Von Rebekka Farnbacher. Fotos Simon Hegenberg.
Der Satz fällt oft: „Wiesbaden ist keine Fahrradstadt“. Aber warum eigentlich nicht? Was braucht eine Fahrradstadt? Oder anders gefragt: Was muss zuerst da sein – Radfahrer oder Radwege? … Sonntagvormittag, Sonnenschein, endlich mal wieder die Lungen entschlacken. Dass Wiesbaden sehr bergig ist, zieht nicht als Ausrede, wofür gibt es Gangschaltungen? Und außerdem: innerhalb von wenigen Minuten erreicht man den Wald, Ausflugsziele, wie die Platte, oder der Feldberg sind gut zu erreichen und schöne Strecken finden sich entlang des Rheins oder im Rheingau. Ein Traum für jeden Radsportler, möchte man meinen. Und dennoch gibt es diesen Unmut.
„Wir haben mit dem Taunus vor der Tür eigentlich einen großen Luxus, den aber nicht besonders viele wahrnehmen“, weiß Stefan Hartrampf, mit dem wir uns zur Ausfahrt verabredet haben. Der Mountainbikefan hat sich mit seinem Laden Tri-Cycles selbstständig gemacht und bietet neben dem Vertrieb exklusiver Markenräder aus Kalifornien auch Touren und Fahrtechnikseminare an. Er sprudelt vor Ideen und brütet gerade Pläne aus, in naher Zukunft in Wiesbaden Bike-Polo an den Start zu bringen. „Den typischen Nutzfahrer, der mit dem Rad zur Arbeit fährt, findet man in Wiesbaden kaum. Hier gibt es vielmehr Freizeitsportler, die hochwertige Räder besitzen“, beobachtet er bei seinen täglichen Touren. Wie sagte doch schon 2003 der damalige Oberbürgermeister Hildebrand Diehl in einer Wahlkampfdiskussion zum Thema Radwege: „Das Fahrrad ist ein Freizeitmittel par excellence, aber kein Fortbewegungsmittel.“
Hartrampf empfiehlt uns die Tour zum Nerotal und von dort aus durch den Wald bis hin zum Rabengrund. Hier findet sich eine wunderschöne Strecke unter grünen Blätterdächern und durch weitläufige Wiesen, die prompt vergessen lassen, dass man sich noch kurz zuvor an parkenden Autos auf der Taunusstraße vorbeigearbeitet hat. Ein Idyll, das für den Laien-Radler gut zu erreichen ist und dennoch auch den Fitness-Faktor abdeckt. Von Unmut keine Spur.
Reizthema Radwege
Zum unliebsamen Thema wird Radfahren in Wiesbaden scheinbar nur dann, wenn es um die Radwege in der Innenstadt geht. Das Wort Lebensgefahr wird in diesem Zusammenhang erschreckend häufig benutzt. Die Wege seien zu wenig verteilt, oft zugeparkt oder endeten teilweise im Nichts, heißt es. Petra Bermes hat mit ihrem Konzept „Fahrradstadt Wiesbaden“ am „Tourismuspreis für meine Region“ teilgenommen und schaffte es immerhin in die Endauswahl. Zu ihrer Vision gehört, die breiten Straßen der Stadt zu nutzen, um Radwege anzulegen, die auch auf dem Mittelstreifen des 1. Rings Platz finden könnten, ohne den übrigen Verkehr zu beeinträchtigen. Darüber hinaus könne man – wie in anderen Städten längst praktiziert – Fahrradstationen anlegen, an welchen auch Touristen bequem per Geldkarte Fahrräder und E-Bikes ausleihen können. In Wiesbaden muss Bermes regelmäßig die Luft anhalten, wenn ihre 18-jährige Tochter auf Partys zum Schlachthof entlang der Ringstraße radelt: „Mir ist es tausend Mal lieber, wenn sie dafür den Bürgersteig nutzt.“
Auch Mitglieder des Vereins „Gravity Pilots“ – unter dem Motto „… auf zwei Rädern spielend die Gesetze der Schwerkraft erkunden“ vorzugsweise auf sogenannten Dirtbikes unterwegs – und die Mitarbeiter des Fahrradladens All Mountains unterstützen diese Meinung. Das Wegenetz in der Stadt sei einfach nicht ausreichend ausgebaut. Die Politik sei für Veränderungen in diesem Bereich schlichtweg unvorteilhaft besetzt, ist aus Gesprächen herauszuhören. Dass Wiesbaden im Gegensatz zu anderen Metropolen weit zurückliegt, wird von der Stadtverwaltung sogar bereitwillig eingeräumt. Bis Mitte der Achtziger haben sich die Stadtverordneten kaum mit dem Thema auseinandergesetzt. Mit dem Aufkommen der Fitnesswelle und neuer Radmodelle gewann die Debatte an Brisanz, der Straßenraum war bis dato allerdings schon verteilt. „Heute wird deshalb ein Umverteilungskampf ausgefochten, weil für die Berücksichtigung der Radler immer eine andere Gruppe beschnitten wird – seien es Fußgänger, Autofahrer oder Bäume“, erklärt Gerald Berg vom Tiefbauamt.
Es kann nur besser werden
Fest steht: Radfahren ist Trend. Egal, ob Mountainbike, Downhill oder Rennrad, ob Familien, Rentner oder junge Sportbegeisterte – steigende Spritpreise und der Drang zu sportlicher Betätigung lassen zum Drahtesel greifen. Fest steht außerdem: Gespräche zum Ausbau der Radwege sind im Gange und lassen auf künftige Verbesserungen hoffen. Interessen ließen sich leichter vertreten, wenn sich unterschiedliche Gruppen gegenseitig mit mehr Rücksicht begegnen würden. „Bei Konflikten, wie zum Beispiel zwischen Wanderern und Radfahrern im Wald, geht oft viel Spaß flöten“, bedauert auch Hartrampf. Wiesbaden hat durchaus Potenzial zur Fahrradstadt: dass das Umland Vorteile bietet, liegt auf der Hand; dass die Topografie für die Fitness Vorteile bringt, macht sich spätestens am Tag danach auf Hintern und Oberschenkeln bemerkbar.
Welche – positiven oder negativen – Erfahrungen macht Ihr in der „Fahrradstadt Wiesbaden“? Und welche Perspektiven seht Ihr? Her mit Euren Vorschlägen!