„Und sage auch bitte niemand der Teilnehmer mehr, er sei ja nur aus Sorge um seine Grundrechte mitgelaufen und habe mit den – verbalen und körperlichen – Gewalttätern nichts zu tun. So leicht darf sich niemand mehr herausreden“, hieß es kürzlich in einem Kommentar des Wiesbadener Kurier mit Blick auf die aktuellen Querdenker-Demonstrationen, die auch in Wiesbaden stattfinden. „Kein Platz für Verschwörungserzählungen und Antisemitismus in Wiesbaden“ sagt das „Wiesbadener Bündnis für Demokratie“ und ruft für diesen Samstag, 17. April, ab 13.30 Uhr zu einer Mahnwache auf dem Wiesbadener Bahnhofsvorplatz auf. Anlass ist der erneute Aufruf diverser Gruppierungen aus dem Spektrum der Corona-Leugner*innen zu einer Großdemonstration in Wiesbaden – mit unverhohlener Unterstützung durch Nazis und Rechtsextreme.
Der angekündigte Querdenker-inklusive-Rechtsextreme-Auflauf ist Teil einer bundesweiten Mobilisierung, mit der an diesem Tag in allen bundesdeutschen Landeshauptstädten demonstriert werden soll. „Die jüngsten Versammlungen dieser Art in Wiesbaden haben gezeigt, dass es sich bei einem Großteil der Teilnehmenden keineswegs nur um besorgte Bürger*innen handelt. Ein Großteil der Anwesenden leugnete die Existenz der Pandemie – häufig auf Basis von antisemitischen Verschwörungserzählungen“, so Bündnissprecher Sascha Schmidt. Die Nähe zu extrem rechten Gruppierungen und Parteien offenbarte sich immer wieder in Form von Reichskriegsflaggen, QAnonFahnen und der Anwesenheit von Anhänger*innen des (formal aufgelösten) ‚Flügel‘ der AfD, bis hin zu solchen der neonazistischen Partei „Der III. Weg“. Für die kommende Demonstration in Wiesbaden wirbt nun sogar der hessische Landesverband der NPD.
„Die Pandemie und die damit einhergehenden Beschränkungen sind für die meisten Menschen eine große Belastung. Regelungen lassen sich unterschiedlich bewerten und an der einen oder anderen Stelle ist sicher auch Kritik an politischem Handeln angebracht“, so Bündnissprecherin Nicole Nestler: „„Wir bitten jedoch eindringlich all jene, denen es um legitime sachbezogene Kritik an den Pandemiemaßnahmen geht, sich nicht mit demokratiefeindlichen, antisemitischen und verschwörungsideologischen Gruppierungen gemein zu machen“.
Rund 40 Wiesbadener Organisationen und Gruppen im „Bündnis für Demokratie“
Für die Mitglieder des Bündnisses – rund 40 Wiesbadener Vereine, Verbände, Organisationen, Gruppen und Vereine von Gewerkschaften, Kirchen oder Jüdischer Gemeinde über Volkshochschule sowie AStA, Stadtjugendring und Stadtschüler:innenrat bis zu CDU, Grünen, SPD, Linke, FDP – ist die Einhaltung der Abstandsregeln und das Tragen von Mund-Nasen-Maske im Rahmen der eigenen Versammlungen eine Selbstverständlichkeit ist. Zugleich erwartet das Bündnis von den Ordnungsbehörden, dass die Einhaltung geltender Hygienemaßnahmen bei den Corona-Leugner*innen dieses Mal deutlich konsequenter umsetzt wird, als zuletzt am 13. März in Wiesbaden. Auch diverse Wiesbadener Locations und Einrichtungen wie Schlachthof, Café Klatsch, Kreativfabrik und Sabot rufen zur Teilnahme am Protest auf, ebenso „Fridays for Future Wiesbaden“, die sich schon zuvor eindeutig von der Querdenken-Bewegung distanziert hatten. Wer in Anbetracht der Pandemie nicht teilnehmen möchte, kann mit dem Aushang von Plakaten oder ähnliches und in den sozialen Medien ein deutliches Zeichen setzen. Material, Sharepics etc. findet sich hier: https://www.dekanat-wiesbaden.de/…/download-bereich.html
„Omas gegen Rechts“ richten bestürzt Protestnote an OB und Bürgermeister
Die „Omas gegen Rechts“ sind fassungslos, dass die Veranstaltung – mit der „angekündigten Anreise von NPD-lern und anderen Neo-Nazis und Rechtsextremen“ – am Samstag in Wiesbaden überhaupt stattfinden darf und genehmigt wurde – anders als etwa in der benachbarten Landeshauptstadt Mainz, wo die Querdenker-Veranstaltung untersagt wurde: „Mit Bedauern und Bestürzung beobachten wir, dass die für den 17.04.2021 angekündigte Demonstration der Querdenker und Corona-Leugner in Wiesbaden trotz der sich verschärfenden epidemiologischen Lage weiterhin geplant ist“, schreiben sie in einer heute veröffentlichten Protestnote „in Sorge um Wiesbaden und das Wohlergehen unserer Mitbürger“ an Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende und Bürgermeister Dr. Oliver Franz, der Ordnungs- und Gesundheitsdezernent ist. Selbstverständlich sei das Demonstrationsrecht ein hohes Gut, das es zu schützen gelt. Dies dürfe aber nicht auf Kosten des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit geschehen.
