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Das große 2×5-Interview: Mita Hollingshaus, Stadtschulsprecherin, 18 Jahre

Interview: Dirk Fellinghauer. Foto: Nele Prinz.

BERUF/UNG

Der Stadtschüler:innenrat vertritt die Interessen der über 30.000 Schüler:innen in Wiesbaden. Wo setzt du als Vorsitzende persönliche Schwerpunkte?

Mir ist vor allem wichtig, dass wir ein noch besserer Ansprechpartner für Schüler:innen werden. Viele wussten gar nicht, wer wir sind oder dass es uns überhaupt gibt. Wir sind durch über zwanzig Schulen getourt und haben uns und unsere Arbeit vorgestellt. So haben wir auch Schüler:innen für unsere Arbeitskreise gewonnen. Wir wollen die Schülervertretungen stärken, dass sie mehr gehört werden und auch ihre internen Projekte besser umsetzen können. Ab Sommer bekommen wir glücklicherweise die Gelder erhöht auf 10000 Euro im Jahr anstatt bisher 3100 Euro. Wichtig sind auch unsere Projekttage gegen Antisemitismus und andere Diskriminierungsarten in Zusammenarbeit mit Spiegelbild.

Wie sehr beschäftigt der Krieg gegen die Ukraine die Schüler:innen?

Der Krieg ist ein großes Thema. Wir haben uns im SSR-Vorstand ausgetauscht, wie wir das handhaben, vor allem mit den jüngeren, und einen Brief rausgeschickt an die Lehrkräfte: Es gibt eine gute Spezialsendung der „logo“-Kindernachrichten, in der viele Fragen geklärt werden, die Kinder beschäftigen. Wir fanden es wichtig, dass das in den Klassen gezeigt wird, um Panik zu nehmen, aber auch aufzuklären. Wir finden es falsch, den Kindern nichts über den Krieg zu sagen. Sie haben das Recht darauf. Aber man muss es so machen, dass sie keine Angst bekommen.

Wie sehr prägt die Corona-Pandemie noch den Schulalltag?

Es ist immer noch ein Thema. Aber es nimmt ab, weil jedem klar ist, dass alles dafür getan wird, dass wir in der Schule bleiben. Corona hat das Thema Digitalisierung vorangebracht. Uns stört es, dass sich trotzdem alles so lange hinzieht. Die Ämter können aber nicht viel machen, wenn es Lieferengpässe gibt. So lange müssen wir die älteren Geräte aushalten. Längerfristige Folgen der Pandemie sehe ich schon. Wir bekommen viele Berichte, dass die Psyche von Schüler:innen leidet. Man sollte keine Angst davor haben, sich aktiv Hilfe zu suchen. Wir machen auf die Schulpsychologen aufmerksam, diese sind allerdings sehr überlastet. Ich kenne persönlich welche, die einfach die Schule ganz aufgegeben haben und keine Lust mehr haben. Das ist schade, weil sie es eigentlich können.

Und dann sind da noch die Sorgen der Jugend um den Zustand des Planeten.

Die Umwelt ist immer ein großes Thema. Das Interesse nimmt noch zu. Viele wollen aktiv etwas tun. Das sieht man auch in der Arbeit der Schülervertretungen. Die wollen auch mit Kleinigkeiten etwas verändern. Wir unterstützen teilweise auch Fridays for Future, der stellvertretende Stadtschulsprecher ist aktiv dabei. Natürlich sind hier nicht alle einer Meinung. Zum Beispiel fliegen wir als Kursfahrt nach Barcelona. Eine Gruppe meinte, das geht nicht, dass wir auf die Straßen gehen fürs Klima und dann fliegen, wir müssen mit dem Bus fahren. Da wird immer diskutiert, aber immer auf Augenhöhe, was ich sehr schön finde. Man redet, wird sich aber nicht einig.

Ein Dauerthema sind die Zustände der Schulen – was macht es mit Schüler:innen, in heruntergekommenen Gebäuden unterrichtet zu werden?

