Irgendjemand schreibt irgendeinen Kommentar zu irgendwas auf Facebook – und es dauert nicht lange, bis sich Diskussionen hochschaukeln zu wüsten Beschimpfungen und persönlichen Beleidigungen. So geht das oft in den Sozialen Medien, es wird viel und reichlich darüber, und über die Folgen, diskutiert. Es geht aber auch anders. Ein gelungenes Beispiel, dass es sich lohnen kann, miteinander zu reden, erlebten wir kürzlich auf unserer sensor-Facebook-Seite. Das provozierende Statement einer Leserin zur FDP – „… ich kann diese Partei leider so überhaupt nicht ernst nehmen“ – als Kommentar zum sensor-Fotoalbum mit Eindrücken von der Wahlnacht in Wiesbaden brachte ein FDP-Mitglied nicht aus der Ruhe, sondern die Beiden ins Gespräch – über die FDP und manch andere Themen, über Grundsätzliches und Konkretes. Hier, mit dem Einverständnis der Beiden, der komplette Austausch zwischen Suzana Urbini und Niko Sidiropoulos im Wortlaut.
Suzana: Die FDP … ich kann die Partei leider so überhaupt nicht ernst nehmen. Sich noch vor Gesprächen zu verweigern, aber immer schön auf die aktuellen jeweiligen Regierungen schimpfen. Lieber nicht verhandeln als falsch verhandeln. Das ist in etwa so schlau wie lieber nicht wählen statt falsch wählen. Wenigstens geht die Strategie der Gelben nicht auf, wenn man sich die Wahlergebnisse ansieht. Da kann „Heimat“ (die Werbeagentur der FDP, Anm. d. Red.) noch so dolle Kampagnen raushauen. Letztere dürften die teuersten aller Parteien sein. Würde mich nicht wundern.
Niko: Warum sollte man sich denn bitte für Jamaika hergeben, wenn Schwarz-Grün sowieso eine Mehrheit hat? Da werden Schwarz-Grün doch nicht bereit sein, irgendwelche Kompromisse zu machen.
„Wo man keine Schnittmengen hat, kann man wechselseitig voneinander lernen“
Suzana: Man sollte zumindest gesprächsbereit sein. Finde ich. Sonst braucht man meines Erachtens gar nicht antreten und Steuergelder beanspruchen. Da darf man aber natürlich anderer Meinung sein als ich.
Und: Was, bitte, ist so schlimm an Jamaika? Warum so abwertend? Keine Lust mal mitzuregieren? Ich würde gerade dieses Spannungsfeld interessant finden, und es ist nicht so, dass die FDP mit den Grünen so gar keine Schnittmenge hat. Und da, wo sie keine hat, könnte man wechselseitig voneinander lernen. Zum Beispiel könnten Sie als FDP von grün lernen, dass es ohne intakte Umwelt auch kein Wirtschaften gibt und ein unendliches Wachstum auf diesem endlichen Planeten nicht möglich ist. Dafür könnte man aber neue Wirtschaftszweige entwickeln, ohne alte Hüte zu verkaufen. Aber gemeinsam trotz unterschiedlicher Positionen etwas zu erarbeiten, sowas ist in diesen hochreaktionären egoistischen oberflächlichen Zeiten leider aus der Mode gekommen, so scheint es mir. Parolen statt Diskurse. Schade.
Niko: Ich habe überhaupt nichts gegen Jamaika und bin auch der Meinung, dass es in Hessen weitaus realistischer als im Bund ist. Es tut mir leid, wenn das anders rüber kam. Würde auch liebend gerne die FDP mitregieren sehen, dafür habe ich die letzten Wochen gearbeitet.
CDU und die Grünen haben jedoch gemeinsam eine Mehrheit, deswegen hätte die FDP in Koalitionsgesprächen überhaupt keinen Hebel, um die Ziele, für die wir die ganze Zeit geworben haben, festzuhalten und durchzusetzen. Denn wenn es hart auf hart kommt, geht es ja ohne die Stimmen der FDP – und Schwarz-Grün sind ja bereits ein eingespieltes Team.
