Von Dirk Fellinghauer. Foto Simon Hegenberg.
Sicher hätte er sich auch für seinen letzten Weg einen großen Auftritt gewünscht. Stattdessen wird Herbert Siebert heute im engsten Kreise auf seinem letzten Weg begleitet. Der Gründer und langjährige Leiter des Johann-Strauß-Orchester Wiesbaden, der unvergleichliche Dirigent und Musik-Vermittler, der lebensfreudige Lebemann Herbert Siebert, verstarb heute vor zwei Wochen am 9. Oktober friedlich zuhause. Von einer schweren Herz-OP im letzten Jahr hatte er sich zunächst erholt, dirigierte zum Jahresbeginn 2020 noch seine großen Neujahrskonzerte, nun verließen ihn doch die Kräfte. Heute wird er auf dem Nordfriedhof beigesetzt.
Corona hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht, die Pandemie macht den „großen Abschied“ unmöglich. Dass sehr sehr viele sehr sehr unterschiedliche Menschen gekommen wären, um Abschied zu nehmen, davon zeugt allein die Vielzahl, und die Vielfalt, der Trauer- und Dankesbekundungen in den sozialen Medien. Politiker, Gastronomen, Musiker, Fans – alle sind traurig, alle sind dankbar, alle haben „ihre“ Herbert-Siebert-Erinnerungen. Corona hat Herbert Siebert, wie so vielen, manchen Strich durch die Rechnung gemacht. Pläne hatte er immer – und hatte sie immer noch, obwohl nun schon 88. „Ich habe Großes vor“, war der große Leitspruch des Maestros, bei persönlichen Begegnungen – ob früher im Hotel Klee, später im Café Blum, ob bei „Niko“ oder in der „Nassauer Hof“-Bar, ob nachmittags, abends oder mitten in der Nacht – gerne ausgerufen mit strahlenden Augen und ausgebreiteten Armen. Was ihn von vielen Sprücheklopfern unterschied: Er realisierte auch Großes. Und er war ein Großer.
„Über den Walzer hinaus“, überschrieb der Verfasser dieser Zeilen mal ein Porträt über Herbert Siebert mit dem Untertitel: „Ein Leben für die und mit der Musik: dem Erfolgsgeheimnis des Herbert Siebert auf der Spur“. Dieses Porträt soll heute, am Tag des Abschieds von Herbert Siebert, den Ausnahmekünstler und -menschen würdigen und nochmal in Erinnerung rufen, was ihn ausmachte – umfassend und doch ganz sicher unvollständig.
„Beethoven oder Beatles, das ist für viele Musikfreunde eine Frage des „entweder oder“. Nicht so für Herbert Siebert. „Beethoven und Beatles“ lautet für den Dirigenten die selbstverständliche Antwort, das „sowohl als auch“ ist eine Maxime seines musikalischen Handelns – und sicher eines der Geheimnisse seines über Jahrzehnte währenden Erfolgs. Herbert Siebert hat ein klares Profil, er steht mit seinem Johann-Strauß-Orchester für den Namensgeber, für die Wiener Musik, für den Walzer. Herbert Siebert agiert und dirigiert aber weit über den Walzer hinaus, findet immer wieder neue Herausforderungen und erfindet sich und die von ihm geschaffene und verkörperte Marke „Johann-Strauß-Orchester Wiesbaden“ immer wieder neu. Da sind die Neujahrskonzerte, na klar, da gibt es aber auch Open-Air-Ereignisse, Konzerte mit weltberühmten Solisten, Förderung des musikalischen Nachwuchs, Benefizaktionen und und und. Da ist einer – neugierig, wach und offen – seit fast 30 Jahren am Puls der Zeit.
Sieberts Mission heißt Musik, Sieberts Leben ist Musik. Musik bereitet ihm größte Freude. Mit Musik, und mit hochkarätigen Musikern, bereitet er größte Freude. Natürlich wird sehr ernsthaft musiziert. Es sind rund sechzig Musiker aus den renommiertesten Orchestern der Republik, die der Maestro zu seinen Konzerten vereint und dirigiert. Die oft strengen und starren Regeln des Klassikbetriebs setzt er aber mit Entschlossenheit, mit Temperament und Charisma außer Kraft. Wo Siebert auftritt, darf auch geklatscht und sogar gelacht werden. Dass das Publikum trotzdem aber auch äußerst aufmerksam und konzentriert der Musik folgt, „passiert“ dann ganz von selbst.
Herbert Siebert weiß, wie es geht, und zwar sehr genau und nicht von ungefähr. Er hat in seiner Heimatstadt Kassel Musik studiert und an renommierten Häusern „praktiziert“. Nach Engagements in Lübeck und Göttingen ging es ans Staatstheater in Wiesbaden. Die Stadt sollte Siebert zur Heimat werden. 30 Jahre lang blieb er am Staatstheater, in den Ferien spielte er im Bayreuther Festspielorchester. Und schuf dort die Grundlage für das Johann-Strauß-Orchester, für das er Bayreuther Musikerkollegen rekrutierte. Schnell kamen Musiker aus ganz Deutschland dazu, ebenso wuchs der Radius der Auftritte. Von Wiesbaden aus, bis heute mit seinem Kurhaus Heimat und Hauptspielort des Johann-Strauß-Orchester Wiesbaden, ging es zu Konzerten im ganzen Land, auch in verschiedenen europäischen Ländern und sogar in Südkorea und Jordanien.
Die Ideen und Pläne gehen dem Mann im früher – als Verneigung vor dem Walzerkönig Johann Strauß – ausschließlich roten Frack, inzwischen auch – bei Sommerkonzerten – weißen oder – bei Beethoven – schwarzen Frack nicht aus. Apropos Beethoven: „Beethoven ist Gott, alle anderen sind nur Nebengötter“, erklärt Herbert Siebert, warum er bis zum Beethoven-Jahr – im Jahr 2020 wird der 250. Geburtstag des Komponisten gefeiert – jedes Jahr mindestens ein Werk Beethovens zur Aufführung bringt. Sein eigener 100. Geburtstag ist am 5. Dezember 2031. Für diesen hat der Vollblutmusiker schon einen konkreten Plan: Der Saal des Kurhauses, in dem er an seinem 80. Geburtstag zum Ehrendirigenten ernannt wurde, ist für das Geburtstagskonzert schon gebucht. E-Musik oder U-Musik, das ist oft die Frage. S-Musik, also Siebert-Musik, ist darauf eine überzeugende Antwort.“
Wir verneigen uns vor einem besonderen Wiesbadener, einem einzigartigen Künstler, einem unvergleichlichen Menschen – und ehren und erinnern uns an Herbert Siebert (05.12.1931-09.10.2020) mit diesem Fotoalbum.
La Rucola 😉