Es ist ein Problem, auch weil Schüler:innen oft nicht nachvollziehen können, wie das entschieden wird. Sie fühlen sich nicht wertgeschätzt. Wir versuchen, mit aufzuklären, da wir auch hinter die Kulissen schauen können. Schuld sind aber nicht nur die Ämter. Wenn Schultoiletten demoliert werden, kann ich das nicht nachvollziehen. Teilweise ist die Schulsanierung lahm, da stimme ich voll zu. Wir haben den Arbeitskreis Schulsanierung und die  Aktion #Schulensindeswert gestartet. Da können Schüler:innen uns Bilder schicken von maroden Stellen. Da haben wir jetzt allerdings noch nicht so viele erhalten.

MENSCH

Was motiviert dich und treibt dich an, Verantwortung zu nehmen und dich zu engagieren?

Ich mag es selbst, etwas zu verändern und anzupacken. Was mich schon immer genervt hat war, wenn Kinder gemeckert haben über irgendwas an der Schule, dann aber nicht in der Schülervertretung waren und ihre Meinung geäußert haben. Ich war schon in der Grundschule Klassensprecherin und in der Schülervertretung. Auch wenn es oft langwierig ist, bis man was verändert, lohnt es sich trotzdem.

In einem Bericht über ein Praktikum in Addis Abeba schreibst du „Wenn man sich verstehen möchte, dann kann man sich immer auf irgendeine Weise verstehen“ – weise Worte für eine damals 14-jährige Schülerin. Entspricht das nach wie vor deiner Erfahrung?

Damals habe ich es gesagt, weil ich dort kaum die Sprache beherrschte. Aber es stimmt schon: Irgendwie klappt es immer. Es gibt selten Menschen, mit denen ich mich nicht so gut verstehe. Ich versuche immer irgendwie, mich zu arrangieren und mich gut mit anderen zu verstehen, um auf Augenhöhe zu sein.

Du wurdest in Äthiopien geboren und kamst mit 4 Jahren nach Wiesbaden, wo du seither lebst. Was ist deine Geschichte?

Ich war in Äthiopien in einem Kinderheim. Ich wurde relativ früh verlassen, mit 3, aber auch mit knapp 4 Jahren adoptiert. Dann kam ich nach Deutschland und habe mich ganz schnell eingelebt und wohlgefühlt und auch sehr schnell Deutsch gelernt. Es wurde mein neues Zuhause. Im Westend bin ich zuhause und war dort auch im Globus-Kindergarten in der Scharnhorststraße. Ich weiß noch, als ich dort hingegangen bin, wollte ich am ersten Tag gar nicht mehr weg. Das hat mir so viel Spaß gemacht. Hier in Wiesbaden gibt es eine relativ große äthiopische Community. Da haben wir viele kennengelernt, mit denen wir heute noch Kontakt haben.

Du reist recht oft in dein Geburtsland. Wie erlebst du diese Reisen?

Ich mag Äthiopien sehr. 2008 kam ich her. 2011 bin ich zum ersten Mal wieder zurückgereist mit meinen Eltern. Das war teilweise privat, teilweise mit „Menschen für Menschen“. Die Menschen, die wir dort kennengelernt haben, habe ich direkt ins Herz geschlossen und wollte dann immer wieder mal zurück. Später haben wir eine Schule eingeweiht, die aus Wiesbadener Spendengeldern finanziert wurde. Die Menschen sind sehr herzlich. Ich mag die Kultur, das Essen gehört immer noch zu meinen Lieblingsessen, und ich fühle mich dort richtig wohl. Ich komme aber auch immer wieder gerne zurück nach Deutschland. Dort ist es doch teilweise sehr chaotisch, dann mag ich es, in mein organisiertes Leben zurückzukehren.

Zu unserem Doppeljubiläum – 100. Ausgabe, 10 Jahre sensor Wiesbaden – kannst du uns sicher sagen: Wie zeitgemäß ist ein gedrucktes Magazin noch aus Sicht deiner Generation?

Zeitung selbst lese ich gar nicht, also nicht in gedruckter Form. Das ist für meine Generation nicht mehr so zeitgemäß, das merke ich auch bei meinen Freund:innen. Wir informieren uns eher online. Ganz viele haben Instagram. Wenn man da Tagesschau oder ZDF abonniert hat, bekommt man auch blitzschnelle Nachrichten kurz und knackig erklärt. Oder auch Podcasts. Die gibt es jeden Morgen ab 6 Uhr. Die höre ich, bevor ich in die Schule gehe, damit ich weiß, was es Neues gibt. Ich höre aber auch Podcasts zum Thema Wissen oder zum Amüsieren auch mal Klatsch und Tratsch.