Gute Laune in den Chefetagen der Musikindustrie. Die Umsätze sprudeln, der Rubel, pardon, der Euro rollt, und statt Espresso gibt es wieder Dom Perignon in der Frühstückspause. Fast 26 Milliarden Euro im Jahr setzten die Plattenfirmen zuletzt um – so viel wie in den vergangenen 20 Jahren nicht mehr. Napster? MP3s are killing the radio stars? War da mal was?
Man kann die gute Laune der Plattenbosse verstehen. Befand man sich als solcher vor einigen Jahren noch mit Dugongs, dem Wandernden Monarchfalter oder dem Feldhamster in guter Gesellschaft auf der roten Liste der gefährdeten Lebensarten, darf man jetzt vergnügt nach vorne blicken – dank eines altbekannten Kniffs: alten Wein in neuen Schläuchen verkaufen.
Nachdem alles digitalisiert wurde, bekommen die Lieblings-MP3s wieder einen Tonträger. Aus Vinyl. Natürlich für ein Heidengeld, aber dafür mit dem Gefühl „was Richtiges in der Hand zu halten“.
Waren früher, die scheinbar zufällig auf dem Wohnzimmertisch liegenden, Bildbandwälzer mit Fotografien von Harald Newton, den schönsten Reetdach-Häusern Nordfrieslands oder den Gemälden von Frieda Kahlo ein zentrales Distinktionsmerkmal gegenüber Besuchern, ist es heute die gerahmt an der Wand über dem Bergmann Plattenspieler hängende Schallplatte mit passendem Motiv.
Mit Erfolg: In den USA werden mittlerweile mehr Schallplatten als CDs verkauft. Darunter viele, die man in jedem Second-Hand-Plattenladen antrifft. Da stehen sie dann oft seit Jahren in den Kisten und warten auf einen Käufer, der sich nicht an den leicht abgestoßenen Ecken der Plattenhülle, den Preisschild-Kleberesten von Elektronik Müller oder der hastig mit Kuli hingekritzelten Telefonnummer auf der Innenhülle stört. Und warten vergeblich auf Erlösung.
Mögen das rote und das blaue Beatles-Album schon noch eine neue Heimat finden, selbst wenn sie als Collectors-Nachpressung für teuer Geld neu aufgelegt wurden; all die K-Tel-Grausamkeiten, die auf lappigem Vinyl die größten Hits des Februars 1974 enthalten, die „Wim Thoelke präsentiert: Stars und ihre Melodien?“-LPs oder die „Hitparade der Volksmusik“-Sampler werden niemals wieder auf einem Plattenteller landen und eine Runde drehen. Sie werden höchstens bei Wind und Wetter von Flohmarkt zu Flohmarkt transportiert werden oder als 1-Euro-Lockangebot in billigen Plastikkisten vor dem Plattenladen enden, ohne Hoffnung auf Spielzeit.
Sollte man diese armen Platten nicht von ihrem Schicksal erlösen und eine Obstschüssel, eine Uhr oder Buchstütze aus ihnen machen? Wäre das nicht eine gute Sterbehilfe? Deshalb: Lasst Gnade walten und rettet das Vinyl.
Mehr Falk Fatal: “Saure Äppler im Nizza des Nordens – 100 sensor-Kolumnen”, Edition subkultur, ISBN: 978-3-948949-24-2 – übrigens auch ein super Ostergeschenk!