Liebe Leserinnen und Leser, es tut mir wirklich leid, aber ich muss sie mit einer schockierenden Nachricht konfrontieren: Wiesbaden ist eine Großstadt. Ja wirklich, Sie haben richtig gelesen: Wiesbaden ist eine Großstadt! Fast 300.000 Menschen leben offiziell im Gebiet der hessischen Landeshauptstadt, ab einer Bevölkerungszahl von 100.000 Einwohnern zählt eine Stadt als Großstadt.
Warum ich Sie mit dieser Nichtigkeit an Nachricht behellige? In letzter Zeit höre und lese ich immer wieder Kommentare wie: „Was? Wiesbaden, soll eine Großstadt sein? Das ist doch ein Witz?“ Nee, kein Witz, sondern Fakt. Aber es passt in diese Zeit, in der Gefühle die neuen Fakten sind.
Natürlich können wir uns darüber streiten, ob Wiesbaden ein urbanes Flair hat, ob das Gastronomie- oder Veranstaltungsangebot großstädtisch genug ist oder die Stadt überhaupt wie eine Großstadt wirkt. Je nachdem wie die persönlichen Vorlieben sind, können die Antworten unterschiedlich ausfallen. Die Topografie Wiesbadens tut ihr Übriges. Der Innenstadtbereich ist relativ klein, die eingemeindeten Ortschaften ringsherum dafür umso zahlreicher. Mag sein, dass das Kleinstadtfeeling deshalb nie ganz verschwindet. Aber es ändert nichts daran, dass fast 300.000 Menschen in Wiesbaden leben und Wiesbaden seit fast 100 Jahren eine Großstadt ist.
Im Jahr 1919 lag kriegsbedingt die Zahl der Einwohner letztmals unter 100.000. Seit 1947 leben mehr als 200.000 Menschen in Wiesbaden, wann die 300.000-Einwohner-Grenze überschritten wird, ist nur noch eine Frage von wenigen Jahren. Im Netz lese ich stattdessen: „Ich sehne die Zeit zurück, als Wiesbaden noch klein und übersichtlich gewesen ist.“ Die Frau muss ganz schön alt sein, denn klein und übersichtlich war Wiesbaden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als Wiesbaden zuletzt eine fünfstellige Einwohnerzahl hatte.
Aber vielleicht liegt genau hier das Problem: Das Kleinstadtfeeling hat sich so in den Köpfen festgesetzt, dass der Blick für die Realität getrübt wird. Denn selbst wenn man Wiesbaden als die schnarchigste, langweiligste und am wenigsten großstädtisch wirkende Stadt überhaupt wahrnimmt: Die Herausforderungen und Probleme mit denen Wiesbaden zu kämpfen hat, sind in ihrer Größe und Intensität die einer Großstadt. Beispiel Kriminalität. Natürlich ist jedes Verbrechen eines zu viel. Aber es kann doch ernsthaft niemand verwundern, dass es Kriminalität in all ihren Facetten auch in Wiesbaden gibt – und das nicht erst seit gestern, sondern schon seit immer und zum Teil schlimmer als heute. Dafür genügt ein Blick in alte Kriminalitätsstatistiken oder Tageszeitungen.
Es ist leider so: Wo viele Menschen leben, gibt es auch viele Probleme. Je eher wir uns das eingestehen, desto eher können wir uns der Lösung widmen.
Mehr Falk Fatal: http://fatalerror.biz/
Eine wirklich interessante Theorie, die auch erklären würde, warum so viele Wiesbadener gegen die CityBahn sind: Nach der Einführung müsste man ja zugeben, dass wir kein 1000-Seelen-Dorf mehr sind und die Probleme anders als früher gelöst werden müssen. Auch die Emotionen, die immer wieder auftauchen, sind plötzlich verständlich…