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Das große 2×5-Interview: Frank Marco „FM“ Ullmann, Wiesbadener DJ-Legende, 50 Jahre

 Interview: Dirk Fellinghauer. Foto: Arne Landwehr.

BERUF

Du bist seit einer gefühlten Ewigkeit in der Wiesbadener Nacht unterwegs. Wie ging das los?

Schon seit ich 10 war, habe ich angefangen, Platten zu sammeln. Mir war von Anfang an wichtig, das was ich cool fand, an andere weiterzugeben. Mit 15 – da hatte ich bereits an die tausend Platten – habe ich schon Tapes verkauft in Frankfurt an Klamottenläden und auch an Privatleute. Da ging das gerade los mit EBM (Electronic Body Music), daraus ist dann Techno entsprungen. Ich war immer ein Nerd in der Richtung – mit 15 war ich schon im Omen und im Dorian Gray, da saß ich an den Boxen und war so stolz, dass ich reinkam. Dieses Sven Väth-Ding, im Omen, das war die Initialzündung. Das ist explodiert. Du hast einfach nur „Techno“ auf einen Flyer geschrieben, irgend´ne Bar drunter, das Datum – und der Laden war voll.

Und dann bist du selbst als DJ durchgestartet.

Zuerst haben wir illegale Party gemacht. Es gab den Plattenladen, Boy Records – das weiß ich noch genau, wie die gesagt haben: Wir haben jetzt eine neue Schiene, das heißt Techno-House. Ich hatte eine Ausbildung als Industriekaufmann angefangen. Genau zu der Zeit, 1991, ging es los mit dem Flanell-Mittwoch. Donnerstags war ich dann immer krank oder kam zu spät. Die Lehre habe ich abgebrochen, dann dreimal die Woche im Flanell aufgelegt. Dann die ersten 20-Stunden-Raves in der Wartburg mit Westbam, Sven Väth, Hell … und ich durfte nachmittags spielen. Die Großen nachts, und ich stand als kleiner Junge immer dabei. Ich habe in eigentlich allen Läden und Clubs aufgelegt (die ausführliche Geschichte ab 18. April – nicht wie in der Printausgabe angegeben am 11.4. – auf www.sensor-wiesbaden.de). Als das Flanell zugemacht hat, war ich froh, dass ich aus diesem „Ain´t Nobody-Rapper´s Delight-Sex Machine“-Schema rauskam.

Du warst mittendrin, als das Basement zur Techno-Institution wurde.

Als einer der zwei Chefs vom Basement kam und fragte –  Wollen wir hier Techno aufbauen? – war das für mich der Schlüsselmoment. Eigentlich war das ein Indie-Laden. Wir haben es dann zum Technoladen gemacht. Ab 1995 war das Basement quasi das Wiesbadener Omen. Wild. Rough. Immer voll, egal, wer aufgelegt hat.

Wie steht es heute um das Clubleben in Wiesbaden?

Mittlerweile haben wir fast nichts mehr. Du kannst eigentlich gar nicht richtig ausgehen. Und wenn es neue Ansätze gibt, werden die schwer angenommen, oder auch torpediert von Seiten der Stadt. Wiesbaden ist keine Stadt für Clubkultur, das ist einfach so. Die Stadt hat eben andere Vorzüge. Das muss man akzeptieren. Es gibt wieder eine jüngere Szene, was ich so mitkriege und toll finde. Die sind aber auch alle gebeutelt von Genehmigungsfragen und Auflagen. Da fehlt die Toleranz seitens der Behörden. Die wollen, dass die Dinge außerhalb der Stadt laufen: Wenn ihr jung seid und wollt wilde Musik, geht alle runter zum Schlachthof. Oder macht was irgendwo im Industriegebiet auf. Aber lasst uns hier in der Stadt in Ruhe!

Wie verändert sich das Ausgehverhalten der Wiesbadener:innen?