Es tut mir leid, aber ich (und ich rede hier nur für mich und nicht für die Partei, der ich angehöre) möchte nicht, dass die FDP Richtung „Hauptsache regieren“ geht. Wenn meine Schlussfolgerungen über den Verhandlungsspielraum abwegig sind, bin ich da gerne für Diskussionen bereit.
Der FDP geht es übrigens nicht primär um unendliches Wirtschaftswachstum – das Hauptthema des Wahlkampfs war Bildung. Und auch die FDP ist für eine Energiewende, jedoch auf einem anderen Wege als es andere Parteien sind.
Die FDP ist nicht nur Wirtschaft. PS: Mal schauen, ob es Ampel-Gespräche gibt 😉
„Verständlich, dass Sie nicht das 3. Rad am Moped sein wollen“
Suzana: Gut – ist verständlich, dass Sie da nicht das 3. Rad am Moped sein wollen. Bildung ist im übrigen eine wichtige Voraussetzung für ein wirtschaftlich starkes Land. Wobei ich zwischenzeitlich irritiert bin, ob letztere tatsächlich ankommt, wenn ich mir die Zahlen im Bundesland mit dem angeblich besten Bildungssystem (Sachsen) angucke. Digitalisierung war im übrigen auch noch eines Ihrer Themen, das ich wahrnahm. Da ich allerdings in Branchen mit prekären Beschäftigungsverhältnissen oder anderen Problemen, wie zum Beispiel in der Alten- und Krankenpflege unterwegs war und bin, liegt mein Fokus eben auch auf Themen wie sozialer Gerechtigkeit – ohne dass ich ein Problem damit habe, dass der eine mehr, der andere weniger hätte.
Häufig ist es aber so, dass Menschen in sehr wichtigen Berufen zu wenig verdienen und zugleich viel Verantwortung tragen, wohingegen beispielsweise in der Finanzbranche Dinge vor sich gehen, die kann man keinem halbwegs intelligenten Menschen mehr erklären. Bankenrettung beispielsweise und die Haftung derer, die das verbrochen haben. Da hat der Steuerzahler gehaftet, ohne dass ihm was von eben diesen Banken gehören würde. Subtile Enteignung nenne ich das.
Oder nehmen Sie Cum-Ex. Die FDP nehme ich bislang als Partei wahr, die einen noch freieren Markt, also eine freie Marktwirtschaft, statt der aktuell ’sozialen‘ fordert. Darum nehme ich Sie in erster Linie als Partei wahr, deren Hauptthema die Wirtschaft ist. Das spricht mich so leider nicht an bzw. finde ich es auch höchst bedenklich, wenn Parteien zu viel mit Lobbyisten rumhängen (bitte nicht persönlich nehmen). Das geht auch sicher nicht nur an die FDP. Da sind alle angesprochen. Gucken Sie sich aktuelle Diskussionen um Personal in der CDU. Da wird unter anderem Herr Merz gehandelt, der gegenwärtig bei Black Rock tätig ist… vielleicht sehen Sie da keine Probleme oder Interessenkonflikte… muss man eigentlich auch nicht … bei genauer Betrachtung werden wir ohnehin häufig von Konzerninteressen regiert bzw stehen die nicht selten vor denen des Bürgers. Aber dann kommt wieder das unschlagbare Argument der Arbeitsplätze… führt jetzt aber alles zu weit…
Gut finde ich, dass Sie persönlich für Jamaika (also als Bündnis) offen wären. Letztlich habe ich Ihre Kampagne auch in der Gestaltung mit Offenheit verbunden. Auch mit Ästhetik – ein Aspekt, der nicht zu unterschätzen ist. Auch wenn die Farbwahl auf den ersten Blick psychedelisch anmutet, so beinhaltet sie bei genauer Betrachtung die Grundfarben der Digitalen Welt, CMYK. Aus diesen Farben lassen sich sämtliche Farben des Spektrums mischen (also alle, die man drucken kann. RGB kann noch um einiges mehr).