Andere Städte verbieten Querdenker-Auflauf – warum nicht Wiesbaden?
„Wir befinden uns mitten in der dritten Welle der Corona-Pandemie. Der Bundestag berät in diesen Stunden über eine „Bundes-Notbremse“. Intensivmediziner schlagen Alarm und warnen, dass die Intensivbetten knapp werden und schon heute lebensrettende Krebsoperationen verschoben werden müssen. In dieser Situation mobilisieren Querdenker, die all dies nicht wahrhaben wollen, zu einem bundesweiten Aktionstag“, schreiben die „Omas gegen Rechts“ und verweisen auf andere Städte: „Dieser wurde in Halle, Leipzig, Stuttgart und unserer Nachbarstadt Mainz verboten, weil davon auszugehen sei, dass Regeln und Gesetze wie Abstand halten und Maskenpflicht nicht eingehalten werden.
Ihr Anliegen: „Wir fordern die Stadt Wiesbaden auf, angesichts der veränderten Situation zu prüfen, ob die Aktion der Gegner von Schutzmaßnahmen nicht auch in unserer Stadt verboten werden kann, ja muss.“ Sollte die Stadt entgegen ihrer Einschätzung weiterhin keine Handhabe für ein Verbot sehen, fordern sie, „dass die Ordnungsdienste entschieden und kompromisslos kontrollieren, dass alle Auflagen und Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie umgesetzt und eingehalten werden.“ Einer möglichen Eskalation müsse im Vorfeld konsequent vorgebeugt werden.
Bürgermeister antwortet „Omas gegen Rechts“ – Für Verbot „keine rechtliche Handhabe“
Bürgermeister Oliver Franz antwortete den „Omas gegen Rechts“ heute umgehend per Mail auf deren Protestnote. Er könne, so schreibt er, deren Sorge, gerade in Anbetracht der steigenden Inzidenzen, sehr gut verstehen. Die Versammlungsbehörde habe die Anmeldung auf Grundlage der neusten ergangenen Rechtsprechung geprüft. „Ich kann Ihnen versichern, dass die Versammlungsbehörde im Ordnungsamt ihre Aufgaben dabei sehr ernst nimmt und im gesetzlichen Rahmen handelt“, so Dr. Franz in dem Schreiben. Und weiter: „Die Gerichte sehen unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der insbesondere die Beachtung sämtlicher Umstände des Einzelfalls einschließlich des aktuellen Stands des dynamischen und tendenziell volatilen Infektionsgeschehens erforderlich macht, die Möglichkeit, versammlungsbeschränkende Maßnahmen, wie Versammlungsverbote zu verfügen.“ Das Versammlungsverbot als intensivster Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit käme nur in Betracht, „wenn mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen“.
„Die Versammlungsbehörde hat daraufhin neben den gängigen Auflagen (Maskentragepflicht/Abstandsregelung) eine maximale Teilnehmeranzahl von 1000 Personen für die angemeldete Versammlung verfügt“, lässt der Ordnungsdezernent wissen: „Für ein versammlungsrechtliches Verbot bestand keine rechtliche Handhabe.“ Er versichert: „Die Polizei und die Stadt werden bei der Versammlung Verstöße gegen die Auflagen jedoch konsequent ahnden und sanktionieren, um Bilder wie aus Kassel, Stuttgart oder Leipzig zu
vermeiden.“ Darüber hinaus habe die Stadt per Allgemeinverfügung für das kommende Wochenende Aufzüge generell untersagt und eine Teilnehmerobergrenze für alle Versammlungen auf maximal 2.000 Personen festgelegt.
