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Im Vertrauen: Neven Allgeiers intensive Blicke auf Jugend – und Natur – im NKV / Heute Talk

Von Dirk Fellinghauer (Text und Fotos).

Eigenartig, wie Neven Allgeier das gelingt: Fotografien zu erschaffen, die rätselhaft sind und dabei doch ganz viel zeigen und aussagen – oder umgekehrt: die ganz viel zeigen und aussagen und dabei doch rätselhaft bleiben. Es sind Fotografien, die eine besondere Atmosphäre erzeugen, irgendwie flirrend, äußerst sinnlich, sonderbar vertraut, auch wenn es fremde Welten sind. Zu sehen sind sie bis 10. November im Nassauischen Kunstverein. Heute Abend kehrt der in Wien lebende Künstler zum Gespräch inmitten der Ausstellung in seine Heimatstadt zurück.

 

Ein Schlüssel zum Geheimnis der „Drown in Dreams“-Ausstellung mag sein, dass Neven Allgeier sich in auch für ihn vielleicht zunächst fremde Welten traut, und dass die Protagonist:innen dieser Welten ihm vertrauen, sich ihm anvertrauen. Als der 1984 in Wiesbaden geborene und hier aufgewachsene Fotograf sensor am Tag vor der Eröffnung durch die Ausstellung führt, spricht er davon, dass Fotografieren für ihn eine „dialogische Sache“ sei.

Bevorzugt tritt Neven Allgeier mit jungen Menschen in den Dialog. Er porträtiert Jugend, aber nicht etwa „die Jugend“. Er taucht ein in diverse Szenen und Subkulturen – ganz konkret und dann doch wieder allgemeingültig. Er spürt Codes und Moden auf, zeigt, was er sieht, (ver)urteilt dabei nicht, empfindet – und vermittelt – aber wohl doch in den meisten Fällen Sympathien für die, die er zeigt. Er kommt den Porträtierten und ihren Welten nahe, oft sehr nahe, tritt aber niemandem zu nahe: „Ich habe eine sehr sehr große Toleranz gegenüber jeglicher Form von Lebenskonzept“.

Als Jugend-Seher ist Neven Allgeier, der zurückhaltend und supernett auftritt, sicher mehr als andere seines Alters auch Jugend-Versteher – und hat auf jeden Fall verstanden: „In der gegenwärtigen Weltlage ist nichts mehr eindeutig `so´ oder `so´. Und es gibt auch keine pauschale Aussage über die Generation“. Er konstatiert vielmehr eine „gemischte Gefühlslage“, ein Sowohl-als-auch jenseits starrer Festlegungen. Vielleicht sind die Fotografien des Neven Allgeier so etwas wie eine Bild gewordene Shell-Studie. Sie zeigen Ängste der Jugend, Zweifel und Sorgen, aber auch Stärke, Selbstbewusstsein, Zuversicht. „Sie sind nicht lost“, bemerkt der Fotograf.

Neven Allgeier hat ein Faible für Brüche. Dazu passt auch, dass er in einem Teil der Ausstellung die Porträts der jungen Menschen mit Motiven aus der Natur in Dialog treten lässt, einer Natur, die „schön, aber auch bedroht“ ist. Und auch hier wieder, dieser vertraut und doch rätselhaft-Effekt.

Ob Mensch oder Natur – die Bilder hängen und stehen für sich. Kommentarlos, ohne irgendwelche Angaben zum Dargestellten und dazu, wer da wo (fotografiert hat er in zehn Ländern rund um den Globus) in welcher Situation in Szene gesetzt wurde. Was heißt in Szene gesetzt: „Ich sage nicht, zieh´ mal das an oder mach´ mal jenes“, gibt Neven Allgeier Einblicke in seine weitestgehend uninszenierte Arbeitsweise.

Wichtig sei ihm die Souveränität und Selbstbestimmtheit der Fotografierten, die ihren eigenen Ausdruck fänden, auch als Akt der Selbstermächtigung. . „Viele Bilder sind erst nachträglich entstanden“, verrät er, also nach dem eigentlichen Shooting – „wenn beiderseits der Druck weg ist“. Er legt Wert darauf, jene die er fotografiert, „auf organischem Weg“ kennenzulernen, oft über Empfehlungen von Freunden. Der Großteil der Fotos sei in Großstädten entstanden, aus dem einfachen Grund, dass dort Subkulturen präsenter seien.

Der gebürtige Wiesbadener ist mittlerweile Wahl-Wiener – „es lebt sich echt gut da“ – ist aber, auch beruflich als Fotograf über das künstlerische Schaffen hinaus, viel unterwegs, regelmäßig in Berlin, Rhein-Main, Paris und Amsterdam. Seine Eltern leben im Rheingau, wo er auch in Corona-Zeiten viel Zeit verbracht (und fotografiert) hat. Wenn er nun durch Wiesbaden laufe, sei „jede Ecke mit einer Anekdote aufgeladen“ und er stelle fest: „Viele Orte habe ich in meiner Kindheit viel größer wahrgenommen“. Mit Blick für den Jugendstil habe er ein neues Interesse für die Wiesbadener Hausfassaden entwickelt und laufe hier manchmal „wie im Rausch“ durch die Straßen und mit dem Eindruck: „Hier wurde ein Ausstellungsraum in die Straßen übertragen“.

Neven Allgeier möchte mit seinen Arbeiten eine Aura erzeugen und kein starres Narrativ vermitteln: „Nichts ist in Stein gemeißelt“. Das gilt auch für die Art, wie er fotografiert.

Im zweiten Teil der Ausstellung werden die Besucher:innen Zeugen einer Weiterführung der Serie „Fading Temples“, die seinem im Distanz Verlag erschienenen Buch den Titel gaben – einen anderen fotografischen Ansatz mit neuen Formaten, teilweise riesig, und Materialien. Hier verlässt der Fotograf den Weg der puren Porträts und frönt einer größeren Experimentierfreude, etwa durch planenartige, wandfüllende PVC-Drucke.

Beim Gang durch die Ausstellung berichtet der Fotograf, dass ein neues Buch in Planung ist. Auch dieses wird nochmal ein anderes Kaliber haben und bisherige Rahmen sprengen. Allein der Bildteil soll 400 Seiten haben, dazu sollen aber noch Texte, die sich auf die Arbeiten beziehen, entstehen. Neven Allgeier möchte „Grauzonen erzeugen“.

Wie steht der Fotokünstler mit dem Draht zur Jugend eigentlich zum Thema KI? „Nicht euphorisch“, macht er keinen Hehl daraus, sich eher als „Eremit“ zu fühlen, der an alten Sachen festhält. Um direkt hinterherzuschieben: „Aber wer weiß!?“. Es könnte ja auch alles anders kommen und er doch noch Gefallen am Neuen und ganz Neuen finden. Nichts ist in Stein gemeißelt. Aber vieles ist in einzigartigen Fotografien festgehalten.

Donnerstag, 17.Oktober 2024, 18 Uhr:

Gesprächsrunde mit Neven Allgeier, Christin Müller (freie Kuratorin und Autorin, Leipzig) und Heinz Drügh (Professor für Neuere Deutsche Literatur und Ästhetik, Universität Frankfurt).

Moderiert von Lotte Dinse (Direktorin, Nassauischer Kunstverein Wiesbaden)

www.kunstverein-Wiesbaden.de

 

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