Von Jan-Markus Dieckmann. Foto Kai Pelka.
In unserer scheinbar so offenen, freien Gesellschaft stehen Menschen, die feststellen, dass sie anders sind als ihr Umfeld – dass sie schwul, lesbisch, bisexuell oder transsexuell sind – häufig noch immer vor denselben Problemen wie eh und je. Viele glauben gar nicht daran, dass es Menschen gibt, die genauso fühlen wie sie. Das Gefühl, auf der Welt ganz alleine zu sein, ist dann sehr stark. Fragen kommen auf: Was ist das, das da in mir vorgeht? Mit wem kann ich darüber sprechen? Antworten und Gesprächspartner finden Jugendliche – und generell Menschen jeden Alters –, wenn sie zum Telefon greifen und die Nummer 0611/309211 wählen. Die „Bunte Nummer“ ist ein noch neues Beratungsprojekt zum Thema Coming-Out, gemeinsam inititiiert und betrieben von der Aids-Hilfe und dem Verein „Warmes Wiesbaden“.
Für Peter Schneider begleiten die beschriebenen Themen tagtäglich seine Arbeit. Der 1981 geborene Sozialpädagoge und Systemische Berater ist stellvertretender Geschäftsführer der Aids-Hilfe. Dass es Bedarf für ein solches Angebot gibt, zeigte sich vor allem im Rahmen des „SchLAu“-Projekts für Schwul-Lesbische Aufklärung. Hier klärt das Team direkt in den Schulen über die Themen Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierung auf, will Jugendliche für einen toleranten Umgang miteinander sensibilisieren, Selbstbewusstsein stärken und eine Möglichkeit zur Überprüfung der eigenen Klischees bieten. In diesem Rahmen tauchten immer wieder Fragen auf, sowohl von Schüler als auch von Lehrern. „Wenn mich Schüler fragen, ob ich homosexuell bin, habe ich immer die Wahrheit gesagt und mich geoutet. Da kommt mir keine Ablehnung entgegen, sondern viele Fragen“, berichtet Peter Schneider von positiven Erfahrungen an den Schulen. Oft würden Regeln und Vorurteile aus dem Elternhaus nicht hinterfragt und schlicht übernommen.
Coming-Out ist keine Altersfrage
„Nicht nur Jugendliche melden sich, sondern auch Menschen mittleren Alters, die das Thema lange für sich weggesperrt haben bis es eben nicht mehr geht“, berichtet Schneider von „Bunte Nummer“-Anrufern aller Altersklassen. Auch in der täglichen Arbeit der Aids-Hilfe machte sich immer wieder bemerkbar, dass ein großer Gesprächsbedarf besteht, sei es, um über persönliche Krisen zu sprechen, oder einfach nur ein vorurteilsfreies, neutrales Gegenüber zu finden: „Mit der Zeit wurde klar: Es braucht einen weiter gehenden, zusätzlichen Ansatz für einen niedrigschwelligen Zugang zu einem Beratungsangebot.“ So wurde vor einem Jahr das Projekt gestartet. „So langsam fängt es an, dass sich mehr Menschen an uns wenden“, erzählt Peter Schneider: „Die Beratung, die daraus erwächst, ist intensiver, als ich zunächst gedacht habe. Da ist es mit nur einem Treffen oder einem Telefonat häufig nicht getan.“ Besonders das Thema Transsexualität schafft oft schwerwiegende Probleme, zum einen mit dem Umfeld, zum anderen entstehen nicht selten psychische Erkrankungen, die aus dem Verdrängungsprozess entstehen. „Am Thema Homosexualität und Migration kratzen wir noch nicht einmal. Wenn wir da hin kommen, wird der Beratungsbedarf sicher noch einmal exorbitant steigen.“
Über die Telefonberatung hinaus
Die Arbeit beschränkt sich nicht auf eine reine Telefonberatung. Das Team aus etwa 10 Beraterinnen und Beratern bietet auch persönliche Gespräche an, auch außerhalb der Räume der AIDS-Hilfe auf neutralem Terrain: „Das senkt die Hemmschwelle und sorgt dafür, dass man möglichst viele erreicht“, erklärt Peter Schneider: „Die Leute kommen zu uns mit einem Päckchen. Bei komplexeren Problemlagen reicht ein Kontakt nicht aus, ich rechne da mit mindestens fünf Gesprächen à eineinhalb Stunden.“ Die Besetzung des Telefons rotiert, über die Homepage können Ratsuchende das Team direkt anschreiben. Jeder Mitarbeiter stellt sich vor, man kann sich seinen Berater auch selbst auszusuchen.
Die Bunte Nummer wird zum größten Teil von Ehrenamtlichen wie Manuel getragen. Sie werden von den Hauptamtlichen ausgebildet, speziell geschult und auf die Beratungstätigkeit vorbereitet. Sie kommen aus den verschiedensten Berufen, sind schwul, lesbisch oder heterosexuell. Die Hauptamtlichen halten sich im Hintergrund und stehen stützend zur Seite. Manuel, ausgebildeter Musiker und Pädagoge, ist seit sechs Jahren ehrenamtlich bei der AIDS-Hilfe tätig und Berater bei der Bunten Nummer. „Ein geschützter Rahmen, in dem man mit jemandem vollkommen vorurteilsfrei und wertneutral sprechen kann, ist unglaublich wichtig“, weiß der 26-Jährige: „Als die Idee für die Bunte Nummer aufkam, war ich von Anfang an dabei. Ziel ist es noch bekannter zu werden, sodass die Menschen diese Option im Hinterkopf haben – so wie die Nummer gegen Kummer zum Beispiel.“
Auch wenn sich die gesamtgesellschaftliche Situation scheinbar verändert hat – persönliche Probleme bleiben. Die Bunte Nummer schafft einen Raum, Menschen an einem bestimmten Punkt in ihrem Leben abzuholen, mit ihm persönliche Lösungen zu entwickeln und positive Wege gemeinsam zu gehen und zu gestalten.