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„Ihre Chance: Bilden Sie den Gegenpol zu ´Fake News´“ – OB redet im Presseclub der Medienbranche ins Gewissen

Rund 170 Gäste (über)füllten in dieser Woche die Räume des Presseclubs Wiesbaden in der Villa Clementine. Zum Jahresempfang kamen natürlich jede Menge Mitglieder – Medienschaffende aller Disziplinen -, aber auch viele geladene Gäste aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Presseclub-Vorsitzender Stefan Schröder begrüßte die Gäste, FAZ-Herausgeber Werner D´ Inka lieferte einen Vortrag zum Thema „Nepper, Hacker, Faktenfälscher“. Dazwischen hielt OB Sven Gerich eine Grußwort-Rede zur aktuellen Situation, zu Bedrohungen, Herausforderungen und gerade daraus erwachsenden neuen Chancen der Medienbranche, die kräftig beklatscht und auch in anschließenden Gesprächen intensiv diskutiert wurde. Wir veröffentlichen die Rede im Wortlaut:

„Viele von Ihnen waren letztes Jahr ebenfalls hier und wissen, dass ich in meinem Gruß an Sie auf den Nutzen und die Gefahren der sozialen Medien eingegangen bin. Daran möchte ich heute noch einmal anknüpfen.

Ich höre immer wieder, dass es in den sozialen Medien lustig zugehen muss, dass „bierernste“ Themen nicht gefragt sind und dass die Posts locker zu sein haben – das seien die Erwartungen der Nutzer. Sie kennen mich und wissen, dass ich für jeden guten Spaß zu haben bin und auch selbst gerne einen eher lockeren Umgang in Facebook pflege.

Witzigkeit hat ihre Grenzen

Aber man kann an zahlreichen Beispielen in den sozialen Medien auch sehen, dass viele Menschen nicht mehr in der Lage sind, Unterhaltung von Nachrichten, Klamauk von Fakten und schlichtweg Spaß von Ernst zu trennen. Wenn das der Fall ist, dann sollte Witzigkeit meines Erachtens eben doch Grenzen kennen.

Mit wirklich großen Sorgen blicke ich jedoch auf die vielen „Fake News“, die von zahlreichen Nutzern der sozialen Medien als Wahrheit angesehen werden. Und wenn „postfaktisch“ das Wort des Jahres 2016 wurde und in der amerikanischen Regierung inzwischen von „Alternativen Fakten“ gesprochen wird, dann stimmt etwas nicht.

Hendrik Zörner, der Pressesprecher des Deutschen Journalisten-Verbandes, hat am 13. Januar im Wiesbadener Kurier zu diesem Thema Stellung bezogen, Zitat: „Es gibt bereits hunderte Abwehrzentren gegen ‚Fake News‘: Jede Redaktion ist eins. Dort sitzen Menschen, die gelernt haben, Material auf seinen Wahrheitsgehalt zu prüfen. Das ist ihr Job und die beste Garantie gegen ‚Fake News‘“.

Fakten gegen Fake News

Da ich hier vor dem Presseclub spreche – die Politik befasst sich ja ebenfalls mit dem Thema  -, richte ich meinen Appell, der Sie vor allem bestärken soll, an die Verantwortlichen der Medien.

Wir brauchen sorgfältig ausgewählte, gut recherchierte Artikel, die sozusagen den Kampf gegen „Fake News“ antreten, indem sie durch nachvollziehbare Fakten Desinformation entlarven und unglaubwürdig machen. Fundierte und sauber recherchierte Berichterstattung war selten so gefragt wie heute. Und hier bietet sich eine hervorragende Chance.

So war zu lesen, dass beispielsweise die Washington Post und die New York Times zahlreiche neue Redakteure eingestellt haben. Und auch die Abo-Zahlen seien deutlich gestiegen.

Gute Arbeitsbedingungen, sorgfältige Ausbildung – gerade jetzt

Neben guten Arbeitsbedingungen für Journalistinnen und Journalisten ist vor allem die sorgfältige und solide Ausbildung des journalistischen Nachwuchses wichtig. Ich höre immer wieder, dass mindestens halbjährige unbezahlte Praktika Voraussetzung sind, um eventuell ein Volontariat machen zu können. Und wenn das dann geklappt hat, gibt es nur befristete Verträge, Redakteure werden über Zeitarbeitsfirmen eingestellt und Dienstleister werden als Content-Zulieferer bemüht. Und – das Beispiel einer ZDF-Kollegin ist Ihnen sicher bekannt – über die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen dürften wir eigentlich nicht mehr reden müssen.

