Interview Dirk Fellinghauer. Foto Ángel Romo Inarejos
BERUF
Erkläre doch mal bitte, was es mit Reflecta auf sich hat.
Reflecta ist eine gemeinnützige Organisation, die bislang das Reflecta Filmfestival organisiert und den Green City Guide herausgibt, der aus dem Festival heraus entstanden ist. Ziel ist es, mit einfachen Mitteln Informationen und Möglichkeiten aufzuzeigen, selbst aktiv zu werden und dabei eine gute Zeit zu haben. Die Frage ist: Wie wollen wir leben? Was macht eine lebenswerte Gesellschaft für uns aus? All das immer mit einem Augenzwinkern, ohne sich selbst allzu ernst zu nehmen.
Was genau gibt es an unserer Welt zu überdenken?
Unser Überthema ist ja „Rethink your world“. Die Betonung liegt auf dem persönlichen Um- und Neudenken. Nur wenn du deine eigene Welt überdenkst, kannst du auch was am großen Ganzen ändern. Was genau? Das ist bei jedem anders. Es gibt sicher nicht einen Weg für alle. Sich die Zeit zu nehmen um sich und seine Welt zu überdenken – egal wie und wo man lebt -, ist doch immer ganz gut und schafft Raum für Neues. Darum geht es: Dass wir offen bleiben für neue Sichtweisen.
Nach Frankfurt und Mainz ist nun Wiesbaden an der Reihe und bekommt im Juli einen „Green City Guide“. Was habt ihr herausgefunden: Wie „grün“ ist Wiesbaden?
Mehr als man denkt. Ich war schon einigermaßen skeptisch, weil ich zum einen selbst dachte, Wiesbaden gut zu kennen und man die ständigen Stimmen hört, die bemängeln, dass in Wiesbaden nichts passiert. Dass Wiesbaden eine im landschaftlichen Sinne grüne Stadt ist, steht ja außer Frage. Aber es gibt daneben wirklich viele Projekte, das heißt: Personen (denn die verwirklichen ja die Projekte), die so einiges bewegen und noch mehr bewegen möchten. Ich durfte einige davon kennenlernen und sehe Wiesbaden jetzt mit anderen Augen. So ein Guide ist auch immer eine Art Liebeserklärung an eine Stadt. Im September folgt dann das „Reflecta“-Festival in Wiesbaden.
.Kannst du davon leben?
Jein. Von dem Verein selbst nicht, aber dadurch entsteht ja auch einiges. Außerdem passt die Arbeit zu meinem Lebensstil, und da ist mir Flexibilität und Authentizität wichtiger als viel Geld. Die Perspektive ist, dass wir es längerfristig weiter ausbauen. Zum einen an den festen Standpunkten in Deutschland, zum anderen wollen wir den internationalen Austausch mehr und mehr in Gang bringen. Wenn die Menschen sich mehr vernetzen, gelingen die Dinge viel leichter.
Umdenken für Einsteiger: Welche drei Verhaltensänderungen kann wirklich jede/r für sich umsetzen?
Dass man beim Einkaufen darauf achtet, welche Welt man unterstützen möchte, versteht sich ja von selbst. Aber „bewusster“ Konsum alleine ist es sicher nicht. Einfach mal den Pause-Knopf drücken und sich darüber bewusst werden, was man eigentlich möchte. Sich notieren, was einem Zufriedenheit im Leben bringt. Das sind nämlich sehr selten Dinge, die man kaufen kann. Dann versuchen, sich in die Richtung zu bewegen und sich mit Menschen zusammen tun, die einen unterstützen und gut tun. Ein wenig (Über-)Mut gehört schon dazu. Aber es lohnt sich.
MENSCH
Du hast dich in einem F.A.Z.-Beitrag als „Nomadin“ bezeichnet. Wo und wie lebst du im Moment?
