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Schenkt OB Mende reinen Wein ein? Der neue Genosse an der Rathausspitze stutzt die städtischen Bosse

Das Weinglas in der Hand von Neu-OB Gert-Uwe Mende ist eine Ausnahme zum Empfang vor dem Start der Rheingauer Weinwoche im Rathaus-Innenhof. Der neue Mann an der Rathausspitze geht in aller Regel sehr nüchtern – und wie sich nun zeigt, umso entschlossener – zur Sache.

Von Dirk Fellinghauer. Foto Thorsten Haun.

Reime mit seinem Namen mag der neue Wiesbadener OB so gar nicht. Aber Mende und Wende, das ist einfach ein Wortpaar, das sich aufdrängt, phonetisch wie politisch, sei es mit Ausrufezeichen oder mit Fragezeichen versehen. Oder auch mit Doppelpunkt. Eine Wende hat Gert-Uwe Mende nun – so eigentlich überfällig wie in dieser Frühzeitigkeit und Entschlossenheit überraschend – eingeleitet, noch mitten in seiner 100-Tage-Schonfrist. Eine längere Geschichte kurz zusammengefasst: Der Genosse stutzt die Bosse.

 

Die Bosse der städtischen Gesellschaften – und jene, die es dachten, demnächst zu werden – sind es, die sich warm anziehen können, wenn Mende das Angekündigte durchzieht, und diejenigen, die entscheidende Wörtchen mitzureden haben, mitziehen. Sein Anfang der Woche verkündeter „Vorschlag“ schlug gehörig ein und wurde zu dem (politischen) Gesprächsthema beim auf Hochtouren laufenden Weinfest – und natürlich auch über das Großereignis, das die Landeshauptstadt traditionell zehn Tage und Nächte lang in einen Ausnahmezustand versetzt, hinaus. Es geht um Aktuelles – die anstehende und teilweise schon beschlossene Besetzung von lukrativen Geschäftsführungsposten bei städtischen Gesellschaften mit bereits existierenden Personalvorschlägen, Evelyn Pflugradt  für die Wiesbadener Wohnungsbaugesellschaften GWW und GeWeWe, Thomas Dosch für die Wiesbadener Jugendwerkstätten WJW,  -, aber auch um Grundsätzliches und Zukünftiges.

Aktuelle Besetzungsverfahren stoppen

Die Kooperationsrunde, bestehend aus Vertretern des Rathaus-Bündnisses von SPD, CDU und Grünen, folgte den Vorschlägen Mendes – nämlich von der geplanten Bestellung eines zweiten Geschäftsführers der WJW abzusehen und vor  einer erneuten Ausschreibung zu prüfen, ob die Gesellschaft überhaupt zwei Personen in der Geschäftsführung benötigt sowie bei GWW und GeWeGe das Verfahren zur Besetzung des zweiten Geschäftsführungspostens zu stoppen und auf eine Stellenbesetzung zu verzichten und ebenfalls zunächst zu prüfen, ob die Unternehmen zwei Personen in der Geschäftsführung benötigen. Und schließlich: „Die vakante Stelle in der Geschäftsführung der WVV wird ausgeschrieben und das Besetzungsverfahren wird zunächst in die Hände einer externen Personalberatung gegeben, die dem Aufsichtsrat einen Vorschlag zur Besetzung allein aufgrund der Qualifikation unterbreitet.“

Neustart in verfahrener Situation

„Die Debatte der vergangenen Tage zeigt, dass allein ein Neustart geeignet ist, die verfahrene Situation zu bereinigen“, begründete der Oberbürgermeister sein Durchgreifen bei dieser Frage. Die Debatte wurde ausgelöst, weil die Personalvorschläge schon wieder nach „Parteibuch vor Qualifikation“ und damit nach einem „Weiter so“ rochen, wo doch im OB-Wahlkampf alle, inklusive Mende, einen Neustart in Sachen Compliance und Transparenz (unter anderem) bei bedeutenden Personalentscheidungen versprochen hatten. Auch innerhalb der Rot-schwarz-grünen Kooperation gab es Streit über einzelne Personalien. „Wenn Konsens erreichbar gewesen wäre, hätte ich die getroffenen Entscheidungen im Sinne einer konstruktiven Zusammenarbeit und der Kontinuität solcher Verfahren unabhängig von Direktwahlen mitgetragen“, gab Mende zu verstehen.

