Von Max Radke. Fotos Arne Landwehr
Im Wiesbadener Stadtgebiet liegen 21 kommunale Friedhöfe. Hinzu kommen der neue Bestattungswald Terra Levis, sieben jüdische und ein russisch-orthodoxer Friedhof. Bis auf Letzteren werden alle vom städtischen Amt für Grünflächen bewirtschaftet. Damit wird auch der ökologischen Funktion von Friedhöfen Rechnung getragen. Dank parkähnlicher Anlagen leisten Friedhöfe einen Beitrag zum Stadtklima. Sie unterstützen die Sauerstoffproduktion, die Kühlung und die Staubreduzierung in der Stadt. Zuallererst bieten Friedhöfe aber Raum für ein pietätvolles Totengedenken und eine individuelle Erinnerungskultur.
Der Ort der letzten Ruhestätte wird nicht durch die Zugehörigkeit zu einem Ortsbezirk festgelegt, sondern ist frei wählbar. In den letzten Jahren ist ein Wandel der Bestattungskultur feststellbar: Urnenbestattungen werden immer beliebter. Auf dem Südfriedhof werden inzwischen etwa 80% der Toten in Urnen beerdigt. Gründe dafür sind wohl die niedrigen Kosten und die einfache Grabpflege im Vergleich zu Erdbestattungen. Historisch und künstlerisch wertvolle Grabmäler sind oft durch wetterbedingten Verfall gekennzeichnet. Um die denkmalgeschützten Grabstätten zu sichern und zu restaurieren, hat die Stadt in den 90er-Jahren ein Patenschaftsmodell eingeführt. Der Pate kann bei einem familiären Todesfall das Nutzungsrecht am assoziierten Grab vergünstigt erwerben. Bislang wurden über 120 Patenschaften abgeschlossen.
Südfriedhof
330.700m², seit 1908, Siegfriedring 25, Buslinie 16, Haltestelle „Südfriedhof“
Beim Betreten des größten Wiesbadener Friedhofs wähnt man sich in einem barocken Garten. Jeder Eibenbusch ist perfekt zur Kugel geschnitten. Eine knapp 100 Meter lange Rasenzunge, eingerahmt von säulenförmigen Lebensbäumen, bewirkt ein Gefühl von Weite und Helligkeit. Sie läuft auf die Ehrenfelder für die gefallenen Soldaten des ersten und zweiten Weltkriegs zu. Diesen wird auf dem Südfriedhof viel Fläche eingeräumt. Das Gräberfeld für die Opfer aus Euthanasieanstalten und aus Konzentrationslagern liegt dagegen versteckt neben einem der zahlreichen Seitenwege.Am östlichen Randstück des Südfriedhofs befindet sich ein Feld für Muslime. Die Gräber gleichen allen anderen. Wüsste man nicht über ihre Integration Bescheid, würden sie nicht auffallen. Ebenso innerhalb der Friedhofsmauern befinden sich ein syrisch-orthodoxes Gräberfeld und ein britisches Militärabteil. Trotz der Weitläufigkeit des Areals müssen Ältere und Gehbehinderte nicht auf einen Besuch verzichten. Die Stadt stellt kostenfrei ein „Friedhofs-Taxi“ bereit, das wochentags zwischen 7.30 und 15 Uhr, freitags bis 14 Uhr, Besucher an die Gräber von Angehörigen bringt.
Nordfriedhof
145.000m², seit 1877, Platter Straße 83, Buslinien 3 und 6 (Haltestelle „Nordfriedhof)
Monumentale Grabsteine und imposante Skulpturen zeugen von einer vergangenen Begräbniskultur, die heutzutage deutlich minimalistischer ausfällt. Die Wege des Nordfriedhofs sind zum Teil abschüssig, von Laub oder Eicheln bedeckt. An einem grauen Herbsttag kann der Friedhof zu einem mystischen Ort werden, an dem jede herunterfallende Baumfrucht eine Gänsehaut hervorruft. Hier, zwischen alten, hoch aufragenden Nadelhölzern, wurden historisch bedeutende Persönlichkeiten beigesetzt, zum Beispiel der ehemalige Oberbürgermeister Georg Buch (1903-1995), der frühere Fußballbundestrainer Helmut Schön (1915-1996) und Jazz-Legende Volker Kriegel (1943-2003). Der Nordfriedhof steht in seiner Gesamtheit unter Denkmalschutz – ein Alleinstellungsmerkmal unter Wiesbadens Friedhöfen.
Angeschlossen an den Nordfriedhof ist der neue jüdische Friedhof. Dieser ist derzeit der einzige für Begräbnisse genutzte Friedhof der jüdischen Gemeinde in Wiesbaden und darf von Männern nur mit Kopfbedeckung betreten werden.