Ich lebe dort, wo Reflecta aktiv ist: In Deutschland ist es das Rhein-Main-Gebiet. Jetzt kam noch Köln dazu und kommendes Jahr Berlin. Und in Spanien. Hier, wo Reflecta seinen Anfang genommen hat, finden nicht nur Reflecta-Veranstaltungen statt. Ich tanke auch auf und arbeite wunderbar mit dem Geräusch von Eseln im Hintergrund. Danach geht es dann aufgetankt durch die Großstädte, um neue Impulse aufzusammeln und gemeinsam Pläne zu schmieden. Ich bin gerne mit unterschiedlichen Menschen aus unterschiedlichen Kontexten zusammen. Wichtigste Punkte als „postmoderne Nomadin“ : Man lebt in möblierten Wohnräumen, braucht gutes Internet und Handyempfang. Der Besitz geht irgendwann in zwei Koffer. Das hat den Vorteil, dass man aussortiert und nicht allzu viel ansammelt.
Was bedeutet Nachhaltigkeit für Dich persönlich?
Das 3-Säulen-Konzept finde ich sehr überzeugend. Nachhaltig ist etwas, wenn es ökologisch, sozial und ökonomisch stimmig ist, also ohne Fremd- und Selbstausbeutung funktioniert. An einem der drei Punkte scheitert bei sehr vielen Projekten meistens leider noch. Umso mehr freut es mich, immer wieder neue Projekte kennenlernen, die sehr nahe dran sind und das gibt Hoffnung.
Wie konsequent bist du in deinem persönlichen Alltag – und wo wirst du am ehesten schwach?
Mein persönlicher und „beruflicher“ Alltag sind kaum zu trennen. Das hat Vor- und auch Nachteile. An der Selbstausbeutung muss ich auf jeden Fall arbeiten. Ansonsten bin ich natürlich nicht „die“ Nachhaltigkeits-Vorzeige-Frau. Ich achte auf das, was ich einkaufe – das ist einfach -, esse kein Fleisch, konsumiere nicht von Fast-Food-Ketten – auch das ist einfach. Allerdings muss ich ab und an fliegen, was ich versuche, so zu legen, dass es nicht zu häufig vorkommt – in dem ich zum Beispiel alle Termine an einem Ort hintereinander lege.
Es gibt viele verschiedene Ansätze, die Menschen zum Umdenken zu bewegen – oder Sie im dümmeren Fall im Gegenteil zu verschrecken. Welches ist dein Weg, um die Leute zu „kriegen“?
Bloß kein Zeigefinger. Gut ist immer, wenn Menschen andere Menschen treffen oder auch in Filmen sehen, die sie inspirieren. Wenn der Funke überspringt, bekommt man Lust, etwas zu machen.
Mit dem Bewusstsein und dem Wissen, das du hast – blickst du optimistisch oder pessimistisch in die Zukunft?
Mmh … meistens optimistisch, weil ich tolle Menschen kennenlerne, die viel bewegen. Aber dann werde ich auch immer wieder darauf hingewiesen, dass man doch nur die Welt sieht, in der man sich bewegt. Es muss ein Paradigmenwechsel stattfinden, der von der Bildung, über unsere Art zu Arbeiten bis zum Miteinander geht. Wenn wir uns hier mehr trauen würden, wäre ich noch optimistischer.
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Daniela Mahr stellt den „Green City Guide Wiesbaden“ am Montag, 11. Juli, um 12 Uhr im Rahmen der Eröffnung der Ausstellung „Bilder der Zukunft“ im Umweltladen Wiesbaden offiziell vor. Mit mehr als 200 Einträgen liefert der Green City Guide einen einzigartigen Überblick über Einkaufsgelegenheiten, Freizeittipps sowie Cafés und Restaurants, die sich an zukunftsfähigen, fairen, ökologischen sowie sozialen Maßstäben orientieren. Ein weiterer Bonus sind zahlreiche Gutscheine zum vergünstigten Einkaufen und Ausgehen. Das Filmfestival findet am Wochenende vom 23. bis 25. September 2016 in der Caligari Filmbühne statt. Für Debatten, Workshops, Netzwerkveranstaltungen und das gesellige Beisammensein wurde mit Räumlichkeiten des Heimathafens der passende Ort gefunden.