Interview Dirk Fellinghauer. Foto Simon Hegenberg.
Nassauischer Kunstverein, klingt ganz schön verschnarcht – ist Ihr Verein aber nicht wirklich, oder?
Ich hoffe nicht. Die Gründung des Vereins 1847 geht auf das Herzogtum Nassau zurück. Wir haben viel und oft darüber nachgedacht, ob wir den Namen ändern. Aber es ist ja gerade klasse, dass in dem jungen Staat aus dem Bürgertum gleich das Verlangen nach Kunst kam. Das kann man gar nicht hoch genug halten, auch in der heutigen Zeit, in der wieder versucht wird, die Bürger zu motivieren, sich nicht nur verwalten, sondern aktiv an ihrem gesellschaftlichen Leben mitwirken zu lassen. Und es gibt dieses Wort „Nassauern“. Das war eine große Geste des Herzogs, den Studenten das Teilhaben an einem Esstisch zu ermöglichen. Bei jeder Eröffnung machen wir eine Tafel, jeder kommt und nimmt teil, und wir teilen und haben ein gutes Gespräch zusammen und Spaß. Da geht es auch darum, dass man über die Kunst, über ein gesellschaftliches Ereignis, zum Menschen kommt.
Welche Kriterien muss ein Künstler erfüllen, um im NKV gezeigt zu werden?
Die Kunst muss gut sein! Wir suchen frische Ideen und junge noch nicht etablierte Kunst, die in die Gesamtidee des Kunstvereins passt, wobei hier immer Wiesbaden als Fluxus-Gründungsstadt mitschwingt. Übrigens ein Aspekt, von dem ich finde, dass Stadt und auch Stadtmarketing ihn nicht genügend herausstellen. Es ist spannend, Künstler und Sichtweisen von außen in die Stadt zu bringen, um dadurch dann wieder zu einem neuen Dialog zu kommen. Viele der hier gezeigten Künstler waren dann später auf den großen Biennalen der Welt zu finden. So zeigen wir neben regionalen Positionen zum Beispiel auch Kunst aus Vietnam, von den Bahamas, nächsten Sommer werden wir südamerikanische Videos zu Aspekten des Fußballspiels parallel zur WM haben.
Wie ist das Verhältnis zum „großen“ Nachbarn, dem Museum?
Sehr gut – mit Tradition freundschaftlich. Die Gründung des Museums geht ja mit auf den Nassauischen Kunstverein zurück. Meistens kann das Museum mehr für uns tun als wir für das Museum, weil sie einfach den größeren Mitarbeiterstab und finanziellen Rahmen haben. Letztes Jahr gab es die gemeinsame Fluxus-Ausstellung. Wir besuchen uns gegenseitig zu Eröffnungen und versuchen, gemeinsam an einem Strang zu ziehen, stadtpolitisch etwa. Künstler, die bei uns ihre ersten Ausstellungen hatten, fanden später einen Platz im Museum. So etwas macht dann Freude.
Was war der peinlichste Moment bei einer Vernissage?
Da fällt mir eigentlich keiner ein. Bei uns geht es eher locker auf Vernissagen zu, deswegen entsteht Peinlichkeit erst gar nicht.
Sollte Kunst politisch sein?
Wenn sie nicht instrumentalisiert wird, ja. Sie sollte eine gesellschaftspolitische Komponente haben, also nicht nur Ästhetik. Ich bin aber kein Fan von sehr dokumentarischen Ansätzen. Kunst sollte in erster Linie Kunst sein. Diese Freiheit, die das Wort beinhaltet, wird natürlich sofort untergraben in dem Moment, wo ich sage, „Kunst sollte …“
MENSCH
Wie haben Sie den Sommer verbracht?
In Wiesbaden! Wir hatten Besuch aus Australien und haben uns zusammen in Wiesbaden viel angeschaut, waren im Rheingau unterwegs und auch in vielen Schwimmbädern – Opelbad, Maaraue, Schlangenbad. Mein Sohn ist 9. Wir fahren ganz bewusst in den Sommerferien nicht weg, höchstens kleine Sachen, mal Zelten gehen am Wochenende oder Paddeln auf der Werra. Aber ich finde, der Sommer ist in Deutschland so schön – zumindest wenn er so ist wie in diesem Jahr -, dass man hier bleiben kann.
