Sascha Lobo hat nicht nur die markanteste Frisur unter den maßgeblichen Bloggern und gefragten Stimmen, wenn es um „das Internet“ geht. Der 1975 in Berlin geborene Multisassa steht auch für besonders prägnante, pointierte und unterhaltsame Aussagen rund um die digitale Welt. Sinn für´s Showgeschäft ist das eine, echte Substanz und Sachkenntnis das andere, was es immer wieder lohnend macht, Lobo zuzuhören – ob als Autor, Talkshowgast oder Vortragsredner. Oder als Interviewpartner. Zur Einstimmung auf seinen Wiesbaden-Besuch anlässlich der Aktionstage „Studentenfutter“ am Donnerstag im Kulturforum spricht Sascha Lobo im sensor-Interview mit Dirk Fellinghauer über Arglosigkeit im Netz, unfugige Werte-Bewertungen und die Vorzüge zünftiger Beschimpfungen.
Bringt das Internet die Menschen einander näher oder entfremdet es sie?
Weder noch, die Frage ist falsch gestellt. Das Internet bietet Instrumentarien und Möglichkeiten für beides, aber es hängt sehr von den Leuten selbst ab, wie es wirkt. Dieser Prozess ist viel, viel komplizierter und eineindeutiger, als ich selbst lange dachte. Oder gehofft habe. Außerdem ist es noch zu früh, um abschließend darüber zu urteilen. Ein Zwischenstand könnte aber lauten: das Internet kann soziale Beziehungen auf neue Weise sortieren und ordnen. Und dabei gibt es natürlich Leute, die positiver wegkommen und solche, die verlieren.
Du hast eine „Liste der deutschen Digitaldebakel“ veröffentlicht – gibt es denn gar nichts, was die Politik aus deiner Sicht auf diesem Feld gut macht?
Doch, sogar eine ganze Menge, wenn man den Leuchtturmquatsch mal weglässt. In der zweiten, dritten Reihe der Politik gibt viele Experten, die fleißig in die richtige Richtung arbeiten. Quer durch alle Parteien und Ministerien. Das Problem ist aber, dass die Politik Lob nicht besonders gut verträgt, das ist Teil des Problems. Daher verschweige ich meistens das Lob und konzentriere mich auf die Kritik.
Die Politiker befinden sich in bester Gesellschaft mit den Bürgern. Erstaunt dich die Arglosigkeit, mit der sich Menschen mitunter im Netz bewegen?
Nein, Arglosigkeit ist mein zweiter Vorname. Arglosigkeit ist keine Schwäche, sondern Voraussetzung für das Funktionieren einer offenen Gesellschaft. Erst mal nicht vom Schlimmsten auszugehen. Jedenfalls nicht, bis man einen Grund dafür hat. Allerdings braucht die Arglosigkeit den richtigen Begleitschutz. Würde man das mit einer etwas verbogenen Metapher erklären wollen, lautete sie so: Wenn man Auto fährt, muss man arglos davon ausgehen, dass die meisten Verkehrsteilnehmer einigermaßen vernünftig und aufmerksam sind. Trotzdem hat man eine Knautschzone, Airbags und sollte nur angeschnallt fahren.
Gibt es Länder, in denen der Weg in das und durch das World Wide Web gut gelingt?
Ehrlich gesagt weiß ich das nicht. Das, was man digitale Gesellschaft nennt, und was sich weltweit mal schneller und mal langsamer entwickelt, kann ich leider nur für Deutschland und die Vereinigten Staaten beurteilen, und dort überwiegen die Schwierigkeiten auf jeweils unterschiedliche Weise. Deren Entwicklung verfolge ich intensiv und versuche, eine tiefe Sachkunde zu entwickeln und zu behalten. Das ist so zeitaufwendig, dass ich die meisten anderen Länder viel zu wenig weiß. Ich würde gerne sowas sagen können wie „Wow, Korea kriegt’s super hin“ oder „Estland, der Kracher“. Das wäre aber anhand von kleinen Details bloß dahinvermutet.
Internet und Werte – passt das eigentlich zusammen?
Die eigentliche Frage lautet doch, Welt und Werte, wie passt das zusammen? Die Antwort darauf wird seit 3000 Jahren von klugen Frauen und Männern gesucht. So richtig beantwortet scheint sie mir noch nicht zu sein, aber man hat sich darauf geeinigt, dass es ganz ohne moralische Werte nicht geht, wenn man nicht Rupert Murdoch heißt.
Was ist das Internet dann am ehesten – ein Ort, wo herkömmliche Werte gelten, wo vielleicht ganz neue Werte entstehen oder ein Ort des Werteverfalls?
Nichts von dem und alles drei. Wie gesagt, das Internet ist ein eigener Kulturraum mit eigenen Regeln, aber Werte sind Zivilisationsbedingungen, die eigentlich unabhängig von Kulturräumen sein sollten. Allerdings scheinen sie sich jeweils anders auszuprägen. Abschließende Bewertungen sind da Unfug, also noch unfugiger als sonst.
