Direkt zum Inhalt wechseln
|

Die Prämierung des Wiesbadeners Frank Witzel durch eine überschwänglich-begeisterte Buchpreis-Jury im Herbst 2015

frankwitzel_»Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969«_deutscher_buchpreis

 

Von Dirk Fellinghauer. Bild: Matthes & Seitz.

Gäbe es einen Preis für den sperrigsten Buchtitel, wäre die Auszeichnung keine Überraschung. Beim Deutschen Buchpreis sieht die Sache schon anders aus. Selbst wenn man dem Autor eine kleine Prise Koketterie zugestehen darf, dass er sich selbst als „krassen Außenseiter“ gesehen hat, ist es doch ein Ding – und aus Wiesbadener Sicht ein klasse Ding! – dass er heute Abend bei der wie immer mit Spannung erwarteten Verleihung des Frankfurter Buchpreises als Sieger vom Platz, beziehungsweise aus dem Frankfurter Römer, ging. Er, das ist der 1955 in Wiesbaden geborene Autor Frank Witzel – und es ist sein Roman mit dem Titel „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“. Der 60-Jährige schildert in seinem „im besten Sinne maßlosen Romankonstrukt“, so die Buchpreis-Jury in ihrer Begründung, auf 800 Seiten die Nachkriegszeit aus der Sicht eines 13-Jährigen im Wiesbadener Stadtteil Biebrich. Er tue dies in den „drei Feldern Politik, Pop und Paranoia“ und in ganz unterschiedlichen literarischen Formen.

Der Preisträger, der mit 22 seinen ersten Gedichtband und 2001 seinen ersten Roman veröffentlicht hat, sagte heute bei der Preisverleihung: „Ich wusste selbst nicht, als ich den Roman fertiggestellt hatte, ob mir was geglückt ist oder ob ich mich völlig verrannt habe.“ Die sieben Jurorinnen und Juroren des Buchpreises waren sich wohl schnell sicher, dass Witzel, der 15 Jahre an seinem – natürlich – autobiographisch geprägten literarischen Mammutwerk arbeitete, etwas ganz Besonderes geglückt ist. Ihre überschwängliche Begeisterung klingt alles andere als pflichtschuldig.

Mischung aus Wahn und Witz

Die Jury-Begründung im Wortlaut: „Frank Witzels Werk ist ein im besten Sinne maßloses Romankonstrukt. Erzählt wird die Geschichte eines Jungen aus der hessischen Provinz, der sich im Alter von dreizehneinhalb auf der Schwelle zum Erwachsenwerden befindet. In diese Geschichte eingewoben ist das politische Erwachen der alten Bundesrepublik, die beginnt, sich  vom Muff der unmittelbaren Nachkriegszeit zu befreien. Diese Ära des Umbruchs wird heraufbeschworen in disparaten Episoden, die unterschiedlichste literarische Formen durchspielen, vom inneren Monolog über die Action-Szene oder das Gesprächsprotokoll bis zum philosophischen Traktat. Der Roman ist in seiner Mischung aus Wahn und Witz, formalem Wagemut und zeitgeschichtlicher Panoramatik einzigartig in der deutschsprachigen Literatur. Frank Witzel begibt sich auf das ungesicherte Terrain eines spekulativen Realismus. Mit dem Deutschen Buchpreis wird ein genialisches Sprachkunstwerk ausgezeichnet, das ein großer Steinbruch ist, ein hybrides Kompendium aus Pop, Politik und Paranoia.“

Lesung in Wiesbaden im Februar 2016

In den nächsten Tagen ist Frank Witzel auf der Buchmesse unterwegs und wird dort sicher ein gefragter Gesprächspartner sein. Wer den in Offenbach lebenden Autor, der zudem Essayist, Illustrator und Musiker ist (in Wiesbaden besuchte er nach seiner Schulzeit das Konversatorium, Klavier, Cello und klassische Gitarre hatte er schon als kleines Kind gelernt), in seiner Heimatstadt erleben will, muss sich ein wenig gedulden: Am 18. Februar 2016 liest er im Literaturhaus Villa Clementine aus „Die Erfindung“. Hey, fehlt da nicht ein Großteil des Titels? Schon – aber: Wer sein gut ein Kilogramm schweres Buch einmal in der Hand gehalten habe, dürfe es auch einfach „Die Erfindung“ nennen, erlaubte Witzel heute gnädig. Und zumindest das kann der Verfasser dieser Zeilen von sich behaupten. Die 800 Seiten gelesen zu haben, allerdings nicht. Noch nicht! Herzlichen Glückwunsch aus Wiesbaden an einen bemerkenswerten und neugierig machenden Wiesbadener!

„Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ ist im Verlag Matthes & Seitz, Berlin, erschienen. 800 Seiten. 29,90 EUR.  www.matthes-seitz-berlin.de Hier gibt es eine Leseprobe.

Die Frankfurter Buchmesse findet vom 13. bis 18. Oktober statt. Publikumstage sind am 17. (9 bis 18.30 Uhr) und 18. Oktober (9 bis 17.30 Uhr). www.buchmesse.de