Junge Menschen – und gerade auch der journalistische Nachwuchs – brauchen neben ihrem Beruf auch weitere Zukunftsperspektiven – sie wollen eine Familie gründen und sich auch um sie kümmern können.

Sie wollen Freundschaften und Kontakte aufbauen und pflegen können. Und sie wollen letztendlich auch Kontinuität entstehen lassen und gewährleisten. Die permanente Angst um den Job, ein ständiger Wechsel der Aufgaben und der Einsatzorte, mangelnde Bezahlung und Perspektivlosigkeit stehen gut recherchierten und mit Sorgfalt ausgearbeiteten Artikeln und Beiträgen entgegen.

Mit Nachrichten die Lebenswirklichkeit widerspiegeln

Leser, Zuschauer und Zuhörer sind interessiert an Nachrichten, die ihre Lebenswirklichkeit widerspiegeln, an Artikeln, die zeigen, dass Sorgen und Nöte erkannt, geteilt und ernst genommen werden, an Artikeln, die vor allem auch etwas in der Politik bewirken. In der Kommune und im Lokaljournalismus kommt das besonders zum Tragen. Wenn Redakteurinnen – und da haben wir in Wiesbaden ja sehr gute Beispiele – über ihre Erlebnisse mit ihren Kindern schreiben, stößt das auf großes Interesse – nicht nur bei Eltern.

Die Zeitung wird zu einer Art Verbündetem, der sich beispielsweise für Renovierungsarbeiten an der Schule einsetzt.

Authentizität schafft Vertrauen

Um diese Authentizität gewährleisten zu können, muss das Spektrum der Redakteurinnen und Redakteure breit und vielfältig sein und es muss eben auch jungen Nachwuchskräften möglich sein – um in diesem Beispiel zu bleiben – selbst eine Familie gründen zu können.

Ich möchte an dieser Stelle Stefan Plöchinger, Digitalchef der Süddeutschen Zeitung, zitieren. Er hat Anfang des Jahres im „journalist“, dem Magazin des Deutschen Journalisten-Verbandes, ein Essay mit fünf Thesen zu diesem Thema vorgelegt: „Immer wenn Journalisten greifbar werden und nicht nur als ‚die Medien‘ sichtbar sind, wenn wir in unserer Arbeit so etwas wie Ombudsleute für unsere Leser und unseren Beruf werden, dann schaffen wir Vertrauen in den Journalismus.“

Jetzt können Sie mir natürlich vorwerfen, dass ich gut reden habe, weil es nicht städtische Kosten sind, die dafür in die Hand genommen werden müssen. Ich habe mich bislang auch mit solchen Empfehlungen zurückgehalten.

Glaubwürdigkeit und Haltung als Chance

Meines Erachtens ist aber inzwischen ein Punkt erreicht, der den etablierten Medien wieder gute Chancen in die Hand gibt.

Wenn wir es schätzen, dass die Auswahl und die Bearbeitung von Informationen in Expertenhänden liegt, wenn wir es schätzen, dass die Medien Glaubwürdigkeit und Haltung zeigen und wenn wir es schätzen, dass eines der Standbeine unserer Demokratie auch weiterhin die Medien sind – und all das schätze ich sehr und gehe davon aus, dass Sie diese Auffassung teilen – dann sollte diese Chance jetzt genutzt werden.

Setzen Sie sich für sorgfältige und gute Berichterstattung ein, bilden Sie den Gegenpol zu „Fake News“, „Alternativen Fakten“ und „Postfaktischem“ und geben Sie Ihren Lesern, Zuschauern und Hörern die Gewissheit, dass Sie sich auf die Nachrichten verlassen können.

Enden möchte ich mit einem Zitat aus der Abschiedsrede von Barack Obama: „Wenn Ihr keine Lust mehr darauf habt, mit Fremden im Internet zu streiten – versucht mal, mit ihnen im richtigen Leben zu sprechen.“

Bevor wir miteinander sprechen, uns austauschen und diskutieren – hier im richtigen Leben -, freue ich mich auf den Gastbeitrag von Werner D’Inka zum Thema „Nepper, Hacker, Faktenfälscher“, der sicher das von mir nur grob angerissene Thema vertiefen wird.“

(Foto Gordon Bonnet)