusste: Wir sollten unser Leben leben und genießen. Jeden Tag. Jeden Moment. Freudig, bewusst – und ja, das habe ich dann doch vielleicht auch gelernt, ein wenig gesundheitsbewusster -, und immer wieder dankbar. Es könnte „plötzlich und erwartet“ vorbei sein. Und wenn nicht, was zum Glück wohl vorerst der höheren Wahrscheinlichkeit entspricht: Umso besser!

Dirk Fellinghauer, sensor-Carpediemist

PS _ Welch ein herrliches Fest des Lebens eine Trauerfeier sein kann, zeigte kürzlich der Abschied von Aretha Franklin. Schauen Sie sich nur mal den Auftritt von Chaka Khan und die Reaktionen der Trauergemeinde an. Halleluja, mich hat es umgehauen. Und Sie?