„Niemanden drängen, FDP zu wählen. Nur zeigen, dass die FDP nicht so schlimm ist“
Niko: Bildung ist vor allem auch maßgeblich für eine Chancengleichheit. Was die Pflege betrifft, muss ich zugeben, dass ich mich da nicht sehr gut auskenne. Sicherlich sind die Zustände dort weit entfernt davon optimal zu sein, und ich bin der Meinung, dass man dort die Arbeitsbedingungen (nicht nur Lohn, sondern auch Dienstpläne und Planbarkeit) verbessern muss, um Anreize für Menschen zu schaffen dort zu arbeiten. Ob ein Abbau der Bürokratie durch mehr Digitalisierung (dieses Wort …) ausreicht, weiß ich nicht. Definitiv nicht mein Fachgebiet.
Naja, eine freiere Marktwirtschaft würde ja eben bedeuten, dass der Steuerzahler nicht mehr in Haftung tritt – genau das fordert die FDP übrigens auch aktuell im Fall Italien. Über Cum-ex müssen wir, glaube ich, nicht reden, wobei es meiner Meinung nach in der Öffentlichkeit zu wenig wahrgenommen wird.
Lobbyarbeit ist so ein Thema … Auf der einen Seite ist sie wichtig, denn ein Politiker ist nicht allwissend, auf der anderen Seite kann sie gefährlich sein, weil einzelne Unternehmen zu viel Einfluss nehmen können … Mit der Diskussion, kann man, glaube ich, Abende füllen.
In der Sache mit der Farbgebung bin ich bisher noch nie so tief in Interpretation gegangen, muss ich zugeben
Ich will hier auch niemanden dazu drängen, FDP zu wählen. Mir ging es nur darum zu zeigen, dass die FDP nicht so schlimm ist wie oftmals dargestellt 😉
„Langweilig, wenn alle Menschen meiner Meinung sind“
Suzana: Ich finde nur eine Partei im Bund wie den Parlamenten der Länder schlimm. Und da hilft es mir auch nicht, dass die demokratisch gewählt wurde. Da gerate ich tatsächlich an die Grenzen des für mich tolerierbaren. Ansonsten ist unsere Parteienlandschaft eben auch Ausdruck unterschiedlicher Perspektiven auf das Leben, und das ist doch realistisch und gut so. Ich würde es langweilig finden, wären alle Menschen meiner Meinung. Daraus entstehen auch keine Diskussionen sondern nur feel good-Gespräche.
Bezüglich der freien Marktwirtschaft muss ich mich noch eingehender informieren, um da eine abschließende Meinung zu haben. Mir wäre zum Beispiel lieber, beispielsweise Unternehmen wie die Bahn wären entweder staatlich ODER privat. Teilprivatisierung ist, finde ich, totaler Quatsch. Und im Fall der bahn ist es dem Bürger auch schwer zu verkaufen, wobei ich nicht glaube, dass jedem klar, ist wie viel Steuergelder da rein fließen. Ich gebe zu, dass mich Volkswirtschaft mehr interessiert als Betriebswirtschaft.
Die Farbgebung… mei.. ich bin halt eigentlich Gestalter, und in guter Gestaltung macht man eigentlich nix ohne Grund. Und die verantwortliche Agentur ‚Heimat‘ ist eine der besten der Branche. Aber ich kann da jetzt auch zu viel reininterpretieren. Is aber nicht die schlechteste Interpretation 😉
Cum Ex… das ist etwas zu komplex als dass es ein Julian Reichelt (Chefredakteur der Bild-Zeitung, Anm. d. Red.) ausreichend reißerisch und massentauglich ausschlachten könnte… da zeichnen wir lieber einfachere Feindbilder.
Alles Gute Ihnen!
Niko: Bezüglich dieser Partei sind wir einer Meinung, ich gehe jedoch fest davon aus, dass das ein vorübergehendes Problem ist.
Ihnen auch alles Gute und vielen Dank für die gute Unterhaltung 🙂
Suzana: Da bin ich bei Ihnen. Denke, deren Zenith ist überschritten bzw. die Leute, die die erreichen konnten, haben sie erreicht. Da ist, so hoffe ich, keine Luft nach oben mehr. Ich danke ebenfalls für die Unterhaltung. Freue mich immer, wenn das außerhalb der eigenen Filterblase möglich ist 😉