Was erwarten Sie von den Wahlen am 22. September?
Ich komme aus einem alten Politikerhaushalt, meine Eltern waren beide Regionalpolitiker, und nehme meine Wählerpflicht sehr ernst, habe noch nie eine Wahl verpasst in meinem Leben. Aber im Moment fällt es mir richtig schwer. Man muss ja eigentlich davon sprechen, was das kleinere Übel ist. Ich glaube, dass mit unserem System komplett etwas nicht in Ordnung ist und wir das überdenken müssen, ohne jetzt einen Lösungsvorschlag in der Tasche zu haben. Was hier in den letzten Wochen ans Tageslicht gekommen ist, darüber darf man gar nicht nachdenken. Ich habe nichts zu verheimlichen und mir ist klar, dass eine E-Mail wie eine Postkarte ist, die jeder lesen kann – aber was dahinter steckt, mit welcher Selbstverständlichkeit das gemacht wird und wie wenig Bewusstsein gezeigt wird, dass hier etwas nicht richtig ist , und das durch alle politische Reihen, das finde ich eher erschreckend.
Sie sind im Ruhrpott geboren, am Niederrhein aufgewachsen – kommen Sie mit Wiesbaden und den Wiesbadenern zurecht?
Ja. Ich bin eher Niederrheiner und bin gewohnt, dass nicht viel geredet wird. Ich habe dann in Köln Kunstgeschichte studiert, da ist es genau das Gegenteil, da redet jeder mit jedem. Diese Geselligkeit von Köln, finde ich, kann man hier schon ein bisschen wieder finden, wenn auch nicht ganz so stark. Was mir hier manchmal fehlt, ist die Identifikation mit der Stadt. Auffällig ist für mich, wie wenig das Gefühl vorhanden ist: ich bin ein Wiesbadener. Das kommt nicht so richtig rüber. Das finde ich schade, die Stadt muss sich nicht verstecken. Hier gibt es viel, die Stadt hat viel, das Umland hat viel, es gibt tolle Menschen. Aber vielleicht liegt das daran, dass so viele Zugezogene hier leben.
Haben Sie selbst künstlerisches Talent?
Ich habe die Aufnahmeprüfung an zwei Kunsthochschulen mit Auszeichnung bestanden und hätte dort auch ohne Abitur studieren können. Ich habe danach aber nie wieder etwas Künstlerisches gemacht. Ich habe nur auf die Prüfung hingearbeitet, und das war´s dann. Ich kenne einfach so viele Leute, die so richtig gute Kunst machen, und glaube nicht, dass ich da mithalten könnte, von daher ist das sicher besser so.
Wem sind Sie richtig böse?
Da fällt mir niemand ein. Ich bin auch nicht so nachtragend. Ich vergesse die Dinge dann gerne, die nicht so gut war.
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Heute um 18 Uhr ist im Nassauischen Kunstverein die Vernissage der Ausstellung „Echo Release“, die bis 24. November 2013 zu sehen sein wird.
Die Ausstellung Echo Release bringt erstmals eine Auswahl an Werken der Stipendiaten der Hessischen Kulturstiftung zusammen, die es Künstlern seit 20 Jahren ermöglicht, Erfahrungen im Ausland zu sammeln. Reisen stellen seit der Renaissance einen wichtigen Aspekt der Künstlerwerdung dar. Anhand der zeitgenössischen Künstlerreise werden Fragen nach dem Bezug zu Orten und Kulturen in einer gegenwärtigen künstlerischen Praxis gestellt.
Sunah Choi / Lukas Einsele / Nadine Fraczkowski / Gülsüm Güler / Oliver Husain / Annette Kisling / Andrei Koschmieder / Pia Linz / Shane Munro / Martin Neumaier / Peles Empire / Sascha Pohle / Katja Pratschke und Gusztáv Hámos / Att Poomtangon / Mandla Reuter / Nada Sebestyén / John Skoog / Adrian Williams / Haegue Yang