Die meisten sind sehr privat orientiert, die gehen in Gruppen weg. Sie sind nicht mehr so wie wir damals – nicht mehr wild. Damals war alles sehr hedonistisch. Mittlerweile sind viele strukturierter, haben früh Karriere im Kopf und sind mit 20 oft schon so, dass sie nicht mehr dieses Verspielte haben wie wir damals, dieses sich ausprobieren. Tagelanges Durchfeiern gibt es kaum noch. Der Exzess ist nicht mehr so in Wiesbaden zuhause. Sie sind schon noch am Konsumieren, trinken gerne, rauchen wieder mehr Zigaretten, auch Gras. Aber dieses Wegschießen, das gibt es dann fast noch eher in der älteren Generation. Wenn du zwei, drei Tage wach bist, das finden die jungen Leute heutzutage eher befremdlich. Die gehen einen trinken und auch essen, und dann geht es privat weiter oder vielleicht nochmal in einer coolen Bar. Aber da ist kaum noch Potenzial für eine ausbaufähige elektronische Clubkultur.

MENSCH

Warum ist Nachtleben überhaupt wichtig für eine Stadt?

Es ist ganz wichtig, dass die Leute sich abkapseln von ihrem Alltagsstress. Das wird es immer geben. Das gab es schon seit Jahrtausenden. Du brauchst einen Gegenpol zu dem Tagesleben, wo du deine Aufgaben erfüllen musst, einfach den totalen Cut am Wochenende, komplettes Abschalten. Jeder Mensch braucht weltweit immer dieses Ventil. Das ging mit Techno, mit elektronischer Musik perfekt – wo du dich verlierst, und alle lieben sich. Alle sind eins über die Feierei!

Wie hast du deine persönlichen Exzesse verkraftet?

Gut! Zum einen dank guter Gene. Ich bin zum Glück einigermaßen gesegnet durch die Familie – alle weit über 90. Trotz relativ ungesunden Lebens hatte ich immer gute Werte. Natürlich, diese 6, 8, 10-Stunden-Sets,  das zehrt schon. Du musst immer deinen Körper kennen, das ist ganz wichtig. Ich habe nie wild drauf losgeballert mit Drogen. Ich wusste immer, was man wann wie verträgt. Eines wollte ich nie: nicht schlafen können – ich hasse das! Amphetamine waren nie meine Droge.  Ich habe mir auch immer eine Auszeit genommen, oben bei mir in der Natur, ich wohne schön im Grünen, da bin ich durch den Wald. Diese Oase war immer wichtig für mich. Seit neun Jahren habe ich einen Hund, mit dem bin ich auch immer unterwegs. Wichtig sind immer Ausgleiche. Jeder kann es so machen, wie er denkt. Da gibt es kein richtig und kein falsch, keine Dogmen.

Du erscheinst durch und durch als Wiesbadener. Geboren bist du aber in Mainz.

Das war reiner Zufall, das ist quasi ein schwarzer Fleck in meiner Vita. (lacht). Eigentlich war alles safe. Bis die Mutter dann jemanden besucht hat in der Mainzer Uni-Klinik, und genau da haben die Wehen eingesetzt. Und dann kam ich dort auf die Welt. Aber sonst habe ich mit Mainz nichts zu tun.

Hörst du privat auch Musik?

Privat höre ich alle Musik, ich höre Klassik, ich höre alles. Es geht um gute Musik. Ich spiele das, was mich berührt. Und ich höre auch das, was mich berührt. Ich verbiege mich da auch nicht. Natürlich muss man sich schon auch anpassen, als DJ bleibst du Dienstleister.

Für deine Mutter legst du auch manchmal auf.

Wir haben so eine Tradition. Die Mutter liebt es, was ich auflege, ganz verschiedene Richtungen, auch die Technomusik. Sie hat durch mich auch mal den Sven Väth kennengelernt. Sie liebt meinen Sound. Für sie lege ich immer einmal im Jahr auf, am 24.12., Heiligabend, wenn ich mit ihr alleine da sitze. Dabei essen wir dann, das ist so eine Retrospektive über das ganze Jahr und über alle möglichen Musikfacetten, die ich in der Liste habe – also Klassik, Achtziger, Siebziger, Elektronisch, ganz ruhige Sachen – und das dann acht Stunden lang. Die Mutter ist ja auch ein Nachtmensch.

Weiterlese-Tipp  – sensor-Editorial zum Wiesbadener Nachtleben: „Mosert ihr noch oder feiert ihr schon?“