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Das große 2×5-Interview: Jason Papadopoulos, Engagiert für Gemeinwohl-Ökonomie, 42 Jahre

Interview: Dirk Fellinghauer. Foto: Arne Landwehr

BERUFUNG

Was bedeutet Gemeinwohl-Ökonomie?

Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) bietet eine verlockende Alternative zur kapitalistischen Marktwirtschaft: Geld und Märkte sollen den Menschen dienen und nicht umgekehrt. Es geht nicht mehr um Wirtschaftswachstum, sondern um die stetige Erhöhung des Gemeinwohls – basierend auf den Werten Menschenwürde, Mitgefühl, Solidarität, soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie auf demokratischer Mitbestimmung und Transparenz. „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ So steht es schon im Grundgesetz.  Das Instrument der Gemeinwohl-Bilanzierung soll die Gemeinwohl-Orientierung eines Unternehmens messbar machen – auf Basis einer Matrix mit insgesamt 20 Indikatoren. Der Ansatz umfasst alle Bereiche der Gesellschaft.

Wo liegen die größten Hürden?

Ein deutsches Sprichwort sagt: „Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht.“ Auch wir haben es oft mit Unwissen und falschem Verständnis zu tun. Man muss sich sowohl mit dem GWÖ-Ansatz beschäftigen, als auch zum Teil mit unangenehmen Fragen mit dem aktuellen System auseinandersetzen. Früher wurden Nachhaltigkeitsaktivisten als baumumarmende Freaks, sozialistische Konzeptbefürworter oder Kommunisten gebrandmarkt. Ethisches, ökologisches und soziales Engagement wird auch heute oft noch spöttisch als Gutmenschentum abgetan, belächelt oder verunglimpft. Im Hinblick auf die GWÖ herrscht oftmals die Angst, dass individuelle Rechte und Freiheiten eingeschränkt werden sollen. Oder dass ein sozial orientiertes Unternehmen keine Gewinne erzielen darf.

Corona“ stellt auch unser Wirtschaftssystem auf den Prüfstand. Jetzt müsste ja die große Stunde für eure Ideen schlagen?

Die aktuelle Lage hat uns ein verstecktes Geschenk gemacht: die Gelegenheit, nachzudenken, nach innen zu blicken und aufmerksam zu sein. Wir beginnen zu begreifen, was die wichtigen Dinge im Leben sind. Die Solidarität ist ins Rampenlicht gerückt. Geld ist nicht mehr Ziel, sondern Mittel zum Zweck. Kann und darf es sein, dass unser jetziges Wirtschaftssystem uns zu Konkurrenz, Gier, Geiz, Verantwortungslosigkeit, Rücksichtslosigkeit und Egoismus drängt? Unsere Gesellschaft muss sich jetzt die zentralen Fragen stellen: Was hält uns in diesem System? Was brauchen wir wirklich, um glücklich zu sein? Was sind die planetaren Grenzen? Was können wir solidarisch und gemeinsam erreichen?

Wie seid ihr organisiert?

Weltweit gibt es 11.000 Unterstützer*innen und mehr als 2.000 Aktive in über 150 Regionalgruppen, organisiert in 30 GWÖ-Vereinen. Mehr als 70 Politiker*innen sowie 200 Hochschulen verbreiten die Vision der GWÖ weltweit. Mehr als 2.200 Organisationen unterstützen das Modell, 500 davon sind Mitglied oder haben bereits eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt. Dazu zählen auch knapp 60 Gemeinden und Städte. Die Regionalgruppe Mainz-Wiesbaden entstand Anfang dieses Jahres, wir treffen uns regelmäßig in den Räumen einer gastgebenden Organisation.

Wenn mir eure Grundideen sympathisch sind, ich mich euch aber nicht anschließen will: Wo kann ich im persönlichen Alltag für mehr Gemeinwohl-Ökonomie ansetzen?

Über die Webseite ecogood.org findet man alles rund um die Initiativen und Aktivitäten der GWÖ. Interessierte Privatpersonen können ihre Reise in die Welt der GWÖ mit einem Online-Gemeinwohl-Selbsttest https://is.gd/selbsttest beginnen. Die GWÖ deckt sich in vielen Teilen mit den Forderungen einer nachhaltigen Wirtschaftsweise. Fördert man eine nachhaltige Wirtschaftsweise, fördert man auch die GWÖ: Handle bei deinen Aktivitäten nach den Werten der GWÖ-Matrix. Fördere mit dem eigenen Konsum die regionale Wirtschaft. Wechsle zu einer gemeinwohl-orientierten Bank und Krankenkasse. Beteilige dich an Bürgergenossenschaften und regionalen Kooperativen. Wähle bei Geldanlagen ethisch und umweltbewusst agierende Anbieter. Gerade im Finanzbereich erzielst du enorme Hebelwirkungen.

