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Kontrolliert erfolgreich: sensor war beim Brunchgeplauder mit Pop-Poetin Julia Engelmann, Baby!

Interview & Fotos: Dirk Fellinghauer.

„Diese Frau rührt ganz Deutschland“, berichtet Sat.1 über Julia Engelmann. Naja, ganz Deutschland ist ein wenig übertrieben. „Ist sie im Gespräch so langweilig wie auf der Bühne?“, fragt ein Fotografenkollege nach dem Interview in einer gemütlichen Ecke der Bristol Bar im Frankfurter Bahnhofsviertel. Dorthin hat die Konzertagentur zum Pressebrunch mit Julia Engelmann geladen. So können die Medienleute die junge Frau, die den Sprung von der Poetry-Slammerin zur „Vollzeitpoetin“ geschafft hat und die in diesem Herbst richtig große Hallen richtig gut füllen wird, aus nächster Nähe erleben und begutachten.  Und das machen die einen so, die anderen so. Während ein Schreiberkollege geradezu ergriffen auf die kleine Livedarbietung der Dichterin und Sängerin reagiert, lässt sie andere eher kalt. Siehe oben.

Freundlich ist die von ihrer Mutter gemanagte und auch von ihrem Vater auf Tournee begleitete 25-Jährige, keine Frage. Höflich sowieso. Dabei aber äußerst kontrolliert – Interviewzitate müssen vor Veröffentlichung eingereicht und freigegeben werden, die spontane Idee eines Fotografen, sie draußen vor dem Hotel abzulichten, wird abgelehnt – und ziemlich distanziert. Ob das ihrer norddeutschen Herkunft, sie ist gebürtige Bremerin, oder wem auch immer in der sie nun zwangsläufig umgebenden Marketingmaschinerie geschuldet ist, bleibt offen. Vielleicht ist es auch eine Kombi aus beidem. Sie sagt im Round-Table-Gespräch – so nennt man das, wenn eine Handvoll Journalisten in kleiner Runde mit einem Künstler spricht – brav das, was gut zum Image passt. Auf irgendetwas, was auf Ecken und Kanten hindeutet, wartet der Gesprächspartner vergebens. Bei der nicht komplett abwegigen Frage zum Beispiel, was die „Stimme ihrer Generation“, zu der sie auch ernannt wurde, denn zum Ausgang der Bundestagswahl sagt (der Termin war am Montagmorgen direkt nach der Wahl), wird die PR-Frau, die das Gespräch  aufmerksam verfolgt, gleich nervös. Keine Politik! Und Julia Engelmann zieht sich mit dem Statement „Ich bin meine eigene Stimme“ elegant aus der Affäre. Gut (für sie), dass die Gesprächszeit just bei diesem „heiklen“ Thema abgelaufen ist.

„Meine Texte haben mehrere Ebenen. Im Mittelpunkt steht Zwischenmenschliches, aber mir sind auch Werte wichtig, Gerechtigkeit und dass Menschen gut behandelt werden“, gibt sie noch schnell zu Protokoll. Das ist dann aber wirklich das Höchste der Gefühle zu diesem Thema. Apropos Gefühle: Die stehen im Mittelpunkt ihres künstlerischen Schaffens, das sie nun – nachdem irgendwann ihr Poetry-Slam-Auftritt mit eineer Adaption des Asaf-Avidan-Hits „One Day“ via Youtube viral gegangen und sie schlagartig bekannt gemacht hat – ganz nach oben katapultiert hat. „Ich fühle mich der Poetry Slam-Szene immer noch verbunden und bin ihr sehr dankbar, aber dazugehörig bin bin ich nicht mehr, da ich nicht mehr an Wettbewerben selbst teilnehme, das ist jetzt etwas anderes“, sagt sie und meint: „Ich bin jetzt Vollzeitpoetin.“ Im Rückblick auf ihre Ursprungsdisziplin meint sie: „Am Poetry Slam ist das Schöne, dass jeder gehört wird und jeder die gleiche Zeit zur Verfügung hat. Also gleiche Bedingungen für ganz unterschiedliche Menschen und Persönlichkeiten.“

Mit „Baby“-Büchern in den Bestseller-Listen

Sie selbst arbeitet nun unter komplett anderen Bedingungen, auf die Bestseller-Bücher mit den Titeln „Eines Tages, Baby“, „Wir können alles sein, Baby“, „Jetzt, Baby“, folgte nun auch noch ein Plattenvertrag mit dem Label Universal. Beide Welten – das gesprochene und das gesungene Wort – führt sie nun bis kurz vor Weihnachten auf ihrer großen Tournee zusammen. Und kann ihr Glück kaum fassen: „Meine Familie und ich sind von dem Erfolg überwältigt, wir sind momentan alle nur noch aus dem Häuschen und schlafen nicht vor lauter Aufregung“, berichtet sie aus dem Innern des Familienunternehmens: „Meine Eltern sind auf Tour immer dabei, meine Mutter kümmert sich darum, dass auf der Bühne alles passt, mein Papa macht auch den Aftershow-DJ.“ Während der Show wird Julia Engelmann,Texte über (O-Töne aus dem Pressetext) „Quarter-Life-Crisis“, „Mental Health“ und „Second Hand Life“ vortragen. Beim Pressebrunch in der Hotelbar präsentierte sie einen Text über die Inflation der Anglizismen …

Pure Gedanken und Gefühle – ohne crazy Lichtshow

Ihre Texte, die Zehntausende berühren und die manche für reichlich banal halten, kommen, so beschreibt sie es, mitten aus ihrem Leben: „Ich haben jeden Tag Ideen, teilweise sind es ähnliche, und auch neue, die sich aus meinem Alltag ergeben.“ Bis etwas Verwertbares daraus wird, vergeht mal mehr, mal weniger Zeit: „Es kann dann sehr lange dauern, bis ein Gedicht daraus wird, manche Verse fallen mir aber auch sehr leicht. Die Entstehungszeit für ein Gedicht reicht also von ein paar Minuten bis hin zu mehreren Wochen.“ Auch wenn sie auf der Bühne gesprochene Worte performt – „Auf der Bühne gibt es ja jetzt keine crazy Lichtshow oder so etwas, das ist dann schon sehr auf die Darbietung der Texte und Lieder konzentriert“ -, meint sie: „Der Sound eines Textes ist auch wichtig, aber mir sind die Gedanken am wichtigsten, die möchte ich mitteilen und teilen.“

Klar, dass bei diesem Erfolg die Uni keine Chance mehr hat: „Mein Studium habe ich erfolgreich abgebrochen“, sagt sie lachend, sinniert aber auch: „Wer weiß – meine Mutter hat mit 39 angefangen, Psychologie zu studieren. Ich habe da biographische Geduld.“ Die Zukunft ist offen. In der Vergangenheit gab es da noch die Zeit als Soap-Darstellerin, doch die ist abgeschlossen: „Als Schauspielerin sehe ich mich nicht mehr. Das ist man ja nur, wenn man es ausübt, und das tue ich nicht.“

Julia Engelmann kommt mit ihrem neuen Tourprogramm „JETZT, BABY
Poesie und Musik – Live 2017“ am 17. Oktober in die Jahrhunderthalle. Wer dabei sein will, muss sich ranhalten. Auch dieser Auftritt ist kurz vor ausverkauft. Tickets gibt es an allen bekannten Vorverkaufsstellen und hier.