Friedhof Biebrich
96.800m², seit 1855, Bernhard-May-Straße 26, Buslinie 39F, Haltestelle „Friedhof Biebrich“ (verkehrt nur sechs Mal am Tag ab Robert-Krekel-Anlage)
Zwei ältere Damen unterhalten sich angeregt über den Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst, als sie auf dem von Linden gesäumten Hauptweg gen Ausgang schlendern. Die Skandale der katholischen Kirche sind inzwischen auch auf dem Friedhof ein Gesprächsthema. Obwohl es sich um einen Stadtteilfriedhof handelt, ist er mit rund 10 Hektar Fläche der drittgrößte Friedhof Wiesbadens. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde er gezielt als Parkfriedhof angelegt. Die Bäume tragen zurzeit wahlweise ein rotes, gelbes oder noch immer grünes Blätterkleid. Bänke laden zum kontemplativen Verweilen ein. Trotzdem dringt das konstante Rauschen des Rhein-Main-Schnellweges ans Ohr und erinnert daran, dass der Friedhof mitten in der Stadt liegt. Die Gräber sind schon weitgehend mit herbstlichen Pflanzen geschmückt: Astern, Dahlien und Heidekraut – zwei Blumenhandlungen in der Bernhard-May-Straße versorgen die Friedhofsbesucher mit Grabschmuck.
Bestattungswald Terra Levis
10.000m², seit 2013, L3441 zwischen Frauenstein und Georgenborn , nur per Auto zu erreichen, vom Parkplatz „Bestattungswald Terra Levis“ 300m Fußweg bis zum Eingang.
„Möge dir die Erde leicht sein.“ Diesen Worten des römischen Dichters Martial verdankt der Bestattungswald „Terra Levis“, also „leichte Erde“, seinen Namen. Er gehört zum Frauensteiner Wald und umfasst aktuell 540 Bäume. Am Wurzelwerk der Buchen, Eichen oder Kiefern wird die Asche der Verstorbenen in biologisch abbaubaren Urnen beigesetzt. Ein Jahrhundert lang bleibt das Grab dann unangetastet durch menschliche Hände. Einzig die Natur kümmert sich um die Grabpflege. Ein Zeitraum, den kein herkömmlicher Friedhof gewähren kann. Um eine naturbelassene Atmosphäre zu erhalten, soll auf Blumen oder Lichter verzichtet werden. Dadurch sind die Grabstätten oft nicht als solche zu erkennen. Lediglich eine Gedenktafel am Baum weist auf die Verstorbenen hin.Der Wunsch, die Entfremdung von Mensch und Natur aufzuheben, scheint viele Menschen zu einen. Obwohl der Bestattungswald erst Anfang September dieses Jahres eingeweiht wurde, ist die Nachfrage bereits groß. Mehrheitlich sind es bislang Vorsorgefälle, d.h. Einzelpersonen, Familien oder Freundeskreise, die sich einen Urnenplatz unter einem Baum reservieren. Die Wege sind nicht asphaltiert, sondern nur mit Holzspänen präpariert.
Russisch-orthodoxer Friedhof
seit 1856, Christian-Spielmann-Weg 2, keine ÖPNV-Anbindung, Parkmöglichkeiten auf dem Vorplatz der russischen Kirche.
Die Kapelle der russisch-orthodoxen Kirche mit ihren goldenen Zwiebeltürmen dürfte wohl jeder Wiesbadener kennen. Wesentlich unscheinbarer ist der dazugehörige Friedhof auf dem Neroberg. Leicht oberhalb der Kapelle gelegen, war er seit seiner Einweihung im Jahr 1856 lange Zeit der einzige russische Friedhof auf deutschem Boden mit entsprechendem Einzugsbereich bis in das deutsch- und französischsprachige Ausland. Wiesbaden zog als Kurstadt zahlreiche Adlige aus dem damaligen Zarenreich an. Deshalb wurden auf dem russischen Friedhof Gräfinnen und Fürsten begraben, aber auch der expressionistische Maler Alexej von Jawlenksy. Dennoch haftet ihm kein prätentiöser, herrschaftlicher Glanz an. Grabschmuck ist nicht vorhanden, die Grabsteine sind fast ausschließlich schwarz. Einzig Jawlenskys Grab ziert ein strahlend weißes orthodoxes Kreuz. Über die eindrucksvolle Geschichte der Kapelle und des Friedhofs klären 17 bunte Informationstafeln auf, die an die Friedhofsmauern montiert wurden. Sie sind mit historischen Fotografien und Schriftstücken bebildert. Auffällig ist die bilinguale Konzeption – die Texte sind auf Deutsch und auf Russisch geschrieben. Dies bleibt allerdings die einzige Möglichkeit, den Friedhof kennenzulernen. Es handelt sich um ein Privatgelände. Das Eingangstor öffnet sich nur für Gemeindemitglieder oder auf Anfrage bei der Kirche.