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Kaugummis zu Kunstwerken

Von Rebekka Farnbacher. Fotos Arne Landwehr.

In der Wiesbadener Friedrichstraße wird achtlos Ausgespucktes zur Leinwand eines fantasievollen Gemeinschaftsgefühls … Kaugummikauen kann Vorteile mit sich bringen: Die Sauerstoffversorgung des Gehirns wird angetrieben, Konzentration und Stressbewältigung werden gefördert. Ein Kaugummi kann helfen, sich das Rauchen abzugewöhnen, er kann Mundgeruch überdecken, die Zähne reinigen und sogar Krebs vorbeugende sorten soll es geben. Was kann schlecht sein, wenn es Leben rettet?

 

Doch sobald es um die Entsorgung der klebrigen Masse geht, findet die Liste der Pros ein jähes Ende. Hört man von Kosten in Milliardenhöhe, die Städte aufwenden müssen, um ihre Straßen von den hässlichen, festgetretenen Flecken zu befreien, bleibt einem der Spaß am Kauen im Halse stecken. Wer in beim Kaugummispucken  erwischt wird, kann in den Knast wandern. In Wiesbaden zahlt man immerhin 20 Euro. Ganz zu schweigen von der Optik und der Bewusstmachung, wie viele Passanten ihr eingespeicheltes Stück Kunststoff auf dem Gehweg hinterlassen – und das für mehrere Jahre.

 „Ich habe nichts gegen Kaugummi-Kauer. Das Problem ist, dass die Menschen mit ihrer Umgebung so achtlos umgehen“, erklärt Hans Reitz, Initiator der Kaugummi-Bemal-Aktion in der Wiesbadener Innenstadt. Er hat die Vision, die Friedrichstraße als verbindendes Element aufzubauen. Als einen Ort, an dem man sich wohl fühlt und der die Trennung der unterschiedlichen Stadtviertel aufheben soll. „Wiesbaden ist eine der schönsten Städte Deutschlands, aber sie steckt in einer Identitätskrise“, so der Unternehmer, der auch als „Mr. Social Business“ bekannt ist. Die Geste, auf den Boden zu spucken, drücke  vor allem das Gefühl aus, nicht dazuzugehören. 

Hans Reitz möchte ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen, mit Hilfe von kleinen Themen, die ein tiefgehendes Syndrom behandeln. Seine Tochter (14) und sein Sohn (17) trommelten ihre Freunde zusammen und gingen gewissermaßen auf Gummifühlung mit dem Straßenpflaster. Dabei entstanden die ersten kleinen Kunstwerke – von Smilies, Geistern und Tieren, über Nationalflaggen, Simpsons-Köpfen und Miniatur-Burgern, bis hin zu kurzen Lebensweisheiten: der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, ausgenommen der  räumlichen Grenzen, die die angetrocknete Kaumasse vorgibt. 

Britischer Künstler lieferte Idee 

Inspiration für Hans Reitz und die Idee der Kaugummikunst war das Werk des britischen Künstlers Ben Wilson. Mehr als 10.000 von den sich nur schwer zersetzenden Abfallflecken hat er bereits Farbe und Motiv beschert. Einer Anzeige wegen Sachbeschädigung ist er nach einigen Verhandlungsstunden mit der Polizei entgangen, weil nicht er, sondern der ursprüngliche Besitzer des Kaugummis für die Sachbeschädigung verantwortlich gemacht werden müsste. 

„Die Kaugummis sind quasi anonyme Geschenke, die wir nicht haben wollen“, beschreibt  der Pressesprecher der Stadt, Siggi Schneider, die juristische Grundlage. Die Stadt ist für den öffentlichen Straßenraum verantwortlich, aber da die Entfernung nur über aufwändige Varianten des Erhitzens oder Einfrierens möglich ist, verfolge man vielmehr die Strategie, über Aufklärung an das Verantwortungsbewusstsein jedes Einzelnen zu appellieren. 

Dieser Appell ist Hans Reitz gelungen. Als 13-jähriger hat er selbst mit einer Feile Kaugummis vor Kinoeingängen vom Asphalt gekratzt und sich damit ein paar Mark verdient. Heute verschönert er das Problem, ohne es schön zu reden. Im Gegenteil: er schafft  Aufmerksamkeit auf einen negativen Beigeschmack – sowohl in Bezug auf das Kauvergnügen als auch in Bezug auf die Stadtwahrnehmung. Im kommenden Herbst dürfen wir uns auf weitere Streetart-Projekte unter dem Motto „Augen auf!“ freuen. Prädikat: Kunst, auf die wir stehen! 

Wettbewerb auf Facebook

Jeder kann mitmachen. Bis zum 15. Mai läuft die Aktion der bemalten Kaugummis in der Friedrichstraße. Pinsel und Farbe bekommt man im Kinderladen „Lalaland“ und im Café „Perfect Day“. Alle Werke werden fotografiert und über Facebook ausgestelllt. Der Künstler des schönsten Kaugummikunstwerks gewinnt eine Reise nach London.

1 response to “Kaugummis zu Kunstwerken

  1. Sehr gut! Leider wird alles zugemüllt, einfach weggeschmissen, statt in die Mülltonne damit.
    Ich hoffe, dass die Aktion zum Nachdenken anregt und das viele ihren Müll mal wieder richtig entsorgen statt arglos überall hinzuschmeissen.

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