MENSCH  

Wie hast du Gemeinwohl-Ökonomie für dich persönlich entdeckt?

Der Impuls kam für mich in einem Nachhaltigkeits-Barcamp in Karlsruhe durch einen Teilnehmer, der die GWÖ kurz im Rahmen einer Sitzung erklärte. Zu dieser Zeit war ich sehr aktiv bei „Cradle to Cradle“ und fand, dass das Konzept die Ideen hinter der Kreislaufwirtschaft ergänzt. Ein paar Monate später traf ich auf der Fairgoods Messe in Mainz die Kollegen von der GWÖ Rhein-Main e.V. Insgesamt war es für mich eine subtile Entwicklung auf meiner persönlichen Reise zu nachhaltiger Entwicklung. Dabei wurde mir klar, was für mich wirklich maßgebliche Werte sind.

Wie setzt du die Ideen der GWÖ selbst um? 

Ich versuche, aus meiner Sicht offenkundige Fehlentwicklungen zu korrigieren: Reduzierung nicht notwendiger Einkäufe. Teilen, wo immer möglich, und Strukturen ermöglichen, die dies tun. Mieten statt kaufen. Lieferkette und Bedingungen für Menschen, Tiere und den Planeten entlang der gesamten Kette sorgfältiger prüfen. Auf der Grundlage meiner Werte prüfen, wo ich investiere, spare, versichere. Die größte spürbare Veränderung war beim Aufbau von Beziehungen: tiefer, breiter und symbiotischer.

Welches Potenzial hat Gemeinwohl-Ökonomie in Wiesbaden?

Sehr großes! In der Region Mainz-Wiesbaden gibt es zwei „GWÖ-Organisationen“ (Bioland und Synthro), mit der Bäckerei Kaiser ist eine dritte auf dem Weg. Wir würden gerne aktiv mithelfen, wenn unsere Landeshauptstädte als erste Großstädte in den beiden Bundesländern eine Gemeinwohl-Bilanz erstellen würden. Diese würden perfekt auf dem Status der „Fair Trade Town“ und anderen Initiativen aufbauen. Schneller wäre es, mit Betrieben zu beginnen, die einen soliden positiven sozial-ökologischen Fußabdruck haben. Wir haben das Glück, mehrere hier zu haben. Und wir haben neun Hochschulen, die ausgezeichnete Beschleuniger wären. Eine Vielzahl von Pionierorganisationen, die hier ihren Sitz haben und führend in den Bereichen Social Business und Genossenschaften sind, wären prädestinierte Kollaborateure. Wir könnten Mainz-Wiesbaden in den Mittelpunkt der globalen GWO-Landkarte positionieren.

Was ist für dich Wohlstand? 

Gesundheit und Zeit, um Dinge in meinem Leben auf diesem wunderbaren Planeten mit all den Pflanzen, Menschen und anderen Tieren zu erleben, mit denen ich mich auf meinem Weg befasse. Einen positiven Einfluss zu hinterlassen und mehr zu geben als ich genommen habe.

Du sprichst mehrere Sprachen – welche sind dies und wie kommt das? 

Aufgewachsen bin ich in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Dort ist Englisch die Hauptsprache, für mich auch meine überwiegende Schul- und Arbeitssprache. Französisch war meine zweite Schulsprache, zu der ich eine enge Affinität habe. Ich bin viel gereist, habe lange in der frankophonen Welt gelebt, gearbeitet und dort noch viele Freundschaften. Neben Englisch wurde in meiner Familie auch Griechisch und Bulgarisch gesprochen, so dass ich mich auch in diesen Sprachen heimisch fühle.

Jason ist auch Podiumsgast bei „Der visionäre Frühschoppen – Livestream“ am Donnerstag, 18. Juni, 20 Uhr, live aus dem Walhalla im EXIL zum Thema „Flood the zone with shit – Die veschworene Zone. Was macht Corona mit uns? Was machen wir aus Corona?“ Infos und Updates hier.