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Jubel, Frust, Optionen … Spannung auch nach der Landtagswahl – Wer-mit-wem-Gespräche starten heute

Von Dirk Fellinghauer (Text und Fotos).

Erst gut drei Tage her, wirkt aber in unserer schnelllebigen Zeit schon wieder fast wie Schnee von gestern. Wenn es nur nicht weiterhin so spannend wäre … Was machen die Parteien nun aus den Ergebnissen der Landtagswahl? Darüber reden alle, die zumindest theoretisch an einer künftigen Regierung beteiligt sein könnten, ab heute miteinander, im Rheingau und in Wiesbaden.

Hessen hat gewählt, eine hauchdünne „Weiter-mit-Schwarz-grün“-Mehrheit. Die FDP hat am Montag früh gleich mal klar gemacht, dass sie als stabilisierendes drittes Rad an einem Jamaika-Wagen nicht zu haben sein wird. Wenn also nicht der strahlende Wahlgewinner Tarek Al-Wazir (Grüne, Foto oben – im Konfettiregen beim Betreten der Wahlparty der Grünen in der Bar No.One in der Wiesbadener Altstadt), der frustrierte Wahlverlierer Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) und René Rock (FDP) doch noch einen erst mal eher unwahrscheinlichen, aber eben nicht komplett ausgeschlossenen Ampel-Coup schmieden oder es gar zu einer nicht mehr ganz so großen Koalition aus CDU und SPD kommt, werden wir weiterregiert wie gehabt – nur mit größerem Grün-Anteil und endlich ohne Todesstrafe in der Verfassung (auch wenn eine gar nicht mal so verschwindend geringe Anzahl von Hessen diese gerne dort erhalten hätten).

CDU, SPD, AfD in Wiesbaden schwächer, Grüne, Linke, FDP stärker als hessenweit

Nach dem amtlichen Endergebnis gingen bei der Landtagswahl in Hessen an die CDU 27,0%, SPD 19,8%, Grüne 19,8%, Linke 6,3%, FDP 7,5%, AfD 13,1%, Sonstige 6,5%, davon Freie Wähler 3,0%.

Wiesbaden wählte (Zweitstimmen) wie folgt: CDU 25,5%, SPD 17,7%, Grüne 22,8%, Linke 7,7%, FDP 8,8%, AfD 12,2%. Die Freien Wähler bekamen 2,0%, die Tierschutzpartei mit 0,8% mehr als Die Partei (0,6) und die Piraten (0,4). CDU, SPD und AfD schnitten in der Landeshauptstadt also etwas schlechter ab als hessenweit, Grüne, Linke und FDP dafür etwas besser. Im Wahlkreis 30 sind die Grünen, die außer in Mitte, Westend, Rheingauviertel/Hollerborn und Südost auch in Kastel auf Platz 1 landeten, stärkste Kraft – mit 24,9% vor CDU (23,5), SPD (16,8), AfD (11,6), Die Linke (9,2) und FDP (8,8). Die Wiesbaden-Ergebnisse in allen Details hier. Konsequenzen aus ihren Ergebnissen werden die Parteien nun auch in Wiesbaden beraten.

Wirkt sich die Landtagswahl auf Wiesbadener OB-Wahl aus?

Für die Grünen drängt sich, spätestens mit dem auch in Wiesbaden sehr guten Landtagswahlergebnis im gestärkten Rücken, zum Beispiel auch die Frage auf, ob sie einen eigenen Kandidaten für die OB-Wahl im Mai 2019 ins Rennen schicken. Einer, der sicher das Zeug dazu hätte – und auch dazu, weit mehr als ein Zählkandidat zu sein – wäre sicher, sofern nicht gar zum Beispiel ein zugkräftiger Externer angeheuert wird, der so aktive wie durchsetzungskräftige und dabei sehr zugängliche Verkehrs- und Umweltdezernent Andreas Kowol. Aber würden die Grünen sich das „trauen“, oder Groll und (noch mehr) Unruhe in ihrer Rathaus-Kooperation mit SPD und CDU fürchten? Könnte ein grüner Kandidat oder eine grüne Kandidatin Amtsinhaber Sven Gerich gefährlich werden? Dieser wird sicher wieder für die SPD antreten, obgleich ihm manche Beobachter aber auch schon #SPDerneuern-Potenzial in der Landes- oder gar der Bundespolitik zutrauen – nicht zuletzt aufgrund dieser „Was im Kleinen geht, das kann uns auch im Großen gelingen“-Rede beim SPD-Bundesparteitag in Wiesbaden.

