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Gute Nacht, Wiesbaden! Editorial Februar-sensor

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Gute Nacht, Wiesbaden!

Tja, das kann man jetzt so oder so lesen, liebe sensor-Leserinnen und –Leser. Wünsche ich Ihnen eine gute Nacht, oder ist es eine abfällige Bemerkung über unsere Stadt? Beides ist drin, und beides macht Sinn. Sie können in Wiesbaden, das ist das Resultat unserer großen Titelreportage zum Nachtleben in Wiesbaden, sehr gut eine super Nacht erleben. Wenn Sie genau schauen, was alles los ist. Und wenn Sie das Angebot, das durchaus vorhanden ist, auch wahrnehmen. Sie können aber auch frustriert feststellen, dass sehr vieles nicht geht in Wiesbaden. Und dass sehr vielen, die hier die Nacht zum Tag machen möchten, das Leben sehr schwer gemacht wird – mitunter aus nachvollziehbaren Gründen, oftmals aber als penibler Paragraphenfetisch und aus einer puren Ruhesucht heraus, die einfach nur nervt und die auch  für eine Stadt wie die unsere ein Armutszeugnis ist.

Klar wollen und müssen Menschen schlafen, und zwar vorzugsweise nachts, und klar kollidiert das Vergnügen der einen immer wieder mit dem Ruhebedürfnis der anderen. Klar ist aber auch, dass die Störung der Nachtruhe in bestimmten Gebieten einer Innenstadt zu bestimmten Zeiten einfach dazu gehört. Und dass man das in aller Regel weiß, bevor man in entsprechende Straßen zieht.

„Was bleibt von einer Stadt denn übrig, wenn sie nicht mehr zügellos sein darf?“, fragte vor ein paar Jahren in anderem Zusammenhang (mit Blick auf die Verwandlung des einst verruchten New Yorker Times Square in einen klinisch reinen Familienpark) der niederländische Architekt Rem Koolhaas. Nun ist Wiesbaden nicht New York und die Nerostraße – um diese einstige Kult-Ausgehmeile mal exemplarisch rauszupicken – nicht der Times Square. Aber auch Wiesbaden ist eine Stadt, in der Menschen leben, für die hochgeklappte Bürgersteige nicht das Maß der Erfüllung sind. Diese Menschen sollten sich nicht gefallen lassen, dass man sie zu lästigen Störenfrieden erklärt und als solche behandelt.

Es sind Menschen, die ein berechtigtes Interesse daran haben und, oft mit viel Herzblut, einiges dafür tun, dass diese Stadt auch aufregend, anregend und inspirierend ist. Ich rede hier nicht von sinnlosen stupiden Besäufnissen. Ich rede von Begegnungen, Entdeckungen, Erlebnissen. Und von einem nicht zu unterschätzenden Wert für die Stadt nach innen und nach außen, für das Lebensgefühl und die Anziehungskraft. Stimmt schon, Gesetz ist Gesetz. Die Nacht jedoch hat ihre ganz eigenen Gesetze. Die stehen zwar in keinem Buch. Aber auch diese sollten immer weiter und immer wieder gelten.

In diesem Sinne: Auf die Zügellosigkeit, Wiesbaden!

Dirk Fellinghauer, sensor-Nachteule

– Foto Elisabeth Krämer –