Interview: Dirk Fellinghauer. Foto: Arne Landwehr.
BERUF
Wofür und für wen gibt es das Freiwilligen-Zentrum (FWZ) Wiesbaden?
Wir sind die zentrale Anlauf- und Servicestelle für Engagierte in Wiesbaden und alle, die es werden wollen. Wir bieten Beratung und Informationen für Menschen, die sich ehrenamtlich einbringen wollen, aber ebenso für Organisationen und Einrichtungen, die Ehrenamtliche erreichen und gewinnen wollen. Wir wollen Lust auf Ehrenamt machen.
Sie sind seit fünf Jahren dabei – wie hat sich das Freiwilligen-Zentrum, wie haben Sie das Freiwilligen-Zentrum verändert?
Als ich dazukam, war das FWZ schon in einem großen Wandel – und ich habe eine Idee von einer Vision mitgebracht. Wir haben die neuen Räume in der Friedrichstraße bezogen – ein echter Glücksfall -, es wurden neue Fachstellen geschaffen. So konnte ich unter tollen neuen Rahmenbedingungen eine neue Größenordnung anvisieren und gemeinsam mit dem besten Team der Welt umsetzen – von einer kleinen kompakten Organisation hin zu „offen für alle“ und mit weiter entwickeltem Netzwerkgedanken. Ich selbst habe von meiner beruflichen Vorerfahrung eine bundesweite Perspektive mit eingebracht. Nach dem Studium hatte ich zuletzt acht Jahre lang einen Verein in Frankfurt mit aufgebaut, der junge Menschen mit Migrationsbiographie als authentische Vorbilder in den Fokus rückt.
Wie politisch ist Ihre Arbeit?
Wir agieren überparteilich und sind mit allen Parteien im Gespräch, die Rahmenbedingungen für das Ehrenamt zu stärken. In der aktuellen Haushaltslage wird es auch darum gehen, dass es nicht zu Kürzungen kommt. Unsere Aufgabe ist auch, die Rolle der Ehrenamtlichen immer wieder zu betonen – wie viele es gibt, welchen gesellschaftlichen Impact sie haben. Nach Schätzungen gibt es in Wiesbaden etwa 60.000 ganz unterschiedlich ehrenamtlich Engagierte. Die Zahlen gehen aber runter, es droht auch ein Vereinssterben. Damit steigt der Bedarf, die Menschen zu aktivieren.
Zum Beispiel mit der neuen Ehrenamtsmesse wi-do-it , die Sie – präsentiert von sensor als Medienpartner – am 15. Juli im RMCC erstmals veranstalten.
Mit diesem Format wollen wir auch neue Zielgruppen ansprechen. Jede:r Wiesbadener:in sollte sich diesen Termin sowas von markieren! Wir wollen – mit über 50 Ausstellern und Rahmenprogramm – in unkomplizierter Atmosphäre Menschen neugierig machen, wo sie sich alles engagieren können – und wie. Wer beruflich beansprucht ist, hat vielleicht nicht jede Woche zwei Stunden Zeit für ein Ehrenamt. Dafür gibt es aber flexible Modelle, sich zu engagieren. Für jeden ist irgendetwas dabei möglich. Als neue Zielgruppe versuchen wir, Jugendliche zu begeistern, zum Beispiel mit Workshops „Was ist Ehrenamt?“ in der Mittelstufe. Eine Entwicklung ist auch, dass sich viele Menschen mit Migrationsbiographie, ob aus der Ukraine, aus Afghanistan oder dem Iran, verstärkt einbringen. Ihr Engagement ist für sie auch ein guter Weg, hier Menschen kennenzulernen. Auch die Studierenden der Wiesbadener Hochschulen wollen wir verstärkt ansprechen und die in den nächsten Jahren massiv wachsende Gruppe der jungen Ruheständler.
Wer sich ehrenamtlich engagiert, gibt ganz viel – und bekommt auch was zurück?
Aber ja! Wenn wir uns fragen, wie leben wir eigentlich, dann verbringen wir alle doch viel zu viel Zeit mit digitalen Medien. Wir sind alle permanent im Stress und hektisch unterwegs, dominiert von Deadlines, rennen immer dem „Ideal“ hinterher. Dabei sollten wir zu einer inneren Resilienz finden und uns fragen: Warum mache ich das eigentlich? Und für wen? Dafür ist das Ehrenamt eine gute Möglichkeit. Hier sehe ich 1:1, was ich bewirken kann, im direkten menschlichen Kontakt. Andere Menschen so direkt glücklich zu machen, das gelingt mir nicht mit dem Outlook-Kalender, wohl aber im ehrenamtlichen, sinnvollen und sinnstiftenden Engagement. Hier helfe ich wirklich, hier mache ich den Unterschied! Und: Es macht auch sehr viel Spaß. Engagement ist auch ansteckend, die Menschen definieren sich über ihr Ehrenamt und motivieren wiederum andere.
MENSCH
Engagieren Sie sich selbst ehrenamtlich?
Ich habe zwei ehrenamtliche Vorstandsämter, in der Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen und bei der vhs Wiesbaden. Ein anderes Engagement ist eine Vormundschaft, die meine Schwester und ich von meiner Mutter „geerbt“ haben. Wir kümmern uns um Roswitha, inzwischen 67, eine ganz liebenswerte Frau mit Beeinträchtigungen. Und bei Kurzzeit-Engagements bringe ich mich auch ein, wann immer es geht, zum Beispiel gerade im Juni im Rahmen des Wiesbadener Host Town Programms für die Special Olympics.
Was hat Sie in den Rheingau verschlagen?
Vorher habe ich direkt an der Dotzheimer Straße gewohnt – muss ich mehr sagen? (lacht) Autoverkehr ohne Ende. Geboren bin ich in Lübeck, aufgewachsen bin ich in Berlin, da wollte ich jetzt mal aufs Land. Ich genieße die Ruhe und die Weite.
Wie verbringen Sie Ihre Zeit, die Ihnen neben Beruf und Ehrenamt bleibt?
Mit Menschen, die mir wichtig sind. Mit meinem Mann und, ich bin ein Menschenfreund, vielen Freunden in ganz Deutschland. Die besuchen wir alle oft, deshalb sind wir am Wochenende eher selten in Wiesbaden. Mein Mann hat italienische Wurzeln, deshalb sind wir auch gerne in Italien.
Sie haben Politikwissenschaften in Mainz studiert. Gibt es spezielle Denkrichtungen, die Sie besonders geprägt haben?
Mein großes Thema waren immer internationale Beziehungen und die Frage, wie kommen Menschen friedlich miteinander klar? Was müssen Menschen an Freiheiten aufgeben, damit ein friedliches Miteinander möglich ist? Das Thema Wohlfahrtsstaat und welche Rolle der Staat spielen sollte, hat mich auch immer interessiert.
Haben Sie ein künstlerisches Talent?
Nicht wirklich. Ich habe mal Klavier gespielt. Und ich glaube, ich bin ganz lustig. Bei unserer Hochzeit hatte die Standesbeamtin uns angeboten, während der Trauung einen persönlichen Spruch von uns gegenseitig vorzutragen. Ich habe mir sonst was überlegt, richtig romantisch sollte es sein, und welchen Spruch hat mein Mann über mich ausgewählt: Sie ist häufig unfreiwillig komisch! (lacht)