CDU-Kandidaten Wallmann und Lorz holen Wiesbadener Direktmandate

Soviel zu möglicher Zukunftsmusik. Im frisch gewählten Landtag bleibt es aus Wiesbadener Sicht bei Schwarz-Schwarz – sowohl Astrid Wallmann als auch Alexander Lorz (Foto, bei einer Wahlkampfveranstaltung im Ratskeller) haben für die CDU Wiesbaden die Direktmandate für die Landeshauptstadt ergattert beziehungsweise verteidigt. Patricia Eck und Dennis Volk-Borowski von der SPD Wiesbaden hatten trotz tapferem Wahlkampf keine Chance. Letzterer musste sich sogar mit dem dritten Platz begnügen, er wurde vom Grünen-Direktkandidat Mathias Wagner überflügelt. Dieser bekam in den Wahlbezirken Mitte, Rheingauviertel/Hollerborn und Westend sogar jeweils die meisten Erststimmen. 

Wagner kommt über die Landesliste seiner Partei in den Landtag, wo er bisher schon Fraktionsvorsitzender war und nach dem Wahlerfolg der Grünen nun als ein Ministeraspirant gilt. Ebenfalls über Landesliste sind die Wiesbadener AfD-Kandidaten Robert Lambrou und Dimitri Schulz in den Landtag eingezogen.

hr-Kandidatencheck: Künftige Wiesbadener Abgeordnete erklären Inhalte in Kurzvideos – sofern sie welche haben

Die beiden AfD-Herren haben sich übrigens als einzige Wiesbadener Kandidaten nicht am standardisierten hr-Kandidatencheck beteiligt, der ausnahmslos allen Kandidaten zur Landtagswahl Gelegenheit gab, sich in Videointerviews zu für alle identischen Fragen, also zu Inhalten, vorzustellen. Einen Eindruck bekommen Interessierte hier also nur von den fortan im Landtag vertretenen Wiesbadener Abgeordneten Astrid Wallmann, Ralph Alexander Lorz und Mathias Wagner.

Wer mit wem? Erste Gespräche am Donnerstag

Wer wird am Ende im Hessischen Landtag auf der Regierungsbank sitzen, wer die Oppositionsbänke drücken? Die Hessen-Grünen sind nun in der komfortablen Lage, mit ihrem bisherigen Koalitionspartner CDU – und damit mit Ministerpräsident Volker Bouffier – weitermachen zu können, aber eben nicht auf Teufel komm raus zu müssen.

Rein rechnerisch wäre auch eine Ampel möglich, also ein Regierungswechsel weg von Schwarz-Grün hin zu Grün-Rot-Gelb. Ja, dieses wäre dann die Reihenfolge, denn die Grünen lagen am Ende um ein paar Dutzend Stimmen vor der SPD. Deshalb wäre Tarek Al-Wazir der in einer solchen Konstellation prädestinierte Ministerpräsident. Und deshalb sind es die Grünen, die nun parallel zur CDU andere Parteien zu Gesprächen einladen, um Möglichkeiten auszuloten. SPD-Spitzenkandidat Schäfer-Gümbel hat bereits signalisiert, dass er zu einer Konstellation mit einem Ministerpräsidenten Al-Wazir ganz grundsätzlich bereit wäre. FDP-Mann René Rock allerdings sagt bisher, dass er für genau diese Option nicht zu haben sei.

An diesem Donnerstag hat die CDU die SPD sowie die Grünen und die FDP zu Gesprächen nach Geisenheim eingeladen. Am gleichen Tag empfangen die Grünen nachmittags im Wiesbadener Hotel Oranien zunächst die SPD, dann am Abend die FDP zu Gesprächen.

Landtag, Rathaus, Bars … Impressionen der Wahlnacht

Gefiebert, gezittert, gejubelt, gefeiert wurde in der Wahlnacht in Wiesbaden an vielen Orten – wir waren unterwegs im Landtag, im Rathaus und in Bars und Lokalen, wo einzelne Parteien ihre Wahlpartys schmissen. Gezeigt hat die lange Nacht, dass fast alle nicht nur grundsätzlich untereinander koalitionsfähig, sondern auch untereinander feierfähig sind. Es gab im Landtag wie im Rathaus rege gegenseitige Besuche quer durch die Parteien. Hier geht es zum sensor-Wahlnacht-Fotoalbum.