Von Laura-Julie Weißkopf. Fotos Jana Kay.
Der Wiesbadener Fechtclub 1879 ist einer der ältesten in Deutschland. Und einer der erfolgreichsten. Trotzdem plagen die Sportler Sorgen: Seit Juni sind sie heimatlos.
Ehrenduell bis aufs Blut, Männlichkeitsbeweis schlagender Verbindungen, Zeitvertreib verwöhnter Snobs – der Hauch des Geheimnisvollen und Elitären umweht das Fechten. Arrogante Gentlemen und Burschenschaftler mit Schmissen auf der Wange sucht man beim Training des Wiesbadener Fechtclubs 1879 (WFC) vergeblich. In der Sporthalle der Comeniusschule stehen schlaksige Jungs neben hibbelige Knirpsen in bunten T-Shirts und jungen Mädchen mit Pferdeschwänzen.
Den Arm nach vorne gestreckt, wie einen Degen haltend, springen die rund 30 Fechter vor und wiegen zurück. Siegfried Fröhlich – Trainingsanzug, weißer Haarkranz und Lachfältchen – beobachtet seine Schützlinge beim Aufwärmen. Seit mehr als drei Jahrzenten ist er Präsident des WFC. Der 1879 gegründete Club zählt zu den zehn ältesten Fechtvereinen Deutschlands, ist Gründungsmitglied des Deutschen Fechterbunds und brachte 1936 schon einen Florett-Olympiasieger hervor. Doch statt von der Vereinsgeschichte spricht Fröhlich lieber über die sportlichen Erfolge von heute.
Medaillen in allen Klassen
„Sogar die Kleinen sind bei den Hessenmeisterschaften vorne dabei“, berichtet der 84-Jährige stolz. In den vergangen Jahren haben die Wiesbadener Fechter in allen Altersklassen Medaillen gewonnen, bei den Hessischen und den Deutschen Meisterschaften, die Senioren sogar bei Europa- und Weltmeisterschaften. Das ist ganz im Sinne des Wiesbadener Fechtclubs. „Wir wollen unsere Fechter so ausbilden, dass sie die hessische Spitze erreichen“, sagt Oliver Fröhlich. Der Sohn des Vereinspräsidenten trägt wie alle der fünf Trainer des WFC die schwarze Kluft des Fechtmeisters. Lediglich Breitensport anzubieten, sagt der 46-Jährige, sei nicht Anspruch des Vereins.
Eine Horde von verschwitzten Kindern drängelt sich an ihm vorbei in Richtung Umkleiden. Sie ziehen die weiße Fechtkleidung, Metallwesten und vergitterten Masken an für den zweiten Teil des Trainings – den Zweikampf mit Degen oder Florett. Für Anfänger stellt der WFC die Ausrüstung, denn die komplette Montur kostet rund 500 Euro. „Fechten ist eine verletzungsarme Sportart“, meint Trainer Oliver Fröhlich.
Körper und Kopf gefordert
Die Waffen seien stumpf und es gebe wenig direkten Körperkontakt. Das Regelwerk aber ist sehr kompliziert. Für Laien sehen Degen und Florett fast gleich aus. Je nach Waffe unterscheiden sich aber einige Vorgaben. So zählen beim Kampf mit dem Florett nur Treffer am Rumpf, beim Degenduell ist der gesamte Körper gültige Trefffläche. Beim Sportfechten gehe es um Kondition, Konzentration und Schnelligkeit, sagte Oliver Fröhlich. Wie im Wettkampffechten üblich, setzt der WFC auf elektrisches Fechten. Die Sportler sind verkabelt, bei jedem Treffer tönt ein „Piiiiieeep“ durch die Halle. Auch PhilipGordon Link duelliert sich gerade. Der 15-Jährige ist hessischer Vizemeister in seiner Altersstufe. Die Fechtkämpfe im Piraten-Blockbuster „Fluch der Karibik“ hätten ihn wie viele Jugendliche fasziniert, sagt er. „Fechten ist nicht nur etwas für den Körper, sondern auch für den Kopf.“ Im Gegensatz zu vielen anderen Vereinen kann der Wiesbadener Fechtclub nicht über Nachwuchsmangel klagen. In der jüngeren Vergangenheit hat der Verein jedes Jahr neue Fechter gewonnen. Von den rund hundert Mitgliedern sind mehr als die Hälfte noch keine 18 Jahre alt.
Ungewisse Zukunft
Und dennoch ist die Zukunft des Vereins ungewiss, so ungewiss, dass es dem Vereinspräsidenten Siegfried Fröhlich die Tränen in die Augen treibt. Er schluckt, tätschelt die Schuler einer kleinen braunhaarigen Fechterin und murmelt: „Ohne Halle sind wir aufgeschmissen.“ Drei Mal die Woche trainiert der WFC in der Sporthalle der Comeniusschule. Die Schulgebäude sind schon seit fast einem Jahr geschlossen und rotten, unkrautüberwuchert und eingekesselt von Bauzäunen, vor sich hin. Nun wird mit der Sanierung begonnen, die Versorgungsleitungen werden abgestellt. Ab ersten Juni gibt es keinen Strom und kein fließendes Wasser mehr – auch nicht in der Halle. Dann ist der Wiesbadener Fechtclub heimatlos. Wenn die Kinder monatelang nicht trainieren könnten, würden sie verständlicherweise den Verein verlassen, befürchtet Trainer Oliver Fröhlich. „Es ist eine riesen Angst, die wir hier haben.“ Doch noch haben die Wiesbadener Fechter die Hoffnung nicht aufgegeben, dass das Sportamt eine Lösung findet. Und so lange es irgendwie geht, wollen sie weiter trainieren. Zur Not auch ein paar Wochen unter freiem Himmel.