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„Stehe still, und sammle dich“ – sensor-Interview mit OB Sven Gerich zum Stadtmuseum

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Interview Dirk Fellinghauer. Fotos Julia Gorbauch.

Das Thema Stadtmuseum bleibt der Stadt Wiesbaden auch nach dem kurz vor Weihnachten von der Großen Koalition verkündeten „Aus“ erhalten. Die politische Diskussion, ob und wie es weitergehen soll, ist nach dem Ende der Winterpause wieder voll im Gange. Im sensor-Interview relativiert auch OB Sven Gerich den Eindruck, dass das Projekt nun ein für allemal gestorben sei und sagt:  „Ich meine, es muss weitergehen.“

Wie sehen Sie die Geschehnisse rund um das Thema Stadtmuseum kurz vor Weihnachten, die für viele überraschende Verkündung des „Aus“ für das Projekt als Reaktion auf ein Bürgerbegehren gegen das Mietmodell, heute mit etwas Abstand?

Das war keine einfache Situation. Politisch nicht. Aber natürlich auch in die Verwaltung hinein nicht. Man darf nicht vergessen, wir haben seit einigen Jahren  das Team, das sich um das Schaufenster Stadtmuseum kümmert und natürlich immer auf das Optimum eines neuen Stadtmuseums hingearbeitet hat mit unglaublich intensiver guter Arbeit. Die waren natürlich mindestens genauso überrascht darüber, wie das Projekt dann am Ende ausgegangen ist wie viele Menschen in der Stadt. In der Bewertung sage ich, es gibt viele, die die Entscheidung gut finden und es gibt wahrscheinlich genauso viele, die die Entscheidung im Ergebnis schlecht finden.

Und wie finden Sie selbst das Ergebnis?

Ich bin immer noch traurig, dass es nicht geklappt hat. Wir waren wirklich knapp davor.

Und bleibt es auch so, wie es ist?

Ich denke, es ist noch zu früh, um sagen zu können, wie es weitergeht. Wir brauchen noch einen Moment. Bei der Feuerwehr gibt es in solchen Situationen einen guten Spruch. Wenn es eine schwierige Brandbekämpfung, eine schwierige Situation ist, dann habe ich in der Feuerwehrausbildung gelernt: Stehe still, und sammle dich. Ich glaube, das passt jetzt auch ganz gut in diese Situation.

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Warum?

Es sind an vielen unterschiedlichen Stellen Wunden aufgerissen; die brauchen einen Moment, um zu verheilen. Ich meine, es muss weitergehen. Wiesbaden braucht einen Ort der Stadtgeschichte, wie auch immer der dann aussieht. Es wird noch einen Moment brauchen, bis wir sehen, ob und in welcher Form dieser Ort kommt. Was viel wichtiger jetzt ist, was man zuerst angehen muss, während im Hintergrund die Wunden heilen, ist, dass wir einen neuen Platz für unser Schaufenster brauchen – auch um eine kontinuierliche Arbeit der Kolleginnen und Kollegen im Projektbüro Stadtmuseum zu sichern.

Wie gehen Sie dabei vor?

Der Mietvertrag läuft Ende dieses Jahres aus, das Gebäude wird bekanntermaßen niedergelegt. Das muss jetzt ganz pragmatisch das Erste sein, was angegangen wird. Ich will in den kommenden Tagen mit der Kollegin Scholz drüber sprechen, wie sie die Situation jetzt sieht. Es wird sicher im politischen Raum darüber zu sprechen sein, was mit dem Grundstück an der Wilhelmstraße passiert. Das sind jetzt aber erst mal nachgelagerte Themen.

Und welches ist für Sie in der momentanen Situation das vordringliche Thema?

Ich wünsche mir einen Ort der Stadtgeschichte. Jetzt geht es darum, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Sicherheit zu geben und ihnen auch klarzumachen, dass ihre Arbeit weder umsonst war noch gering geschätzt wird, sondern wichtig ist. So können sie auch die Motivation wiederfinden, genauso engagiert wie bisher weiterzumachen.

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Wo könnten die Mitarbeiter des Schaufenster Stadtmuseum ihre Arbeit nach dem Wegfall des jetzigen Standorts fortsetzen? Haben Sie schon einen neuen Ort im Sinn?

Es gibt nicht so viele Orte, die in Frage kommen. Wenn wir sagen, wir brauchen einen innenstadtnahen Platz dafür, dann kann man sich die innerstädtischen Immobilien vor Augen führen; wenn man sich dann noch auf jene konzentriert, auf die man selbst relativ zügig Zugriff haben könnte, dann gibt es da nicht so viele. Ich spreche mich daher für einen „Ort der Stadtgeschichte“ im Marktgewölbe aus. Dieses würde ab April 2016 zur Verfügung stehen. Das hieße, die Arbeit könnte fast nahtlos fortgesetzt werden. Zudem bietet das Marktgewölbe nahezu die dreifache Fläche des bisherigen Schaufensters, bei vergleichbaren Kosten. Während also die Arbeit des Projektbüros weitergehen kann, könnte in Ruhe grundsätzlich diskutiert werden – ohne Handlungsdruck.

Allzu lange „stillstehen“, wie Sie es bei der Feuerwehr gelernt haben, können Sie beim Thema Stadtmuseum nicht. Sie wollen doch schon im Februar eine neue Magistratsvorlage präsentieren.