Stadt begrenzt Teilnehmerzahl auf 2000
Die Polizei werde die maximale Teilnehmerzahl am Veranstaltungstag aufmerksam im Blick haben und an der Stadtgrenze sowie den Autobahnabfahrten rund ein Dutzend Vorkontrollen einrichten, heißt es in einer heute veröffentlichten Mitteilung,. Beim Erreichen der Höchstteilnehmerzahl würden anreisende Personen von den eingesetzten Beamtinnen und Beamten konsequent abgewiesen. Über den Twitter Kanal @Polizei_WH wird die Polizei am Samstag über die aktuellen Geschehnisse informieren.
Landespolitiker – zynische Veranstaltung ein Tag vor Corona-Gedenken
„Angesichts der vielen Toten, der ernsthaft erkrankten Menschen, die immer noch um die Rückkehr ins Leben kämpfen, und des Leides der Hinterbliebenen und Angehörigen ist es unverantwortlich von der sogenannten Querdenken-Bewegung und weiteren Gruppierungen am rechten Rand der Gesellschaft zu einer Demo vor dem Hessischen Landtag in Wiesbaden aufzurufen“, stellen die beiden Landesvorsitzenden von Bündnis 90/Die GRÜNEN, Sigrid Erfurth und Philip Krämer fest. Berichten zufolge soll in einschlägigen Telegram-Gruppen zum Marsch auf den Landtag aufgerufen werden. Der Querdenker-Aufzug wurde unter dem Motto „Demokratie bewahren, Existenzen retten“ von der Reisinger Anlage zum Hessischen Landtag angemeldet, jedoch von der Versammlungsbehörde der Stadt Wiesbaden lediglich als stationäre Kundgebung in der Reisinger Anlage genehmigt.
„Es ist geradezu zynisch, einen Tag vor dem Gedenktag für die Corona-Ofer, zu einer solchen Versammlung aufzurufen, bei der nach aller Erfahrung sämtliche Corona-Regeln missachtet werden“, schreiben die Grünen-Politiker. „Der Blick auf die Nachrichtenlage macht die dramatischen Entwicklungen auf den Intensivstationen klar und zeigt auf, das Ärzte und Pflegepersonal seit Monaten an der Kapazitätsgrenze und teilweise darüber hinaus arbeiten müssen. Wer dennoch zu Massenveranstaltungen aufruft, bei denen bewusst auf Gesundheitsvorkehrungen verzichtet wird, riskiert in der derzeitigen Situation die Überlastung unseres Gesundheitssystems und stellt sich außerhalb der gemeinsamen Verantwortung für unsere Gesellschaft. Mit Nachdenken hat das nichts mehr zu tun“, sind sich die Landesvorsitzenden einig.
Recherche zum „Schaulaufen der extremen Rechten“
Die Wiesbadner Gruppe „Rewiu“ hat Informationen zur verschwörungsideologischen Kundgebung am 13.03. und einen Ausblick auf die angekündigte Demonstration am 17.04. in dem aktuellen Rechercheartikel „Ohne Abstand zu Verschwörungsmythen: Resümierender Ausblick“ hier veröffentlicht. Neben Verschwörungsgläubigen unterschiedlicher Couleur erwartet Wiesbaden erneut auch ein Schaulaufen der extremen Rechten, schreiben sie: „Zuletzt waren nicht nur Anhänger der sog. „Reichsbürgerbewegung“ und regional bekannte Gesichter der extremen Rechten zugegen; auch Neonazis der Kleinstpartei „Der III. Weg“ sowie hessische Landtagsabgeordnete der AfD nahmen an der Kundgebung teil. Eine ähnliche Gemengelage ist auch für kommenden Samstag zu erwarten, zumal u.a. die NPD erneut dazu aufruft, nach Wiesbaden zu kommen.“ In den sozialen Medien wird unter dem Hashtag #Wi1704 über aktuelle Entwicklungen informiert.
(Dirk Fellinghauer/Bild Veranstalter)
Mehr zum Thema: Falk Fatal-Kolumne – Wie nur Verschwörung-Glaubenskrieger in die Wirklichkeit zurückholen?
…und wo bitte liegt dann die rechtliche Handhabe, um einer handvoll friedlicher Millenium-Kids mit Haltung ein erneutes „Nazi-Wegbassen“ zu verbieten? Die Waschlappen sollten doch froh sein, daß sich Wiesbadener Jugendliche öffentlich gegen diese „faschistoide Logorrhoe“ stemmen. Und eine feige Appeasement-Politik wie ’38 ausgerechnet bei den Omis kleinzureden… Aua!