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2×5-Interview: Volker Schlöndorff, 76 Jahre, Filmregisseur, Oscar-Preisträger

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Interview Dirk Fellinghauer. Foto Arne Landwehr.

BERUF

Hat das Kino eine Zukunft?

Film hat Zukunft, weil mehr und mehr in Bildern und Tönen erzählt wird. Ob das Kino als Spielstätte eine Zukunft hat in der jetzigen Form? Nein! Die Multiplexe für Blockbuster und 3-D-Filme wurden vor zwanzig oder 25 Jahren erfunden, nur für diesen Zweck. Die werden sich selbst reformieren, aber sie werden auch gleich bleiben. Die Frage ist, ob das Filmkunsttheater oder Programmkino, oder „Arthouse Theater“ auf Neudeutsch, sich neu erfinden kann. Das ist ganz stark vom Aussterben bedroht. Früher war das mal ein Treffpunkt für junge Leute, heute ist das ein Treffpunkt für Rentner. Und wenn die Rentner aussterben, dann stirbt dieses Kino auch aus. Das Kino als Spielstätte muss sich hier völlig neu erfinden, auch im Hinblick auf das Gemeinschaftserlebnis, um das es jungen Leuten geht.

In Ihrer Jugend war Kino auch wichtig für das Zweisamkeitserlebnis, oder?

Auch das. Also ausgehen mit einer Freundin, das ist ja auch heute in den Multiplexen so. Da geht man entweder mit einer ganzen Gruppe hin oder als Paar. Für mich war Kino aber auch ein Ort der Einsamkeit. Das war ja beinahe wie masturbieren. Ganz alleine im Saal mit Ava Gardner oder Brigitte Bardot! Da war Begleitung sogar ein Hindernis (schmunzelt).

Aus aktuellem traurigem Anlass, dem Tod von Günter Grass, lief kürzlich nochmal „Die Blechtrommel“ im Fernsehen, der von Ihnen verfilmte Grass-Roman. Dabei fiel mir auf, wie kurz der Abspann im Vergleich zu heutigen Filmen war, für „Special Effects“ wurde gerade mal eine Person aufgeführt. Tut moderne Technik und Technologie dem Film gut?

Nicht unbedingt. Komischerweise verlangsamt es den Prozess erheblich. Früher haben wir viel schneller gedreht, weil man nachträglich nicht so viel manipulieren konnte. Da brauchte man eine Woche für den Ton, jetzt sind es über drei Monate, bis da alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind.

Welches waren denn die „Special Effects“ in der Blechtrommel?

Die waren alle mit Absicht so simpel, dass sie einem Kinderhirn entsprachen. Als eine Glasscheibe zerspringt, wurde mit einem Luftgewehr da rein geschossen. Übrigens mussten sehr dicke Kugeln benutzt werden, damit das Glas zerspringt, sonst geht das Projektil durch das Glas durch, und das Glas zersplittert nicht. Das war´s auch schon. Gut, die Aale im Pferdekopf, das war ein nachgebauter künstlicher Pferdekopf mit einer Klammer drin und einer Nylonschnur, an der man gezogen hat, damit die Klappe aufgeht und die Aale rauskommen. Also die „Special Effects“ waren alles einfache Basteleien.

Der Film musste sich Vorwürfe der Pornographie oder gar Kinderpornographie gefallen lassen. Wie ist denn der damals 12-jährige David Bennent, der in der Hauptrolle Oskar Matzerath verkörperte, mit den sexuellen Szenen umgegangen?

Die Eltern von David Bennent waren immer mit am Set. Sein Vater Heinz hat eine Rolle im Film gespielt als Gemüsehändler, und die Mutter war sowieso strickend immer dabei. Sie hatten ihm vorher das ganze Buch vorgelesen und auf Nachfrage alles erläutert. Die Eltern hatten da also sehr gute Aufklärungsarbeit geleistet. Deshalb hatte das nie irgendetwas Peinliches.

MENSCH

Sie waren eng mit Günter Grass befreundet. Wen hat die Welt verloren?

Er hat sich elegant allmählich selbst ausgeblendet. Dadurch ist das nicht so ein Verlust, wie wenn jemand aus dem Leben gerissen wird. Seine wichtigste Zeit, das war Ende der Fünfziger Jahre, als zum ersten Mal eine Stimme aus Deutschland kam, bei der die ganze Welt hingehört hat, auch die Deutschen hingehört haben. Das war endlich etwas anderes als dieses Adenauer-Deutschland, das anscheinend die ganze Vergangenheit verdrängte. Das hat er auf den Tisch gebracht. Von dem Moment an war Deutschland anders. Natürlich gab es da auch andere, zum Beispiel Heinrich Böll, aber er war überlebensgroß.

