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„Ohne Komfortverzicht wird es nicht gehen“ – Wie und wo die Stadt Wiesbaden Gas und Energie einsparen will

20 Maßnahmen sollen der Anfang sein. Heute wurde der Gas- und Energiesparplan der Stadt Wiesbaden im Rathaus präsentiert. Foto: Dirk Fellinghauer

Von Dirk Fellinghauer.

Die Landeshauptstadt Wiesbaden hat heute ihren abgestuften Gas- und Energiesparplan für den Stadtverbund vorgestellt. Ziel sei es, mittelfristig bis zu zwanzig Prozent Energie einzusparen, erklärte Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende bei einer Pressekonferenz im Rathaus. Mit dem Plan bereite sich die Stadt auf eine eventuelle Gas- und Energieknappheit im Herbst und Winter vor. „Ohne Komfortverzicht wird es leider nicht gehen“, stellt der Rathauschef klar. Er betonte aber zugleich, dass man gravierende Zumutungen, wie etwa die Schließung von Schulen, Sport- oder Kultureinrichtungen, vermeiden wolle.

Der OB und Andreas Rettig, Leiter des Hochbauamtes sowie verantwortlich für eine ämterübergreifende Arbeitsgruppe, kündigten eine Reihe von Maßnahmen an. Bereits ab sofort sollen nach und nach die Lichter an repräsentativen Wiesbadener Bauten wie Kurhaus, RMCC oder der Sonnenberger Burg ausgehen. In Hallenbädern sollen Wassertemperaturen auf 24 Grad Celsius in den Schwimmerbecken abgesenkt werden. In einer zweiten Stufe sei die Schließung von Thermen und Saunen denkbar.

„Energiesparen Gebot der Stunde“

Die aktuelle Situation erfordere von  allen – der Kommune ebenso wie Wirtschaft und Privatpersonen -, ihre Anstrengungen zu intensivieren, so Mende: „Energiesparen ist das Gebot der Stunde, und zwar in allen Bereichen.“  Dabei gebe es keine Patentrezepte, auch als Stadt reagiere man flexibel und situationsbezogen. schilderte Mende die Situation. Er sei kein Freund davon, Bürger:innen mit Maßnahmen zu gängeln und kluge Tipps zu geben. Wohl aber appelliere er an alle Bürger:innen , Unternehmen, Vereine sowie Verbände, auch im eigenen Bereich Energie zu sparen.

Anlaufstellen für Tipps und Infos

OB Gert-Uwe Mende bei der heutigen Vorstellung des Plans gemeinsam mit dem Leiter des Hochbauamts, Andreas Rettig (Mitte) und Andreas Kruszynski, Abteilungsleiter im Hochbauamt und Mitglied der verantwortlichen Arbeitsgruppe. Foto: Dirk Fellinghauer

Tipps dafür gebe es bei der Energieberatung, der Verbraucherzentrale, beim Umweltamt, im Umweltladen, bei ESWE Versorgung und bei vielen weiteren Stellen. Unternehmen und öffentliche Einrichtungen unterstützt die Stadt unter anderem mit dem Umweltberatungs- und Klimaschutzprogramm Ökoprofit. Zusätzlichen Personalbedarf wegen möglicher stärkerer Nachfrage nach Beratungsangeboten sieht der OB indes nicht: „Der Großteil der Informationen ist gut verfügbar, sie müssen nur abgerufen werden“, meint Mende. Die Stadt selbst verfügt laut Hochbauamts-Leiter Rettig über 500 Liegenschaften, bei denen sie direkten Einfluss auf Energiesparmaßnahmen habe. „Wir starten jetzt den Prozess, das geht bei der Masse nicht von heute auf morgen.“

Dass der Prozess erst am Anfang steht, merkte man auch daran, dass der Oberbürgermeister und der Amtsleiter heute auf einige Journalist:innen-Nachfragen (noch) keine Antwort parat hatten – auch nicht auf die Frage, von welchem Ausgangs- und Vergleichswert die Stadt eigentlich  ausgehe, wenn sie „bis zu zwanzig Prozent Energie einsparen“ will.

Zwei Stufen

Der nun vorgestellte Gas- und Energiesparplan der Landeshauptstadt enthält mehr als zwanzig Maßnahmen. Sie sind sehr unterschiedlich und lassen sich kurz-, mittel- oder langfristig umsetzen. Für die meisten Maßnahmen gibt es zwei Umsetzungsstufen. Da nicht absehbar ist, wie sich die Lage in den kommenden Monaten entwickelt, wurden keine harten Kriterien für den Übergang von Stufe 1 zu Stufe 2 definiert. So könne Wiesbaden flexibel auf Entwicklungen reagieren. Der Leitgedanke aller Maßnahmen sei: „Bei einer Energieverknappung leistet jede eingesparte Kilowattstunde Energie einen wertvollen Beitrag, egal, ob Gas oder Strom eingespart wird.“ Als eine besonders wirksame Maßnahme für alle nannte Andreas Rettig das Wassersparen.

Bei allen Maßnahmen unter Verantwortung der Stadt würden Gegebenheiten vor Ort berücksichtigt.  Auch die Bedürfnisse von Kindern, Senioren sowie kranken oder eingeschränkten Menschen würden berücksichtigt. Die Maßnahmen orientieren sich an angekündigten Vorgaben des Bundes. Die Stadt will die Effektivität der Maßnahmen fortlaufend prüfen und gegebenenfalls nachsteuern.

