Ich hoffe, Sie können es noch hören, liebe sensor-Leserinnen und –Leser,
wenn Sie jetzt hören, dass ich Ihnen schon wieder und immer noch etwas über Flüchtlinge in unserer Stadt erzählen will. Ich höre nämlich schon wieder Leute, die sagen, sie könnten´s nicht mehr hören mit den Flüchtlingen – also den Flüchtlingen, die da jetzt zu Hunderten in unsere Stadt kommen, um in eilig hergerichteten Notunterkünften eine erste Anlaufstelle zu finden nach Wegen hierher unter Umständen, die sich keiner von uns wirklich vorstellen kann und will. Also wenn ich etwas nicht mehr hören kann, dann, dass man´s nicht mehr hören kann. Und die, die es nicht mehr hören können, sollten sich dran gewöhnen, dass sie es weiter hören müssen.
Das Thema Flüchtlinge in unserer Stadt ist nämlich, ebenso wie das Thema Flüchtlinge in unserem Land, keines, was uns – wie sonst so viele Themen, die schlagartig aufpoppen und innerhalb kürzester Zeit wieder wundersam aus den Schlagzeilen verschwinden – mal kurz ereilt hat und in Kürze wieder von den nächsten verdrängt werden wird. Es ist ein Thema, das uns fortan begleiten wird. Natürlich auch ein Thema, das uns herausfordern wird. Und auf jeden Fall auch ein Thema, das uns bereichern wird – auf ganz unterschiedlichen Ebenen.
Es ist und bleibt eine Freude, zu sehen, wie „die Wiesbadener“ – natürlich ganz und gar nicht alle, aber eine Menge – reagieren auf das Leid, das nun seinen Weg von den Fernsehschirmen vor unsere Haustür, ja eigentlich fast in unsere Haustür hinein, gefunden hat. Es gibt Hilfsbereitschaft, wohin man schaut, wohin man liest, wohin man hört – mentale, ideelle, vor allem aber auch ganz handfeste. Es gibt Leute, die spenden und Aktionen organisieren, es gibt Leute, die anpacken, betreuen, dolmetschen, versorgen, begleiten – jeder nach seinen Möglichkeiten.
Einer der unzähligen Helfer erzählt in dieser sensor-Ausgabe – in der Sie außerdem unter anderem über coole Klassik, über privat organisierte Obdachlosenhilfe, über die US-Standortkommandeurin, über Comics, Wein und Pilze lesen – sehr persönlich, wie das ist, wenn man die fünfte Schicht in der Notunterkunft in Nordenstadt absolviert. Er schildert beeindruckend, wie kräftezehrend es ist, und wie erfüllend es ist. Respekt!
Respekt auch für den OB unserer Stadt, der ohne zu zögern von der ersten Minute an die Willkommenskultur, die bisher – auch das schon super – auf der Homepage der Landeshauptstadt ihren festen Platz fand, zur Chefsache gemacht hat. Der nicht mal eben eilig vor irgendeine Kamera tritt, um eine gute Figur zu machen, sondern der in seinem Einsatz und Engagement auch weit über die erste Aufmerksamkeit und den akutesten Ausnahmezustand hinaus nicht nachlässt. In seinem Einsatz und Engagement, seiner Sorge und seinem Interesse übrigens nicht nur für die Flüchtlinge, sondern auch für die Einsatzkräfte und Ehrenamtlichen vor Ort, die sich um sie kümmern. Und ebenso für die Bewohner der „betroffenen“ Vororte und Stadtteile, die Antworten auf berechtigte Fragen bekommen. Und die in sehr großer Anzahl in ganz beachtlicher und erfreulicher Weise den Flüchtlingen in „ihrem“ Ort ganz selbstverständlich und ohne viele Fragen helfen mit Spenden, Worten und vor allem guten Taten direkt in den Notunterkünften – all das übrigens mit ebenfalls großer Unterstützung der nicht minder engagierten Ortsvorsteher.
Die Ereignisse überschlagen sich, und ich habe in den letzten Tagen in rasanter Taktung so viel zum Thema gehört, dass es mir vorkommt, als sei die Situation, die unsere Stadt am 13. September überrascht hat – um 17.36 Uhr erreichte uns an einem Sonntagnachmittag die „eilige Einladung“ zu einer Pressekonferenz um 18.30 Uhr, die ersten Flüchtlinge erreichten dann in der Nacht zum 16. September um 4 Uhr morgens unsere Stadt – schon seit vielen Wochen ein Thema. Ich habe schon so viel gehört, und ich kann, muss und will „es“ weiter hören. Weil es ein Thema ist, das wichtig ist. Und wichtig bleibt.
Bleiben Sie freundlich!
Dirk Fellinghauer – Immer noch sensor-Flüchtling (Ob Sie es noch hören können oder nicht)