In vielen Online-Diskussionsforen ist der Umgangston um einiges unhöflicher als im „echten“ Leben. Fühlst Du dich in Räumen der Beschimpfungen und Beleidigungen wohl?
Für mich persönlich ist eine zünftige Beschimpfung oft ehrlicher und besser als zum Beispiel passiv aggressives Schweigen. Aber wie gesagt, das ist meine eigene Sicht, verallgemeinern lässt sie sich nicht. Allerdings ist die Frage des Umgangstons eine, die häufig ganz falsch angegangen wird. Lass es mich so sagen: es ist nicht klar, ob das Verhältnis von Höflichkeit und Unhöflichkeit bei digitaler Kommunikation wirklich schlechter ist als bei nichtdigitaler. Es sticht nur deutlicher heraus. Aber ein Tag in der U-Bahn-Linie 9 in Berlin oder im Berufsverkehr morgens, und man ahnt, dass die Illusion der stets höflichen nichtdigitalen Welt eben das ist: eine Illusion, die im Kontrast zum Netz angewendet wird und sonst niemals.
Stimmst Du zu, dass eine große Gleichgültigkeit und Ignoranz in der Netzgemeinde herrscht, was die Auswirkungen des eigenen Handelns im Netz angeht?
Nein. Das ist ein Vorurteil. Die Netzgemeinde, also die 20.000 bis 50.000 selbstbeauftragten „Kämpfer“ in Deutschland für ein freies, offenes und sicheres Internet, die hat sicher einen Haufen Probleme. Gleichgültigkeit gehört so überhaupt nicht dazu. Ignoranz schon eher, aber auch nicht in Reinform. Häufiger in der abgewandelten Variante der absichtlichen Ignoranz, also des absichtlichen Ausblendens. Um die Gegenthese zu dieser Frage abzubilden: in der Netzgemeinde ist eine zufällig ausgewählte Person sachkundiger und bewusster im Umgang mit der digitalen Welt als zehn Leute aus der Bevölkerung zusammen. Wie gesagt, die Probleme sind andere, das Gefühl der Machtlosigkeit, mangelndes Geschichtsbewusstsein, abstruserweise auch geringe Vernetzung außerhalb der eigenen Szene.
Nehmen wir nur mal das Thema Energieverbrauch oder auch -verschwendung durch die Internetnutzung. Da kann es sein, dass User im Netz leidenschaftlich über Klimaschutz diskutieren, und gar nicht merken oder merken wollen, dass sie mit jedem Klick, mit jeder Suchanfrage, riesige Ressourcen verbrauchen.
Leben ist Ressourcenverbrauch. Das ist eine Frage der Prioritäten, und es ist albern, über Energie und Internet zu diskutieren, ohne das große Ganze zu sehen. Es ist ja nicht so, als hätten bisherige Kommunikationsformen keine Energie verbraucht. Es ist zwar richtig, dass da Netz der größte Stromverbraucher überhaupt ist, aber das so punktuell zu verknüpfen mit einer Diskussion im Netz ist unredlich. Dann müsste man auch darüber reden, dass das bequeme Bezahlen mit der EC-Karte auch nur durch die energieintensive Vernetzung möglich und also irgendwie schädlich ist. Und wenn man da anfängt, schließt man sich in eine Holzhütte in den Bergen ein und wird irgendwann zum UNA-Bomber.
Wie viel Zeit verbringst Du in welchen sozialen Netzwerken – und wofür?
Twitter, Twitter, Twitter, Facebook, Facebook, Youtube, Pinterest, tumblr. Der Rest wie etwa Instagram ist volatil. Die Gründe für meine dort verbrachte Zeit – insgesamt rund vier bis fünf Stunden am Tag – heißen Wissbegier, Erbauung, sozialer Austausch und Diskurs, Freunde & Freude sowie ritualisierter Unsinn und Humorsucht.
Ab wann sollten Kinder das Internet nutzen?
Keine Ahnung, das wissen die Eltern sicher besser. Die Kinder selbst wüssten es vermutlich sogar noch besser, aber deren eigene Meinung interessiert ja nicht besonders viele, bis sie sich Rasierklingen in Körperteile stecken oder komische Frisuren tragen.
Gibt es Momente, in denen Du sich in eine Zeit ohne Internet zurücksehnst?
Nein, aber selbst wenn, hätte das nichts mit dem Internet zu tun. Zu mir war das Internet letztlich immer gut, sogar, wenn es schlecht zu mir war. Insofern bin ich der falsche Adressat für prädigitale Nostalgieanfälle.
Sascha Lobo kommt Auftakt der Aktionstage „Studentenfutter“ mit Vortrag und Diskussion zum Thema „Wie das Netz die Gesellschaft verändert“ am Donnerstag, dem 14. November, um 19 Uhr ins Kulturforum am Schillerplatz / gegenüber Dern´sches Gelände (Eintritt frei). sensor präsentiert „Studentenfutter“ als Medienpartner.
http://saschalobo.com/ , https://www.facebook.com/studentenfutter.wiesbaden
– Foto (c) Reto Klar –