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Kolumne: Falk Fatal und die Viridisphobie

Wir leben in aufregenden Zeiten. Aktuell dürfen wir der Entstehung einer neuen Volkskrankheit beiwohnen. Die Krankheit ist so neu, dass es noch nicht einmal einen Namen dafür gibt. Als Chromatophobie bezeichnet die Psychologie die unbestimmte Angst vor Farben. Diese Angststörung ist so selten, dass sie sich auf das komplette Farbspektrum bezieht. Wer Angst vor der Farbe Rot hat, leidet genauso unter Chromatophobie wie Menschen, die sich vor Blau fürchten.

Jüngste Forschungserkenntnisse haben jedoch dazu geführt, dass die Forschenden ernsthaft darüber diskutieren, die Angst vor Grün als eigenständige Krankheit anzuerkennen. Das Besondere und Neue an dieser Viridisphobie ist, dass sich die Angststörung nicht nur auf die Farbe an sich bezieht, sondern auf alles und jeden, das mit Grün in Verbindung gebracht wird.

Andreas Kowol kann ein Lied darüber singen. Wenn in der Landeshauptstadt irgendwo der Autoverkehr stockt, finden sich sofort von dieser Störung besessene Wiesbadener, die los blöken und dem grünen Verkehrsdezernent Pest und Cholera an den Hals wünschen – selbst wenn die Stauverursacher zwei Homo Wilheminicusse sind, die den Kaiser-Friedrich-Ring mit dem Hockenheim verwechseln und bei ihrem Rennen einen Unfall gebaut haben. Schuld haben trotzdem immer die Grünen und ihr Verkehrsdezernent.

Ein weiteres Indiz für Viridisphobie: Permanente Unzufriedenheit. Wenn Straßen aufgerissen und deshalb für einige Zeit gesperrt sind, wird geschimpft. Wird ein Bürgersteig in Regenbogenfarben bemalt, wird gezetert, dass man für das Geld lieber die Straßen ausbessern sollte. Ja, was denn nun?

Manchmal ist die Viridisphobie so weit fortgeschritten, dass selbst der Bau eines Radwegs der Partei als Kriegstreiberei ausgelegt wird. Gewiss, die Straße ist heiß umkämpft, besonders in der Autostadt Wiesbaden. Aber grüne Politikerinnen und Politiker wegen des Baus eines Radwegs an der Erich-Ollenhauer-Straße auf eine Stufe mit Kriegsverbrechern wie Wladimir Putin oder Jihia al-Sinwar zu stellen, zeigt nur, wie ausgeprägt die Viridisphobie sein kann.

Das ließe sich alles mit einem Lächeln abtun, doch leider beschränkt sich Viridisphobie nicht nur auf Kommentare in den sozialen Medien und an den Stammtischen, sondern überträgt sich in die reale Welt. So haben laut Zählungen des Deutschen Bundestags die Angriffe auf Politiker und Partei-Einrichten seit 2019 um knapp ein Fünftel auf rund 3.350 im Jahr 2023 Drittel zugenommen. Am häufigsten traf es Bündnis90/Die Grünen, mit deutlichem Abstand dahinter folgen fast gleichauf AfD und SPD.

Man muss Politiker und Parteien nicht mögen, auch Bündnis90/Die Grünen nicht, aber wenn wir die Verrohung des politischen Diskurses weiter hinnehmen und vorantreiben, wird die Demokratie weiter Schaden nehmen und es irgendwann ein böses Erwachen geben.

Mehr Falk Fatal: “Saure Äppler im Nizza des Nordens – 100 sensor-Kolumnen”, Edition subkultur, ISBN: 978-3-948949-24-2