Die neue Magistratsvorlage befasst sich erst mal mit dem Thema, wie geht man mit dem Grundstück um. Das hat mit dem Thema „Wann und wie geht es gegebenenfalls mit einem Neubau weiter“ erst mal nichts zu tun. Das sind schon zwei voneinander getrennt zu sehende Dinge.

Sind Sie zum Thema Grundstück schon wieder im Gespräch mit dem Grundstückseigenstümer, der OFB?

Ich habe an meinem ersten Arbeitstag nach dem Urlaub das erste Gespräch mit der OFB geführt.

Wann werden Sie etwas zu den Inhalten dieser Gespräche sagen?

In den nächsten Wochen geht das sicherlich los. Zunächst werde ich darüber mit der zuständigen Fachdezernentin sprechen, das gehört sich so. Und dann wird es sicherlich auch mit den Fraktionen zu besprechen sein. Letzten Endes wird man sehen, wie es da weitergeht. 

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Unabhängig vom Ergebnis und der Konsequenz dieses Bürgerbegehrens: Hat es dem politischen Klima unserer Stadt, oder überhaupt dem Klima in der Stadt, eher genützt oder geschadet?

Bürgerbegehren verbessern oder verschlechtern nie ein Klima in der Stadt. Sie sind immer  sachbezogen. Immer dann, wenn sich eine Gruppierung für oder gegen etwas bildet, sorgt das natürlich für Diskussionen in der Stadt. Das muss aber nicht schädlich sein. Von daher glaube ich, dass das Bürgerbegehren an sich weder Stimmung verbessert noch verschlechtert hat. Es hat gezeigt, dass der Weg hin zu mehr und zu anderer  Bürgerbeteiligung, den wir ja jetzt gestartet haben, sicher ein richtiger ist, um einfach auf dem Weg nach Möglichkeiten zu suchen, die Menschen früher intensiver mitzunehmen, wenn es um größere Projekte in der Stadt geht. 

Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass sich Wiesbaden mit diesem Thema, das über die Stadt hinaus Schlagzeilen gemacht hat, blamiert hat. Wie fühlt sich der Oberbürgermeister dieser Stadt damit?

Man kann sich nicht gut fühlen, wenn man zum zweiten Mal mit einem ähnlich gearteten Projekt nicht zum positiven Abschluss kommt. Deswegen ist es wichtig, dass wir jetzt, was Grundstück und Grundstückseigentümer angeht, eine ordentliche Vereinbarung miteinander treffen, denn das hat natürlich auch weit über den kulturellen Bereich hinaus Bedeutung. Allerdings finde ich das Wort Blamage wenig gut gewählt – wir haben versucht, dem Wunsch nachzukommen, für Wiesbaden ein Stadtmuseum zu bauen. Dieser Weg – wie übrigens auch der Weg, der vor einigen Jahren gewählt worden war – wurde nicht mitgegangen. Wir müssen also einen neuen Weg gehen.

Es war nicht nur der Umgang mit dem Investor, sondern auch der Umgang mit dem Parlament und in der Konsequenz mit der Öffentlichkeit, den viele nicht in Ordnung fanden  – werfen Sie sich im Rückblick etwas vor, auch als „Auslöser“ und Mit-Hauptverantwortlicher des ursprünglichen Grundstücksverkaufs an den Investor?

Ich glaube, der ursprüngliche Grundstückskauf  war nicht der Stein des Anstoßes. Was für mich entscheidend ist und was mich nachdenklich macht: Es ist uns zweimal nicht gelungen, mit einem ähnlich gearteten Projekt den Abschluss zu finden. Das heißt, es ist uns nicht gelungen, die Bevölkerung beim Thema Stadtmuseum davon zu überzeugen, dass wir eines brauchen, warum wir glauben, dass wir eines brauchen und vor allen Dingen, warum wir es für in Ordnung halten, dafür so viel Geld in die Hand zu nehmen. 

Können Sie die Antwort auf diese Frage, warum Sie es für in Ordnung halten, noch einmal formulieren?

Ich kann sagen, warum ich es für in Ordnung halte, ich kann nicht für die politische Klasse in Gänze sprechen. Ich glaube, ein Ort der Stadtgeschichte ist zum einen eine Bildungseinrichtung. Zum anderen kann es, was ich mir sehr wünsche, ein Mehr an Identität der Menschen mit ihrer Stadt stiften und es kann ein wunderbarer Ort sein, an dem man die Zukunft der Stadt diskutieren kann. Ich habe ja immer mal dieses Schlagwort der Zukunftswerkstatt in den Mund genommen. Das bekommen wir in dem Umfang jetzt erst mal so nicht. Deswegen ist es auch legitim, wenn wir uns zu gegebener Zeit darüber Gedanken machen, wie wir dieses denn in einem anders gearteten Stadtmuseum oder Schaufenster Stadtmuseum umsetzen oder anstoßen können.

Es wurde und wird der Ausstieg Wiesbadens aus dem Kulturfonds Rhein Main diskutiert – welche Position  haben Sie in dieser Frage?

Die Einsparungsvorschläge aus dem Kulturetat kamen nicht von mir, und deswegen werde ich mich dazu nicht äußern.

Unabhängig von der Frage, ob es sich um einen Einsparvorschlag handelt oder nicht, wie wichtig finden Sie den Kulturfonds für Wiesbaden?

Die Kultur in Wiesbaden war schon bunt und lebendig, bevor wir dem Kulturfonds beigetreten sind.