Die bisher beschlossenen Maßnahmen im Einzelnen:

Raumtemperaturen: Temperaturen in städtischen Gebäuden wie Schulen, kulturellen Einrichtungen und Sporthallen werden ab Beginn der Heizperiode gesenkt. Auf wieviel Grad, gibt der Bund wahrscheinlich vor. Für Arbeitsräume in öffentlichen Gebäuden sind 19 Grad Celsius für körperlich leichte und überwiegend sitzende Tätigkeiten angedacht. Das senkt den Energieverbrauch und soll sicherstellen, dass Gebäude bei Energieknappheit nicht geschlossen werden müssen. In Stufe 2 könnte sich das für bestimmte Einrichtungen nicht mehr vermeiden lassen. Denkbar wäre in Stufe 2 auch, lediglich Gebäudeteile zu schließen, vor allem, wenn sie besonders energieintensiv sind. In der Verwaltung werden weitere organisatorische Möglichkeiten ergriffen. So wird in Abstimmung mit den Personalvertretungen geprüft, inwieweit die Home-Office-Regelung über den Winter wieder flexibler genutzt werden kann. Selbstverständlich werden Ämter und Behörden weiterhin vor Ort präsent sein und ihren Versorgungsauftrag erfüllen. Das gilt insbesondere für die sozialen Bereiche sowie die direkten Bürgerdienstleistungen.

Beleuchtungen: Denkmäler und repräsentative Gebäude wie RMCC oder Kurhaus werden nicht mehr beleuchtet. In Wiesbaden ist es aus technischen Gründen nicht möglich, jede zweite Straßenlaterne abzuschalten. Ob das Dimmen von Straßenlaternen technisch möglich ist, wird aktuell geprüft. Eine Abschaltung von Ampeln und Parkleitsystemen ist vorerst nicht angedacht, da dies kaum Einsparungen bringt.

Bäder: In den Hallenbädern Kleinfeldchen, Mainzer Straße und Kostheim hat mattiaqua die Wassertemperatur seit April auf 26 Grad gesenkt. Eine weitere Absenkung für die sportorientierte Nutzung wäre möglich. Dabei orientiert sich mattiaqua an Vorgaben verschiedener Verbände. Sie empfehlen in Hallenbädern mindestens eine Wassertemperatur von 24 Grad Celsius. Ausgenommen davon sind Kinderbecken und Nichtschwimmerbecken. In Stufe 2 könnten Hallenbäder geschlossen werden, wenn es unvermeidbar ist. In Stufe 2 könnten auch die mit Gas beheizten Kaiser-Friedrich-Therme, das Thermalbad Aukammtal und weiterer Saunen geschlossen werden. Für Freibäder wurden keine Maßnahmen beschlossen, da die Saison demnächst endet. Wegen des heißen Wetters wurden und werden die Freibäder dieses Jahr nicht beheizt.

Lüftungsanlagen: Lüftungsanlagen sollen außer Betrieb genommen werden, vorausgesetzt die Pandemiebedingungen und Hygienevorschriften lassen es zu. Wie bei allen Maßnahmen werden auch bei dieser Besonderheiten berücksichtigt, insbesondere für Kindergärten und Schulen. Auch einige Sporthallen können nicht ausreichend über Fenster belüftet werden. Dort bleiben Lüftungsanlagen in Betrieb. Weitere Ausnahmen gelten für Sporthallen mit einem gekoppelten Heizungs-Lüftungssystem. Die Abschaltung ist aktuell bis zum Beginn der Heizperiode geplant, da eine Fensterlüftung zu einem erhöhten Heizbedarf führt. In Stufe 2 wird geprüft, ob während der Heizperiode die Abschaltung von Lüftungsanlagen wirtschaftlich ist.

Warmwasser: In öffentlichen Gebäuden sollen zentrale und dezentrale Wassererwärmungsanlagen wie Durchlauferhitzer abgeschaltet werden, vorausgesetzt dies ist mit der Trinkwasserhygiene vereinbar. Davon ausgenommen werden, voraussichtlich nach Bundesvorgaben, medizinische und Pflegeeinrichtungen, Kindertagesstätten sowie Einrichtungen, bei denen die Bereitstellung von warmem Trinkwasser für Nutzung oder Betrieb erforderlich sind.

Mittel- bis langfristig sind weitere Maßnahmen angedacht: Weiterhin werden Beleuchtungen nach und nach auf LED umgestellt, Gebäudetechnik wird ausgebaut, Heizungs- und Lüftungsanlagen werden optimiert, Bewegungsmelder installiert. Bereits im Herbst 2020 wurden das neue Bürgerbüro, das Rathaus und das Alte Rathaus/Standesamt an Fernwärme angeschlossen. Weitere Gebäude könnten folgen. Außerdem könnten Heizungsanlagen von fossiler auf regenerative Energie umgestellt werden. Auch bei ESWE Verkehr laufen umfassende Prüfungen über noch nicht ausgereizte Energiesparpotenziale., etwa die Umrüstung der letzten noch nicht umgestellten Werkstatthalle auf energiesparende LED-Lichttechnik sowie das Anpassen von Laufzeiten von Klima- und Lüftungsanlagen in allen Betriebs- und Verwaltungsgebäuden zu nennen. Weitere Maßnahmen, die mittel- und langfristig wirken sollen, werden derzeit geplant.