Sie leben heute in Potsdam. Wenn Sie Ihre Geburtsstadt Wiesbaden besuchen, welche Orte steuern Sie an?

Eigentlich keine besonderen Orte. Ich schaue immer beim Caligari Kino vorbei, und frage mal, wie es so geht, ob noch Zuschauer kommen, ob auch junge kommen. Eigentlich nutzte ich Wiesbaden als Ausgangspunkt, um einmal nach Schlangenbad zu fahren auf den Friedhof und bei den Altvorderen einen Besuch zu machen und dann in den Rheingau zu fahren in eine Straußwirtschaft. Gerne in Kiedrich zum Beispiel oder in Rauenthal.

Sie haben 1956 Wiesbaden verlassen – für einen dreimonatigen Sprachaufenthalt, aus dem schließlich zehn Jahre wurden. Wie dürfen wir uns das vorstellen?

Wir hatten damals die Möglichkeit, drei Monate nach Frankreich zu gehen, um Französisch zu lernen. Mir hat es dann so gut gefallen in dem Internat, das ich nicht mehr zurückgekommen bin. Das war sozusagen unerlaubtes Entfernen von der Truppe. Meine Freunde haben das nicht so richtig verstanden, aber Gott sei Dank konnte ich meinen Vater überreden, dass ich dort bleiben kann. Sonst wäre das nicht möglich gewesen.

Sie fahren einen Jaguar 420, den Ihnen der Schriftsteller Max Frisch kurz vor seinem Tod als Dank für Ihre Verfilmung seines Romans „Homo Faber“ geschenkt hat – das Einzige, was Sie verändert haben, war der Einbau eines CD-Players. Was läuft denn da so?

Überhaupt nichts mehr. Anfangs habe ich oft Hörbücher eingelegt, wenn ich lange Strecken gefahren bin. Jetzt fahre ich sowieso nur noch zwischen Potsdam und Berlin. Da höre ich nur noch Nachrichten, oder „Funkhaus Europa“, das ist mein Lieblingssender. Der Jaguar ist Baujahr 1967. Ich habe den Wagen erst die Tage in der Werkstatt abgegeben, um ihn für den Frühling fertig machen zu lassen. Es ist mein einziges Auto. Ich fahre den jetzt schon länger als Max Frisch, seit 1992 – oder Moment (rechnet nach …), nicht ganz, ungefähr gleich lange. Es ist ein analoges Auto ohne jede Elektronik, das man noch mit Hammer und Schraubenzieher reparieren kann. Wenn man es gut pflegt, gibt es eigentlich keinen Grund, dass es irgendwann mal nicht mehr fährt.

Wo bewahren Sie den „Oscar“ auf, den Sie 1980 als Regisseur für „Die Blechtrommel“ gewannen?

Ich habe den gar nicht, der ist von Anfang an beim Produzenten gewesen. Der Regisseur darf den in Empfang nehmen, aber es ist ein Produzentenpreis. Deshalb steht der bei der Seitz Produktion in München. Der Vater Franz Seitz ist inzwischen gestorben, der Sohn verwahrt ihn. Ich habe gesagt, er solle ihn doch dem Filmmuseum Frankfurt geben, wo auch sonst alles befindet, auch die Blechtrommel aus dem Film. Da habe ich alle meine Sachen hingegeben. Vielleicht schickt er ihn da eines Tages ja auch hin.

www.volkerschloendorff.com

Das Interview mit Volker Schlöndorff haben wir nach seinem Vortrag auf der see#10-Conference geführt, die – mit sensor als Medienpartner – im ausverkauften Schlachthof Wiesbaden stattfand. Der spannende, kurzweilige und kräftig bejubelte Vortrag ist hier in voller Länge zu sehen. Zu sämtlichen Vorträgen der ganztäigen“Konferenz zur Visualisierung von Information“ geht es hier.

In Erinnerung an den kürzlich verstorbenen Literaturnobelpreisträger Günter Grass zeigt das Caligari am Dienstag, 2. Juni, um 20 Uhr die Literaturverfilmung „Die Blechtrommel“.