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Pianist Aeham Ahmad trauert um „seinen“ Fotografen – Niraz Saied stirbt in syrischem Gefängnis

Von Dirk Fellinghauer, Fotos S. Fischer Verlag/Niraz Saied.

Er schoss das Bild von Aeham Ahmad, das um die Welt ging, das auf dem Buchcover seiner Autobiografie abgedruckt ist – und das maßgeblich dazu beitrug, dass „der Pianist aus den Trümmern von Yarmouk“, der nach seiner Flucht eine neue Heimat in Wiesbaden gefunden hat, weltberühmt wurde. Nun ist der preisgekrönte junge Fotograf Niraz Saied tot, gestorben im Alter von vermutlich 27 Jahren in einem syrischen Gefängnis. Seine Frau Lamis Alkhateeb, die er bei Dreharbeiten zu dem Film „Letters from Yarmouk“ kennengelernt hatte und die in Deutschland lebt, schrieb am Montag auf Facebook: „Sie töteten meine Liebe und meinen Mann.“ Der 1988 in Yarmouk bei Damaskus geborene Aeham Ahmad teilte am Montagabend einen Bericht des Kunstmagazins Monopol. Auf tröstende Kommentare antwortete er: „Danke für die Worte. Aber wir sind absolut am Boden zerstört.“

 

„Bilder erzählen nie einen Anfang. Und sie verschweigen, was nach ihnen kommt. So auch jenes Foto von mir, auf dem ich am Klavier sitze und singe, inmitten der Ruinen meines Viertels.“ Mit diesen Worten beginnt das erste Kapitel der im S. Fischer Verlag erschienenen Autobiografie Aeham Ahmads. Weiter heißt es im ersten Absatz des inzwischen international verlegten Bestsellers: „Bis heute höre ich raunend sagen, dass es eines jener Fotos sei, die man vom syrischen Krieg erinnern werde. Weil es größer als der Krieg sei.“

„Jeder in Yarmouk kannte ihn“

Der Fotograf dieses Fotos ist nun ein weiteres Opfer dieses Krieges. Es ist der junge Mann, den Aeham Ahmad in Interviews als „Bruder“ bezeichnete, der wie er als palästinensischer Flüchtling in Syrien lebte und den er in seinem Buch im Rahmen der Schilderung ihrer allerersten Begegnung und der Entstehung des heute weltberühmten Fotos beschreibt: „Jeder in Yarmouk kannte ihn. Er trug Kinnbart und Nickelbrille und hatte seine langen Haare zu einem Zopf zusammengebunden, ein Künstlertyp mit einem Hammer-und-Sichel-Tattoo auf dem Handrücken. Große Agenturen veröffentlichten seine Bilder, bis nach Ramallah hatte er Ausstellungen gemacht.“

Aeham Ahmad  hatte nach seiner Flucht aus Syrien in Wiesbaden – und nach einer Zeit des bangen Wartens inzwischen auch seine Frau und seine beiden kleinen Söhne – eine neue Heimat gefunden. Von hier aus ist er als gefragter Pianist in ganz Deutschland und darüber hinaus ständig zu zahlreichen Auftritten unterwegs. Um „etwas zurückzugeben“, hat er in diesem Frühjahr im Wiesbadener Westend gemeinsam mit seiner Frau Tahani eine Kunst- und Musikschule für Kinder eröffnet. Vieles wurde über ihn geschrieben und gesendet, er war auf dem Titel der “New York Times” und als Gast in Talkshows, TV-Dokumentationen über ihn und seinen Weg liefen bei BBC und im ZDF. In seinem Buch “Und die Vögel werden singen”, das mittlerweile in mehrere Sprachen übersetzt wurde, erzählt er seine Geschichte selbst.

In Wiesbaden führte ihn der Weg zu Elke Gruhn, der Leiterin des Nassauischen Kunstvereins, die seine engste Vertraute, Helferin und Wegbegleiterin in der neuen Heimat wurde. Bei der sensor-Veranstaltung „Der visionäre Frühschoppen“ im Walhalla Theater hatte Aeham Ahmad im Februar 2016 einen seiner ersten öffentlichen Auftritte.

„Und der Traum geht weiter …“

Dem nun verstorbenen Fotografenfreund widmet er die ersten und auch die letzten Zeilen seines Buches. Nach dem auf Deutsch und Arabisch abgedruckten Zitat „Wir kommen aus der Hölle und wünschen uns nichts mehr als Frieden auf der Welt. Frieden für unser Land. Wir können die Welt durch die Kraft der Musik ändern“ steht „Freiheit für Niraz Saied, den Fotografen“ und „Und der Traum geht weiter … Niraz Saied“. Saied war im September 2015 von Sicherheitskräften festgenommen worden, sein Verbleib bald danach ungewiss – eines von Berichten zufolge Zehntausenden ähnlichen Schicksalen seit Beginn des Bürgerkrieges. Im Februar dieses Jahres sagte Aeham Ahmad in einem Interview mit dem BR Fernsehen: „Warum bin ich am Leben und mein ‚Bruder‘ stirbt im Gefängnis? Ich weiß es nicht, ob er noch lebt, oder nicht. Niraz Saied machte mich berühmt mit diesem Foto. Aber wo ist Niraz Saied? Er ist seit drei Jahren im Gefängnis. Drei Jahre Gefängnis, 14 Stockwerke tief unter der Erde. Keine Sonne, kein Leben.“