Ergebnisoffene und nachvollziehbare Auswahlverfahren  

Er betont, seine Vorschläge seien „kein negatives Urteil meinerseits über die Personen, die jetzt nicht berufen werden sollen“. Er habe keinen Zweifel an deren Integrität und Qualifikation. Aber: „Ein Neustart bietet die Chance, die von mir vertretenen Grundsätze bei der Auswahl von Geschäftsführungen ohne ‚Vorbelastungen‘ zu realisieren.“ Zunächst müsse geprüft werden, ob Gesellschaften überhaupt zwei Geschäftsführungen benötigen. Das Vier-Augen-Prinzip lasse sich auch über einen Prokuristen oder eine Prokuristin einhalten. Mende forderte „ein objektives und nachvollziehbares Auswahlverfahren , das ergebnisoffen zur Auswahl der am höchsten qualifizierten Person führt.“

Jeden Hauch parteipolitischer Einflussnahme ausschließen

Deutlich wird Mende bei der Frage einer Nachfolge-Besetzung für die Stelle des geschassten Ralph Schüler: „Für eine Besetzung der vakanten WVV-Geschäftsführung ist es im Sinne des Unternehmens, die als Holding eine zentrale strategische Rolle unter den städtischen Beteiligungen spielt, unabdingbar, dass nicht der Hauch einer parteipolitischen Einflussnahme entsteht.“ Deshalb werde er als Aufsichtsratsvorsitzender dem Aufsichtsrat vorschlagen, eine anerkannte Personalberatung mit der Vorbereitung der Besetzung einschließlich eines Personalvorschlags zu beauftragen.

So weit, so gut klingen die aktuell angekündigten und vorgesehenen Schritte, die natürlich nur ein Anfang sein können – es gibt noch einige offene Transparenz-Baustellen in dieser Stadt.  Das geplante Vorgehen wurde und wird allgemein und quer durch die Parteien begrüßt, aber auch von neuem Streit, etwa über die Urheberschaft der Transparenzoffensive, begleitet.

Der grüne Brief

Grünen-Fraktionschefin Christiane Hinninger war beim Besuch der „Fühle deine Stadt“-Schicht beim Weinfest erst mal so gar nicht gut drauf, weil der „grüne Brief“ ins Leere ging, konnte dann aber doch wieder herzhaft lachen.

Die Wiesbadener Grünen hatten einen offenen Brief an den OB mit der Überschrift „Neue Politik einleiten, Vertrauen schaffen“ geschrieben, in dem sie ordentliche Besetzungsverfahren der Führungspositionen städtischer Beteiligungsgesellschaften und die Einhaltung der Regeln des Beteiligungskodex forderten und detailliert die fragwürdigen Umstände der aktuellen Stellenbesetzungspläne darlegen. Dieser Brief hatte sich quasi schon vor der Veröffentlichung wieder erledigt, weil der OB genau das Geforderte zuvor bereits verkündet hatte. So folgte dann auch noch am gleichen Abend eine Pressemitteilung der Grünen mit der Botschaft: „Notbremse eröffnet Weg zu regelgerechtem Verfahren“, die „vollinhaltlich den seit Monaten geforderten Verfahrensweisen der Grünen Fraktion“ entsprächen, und der Erklärung zur Bereitschaft, „die Verfahrensvorschläge des Oberbürgermeisters zu den anstehenden Personalentscheidungen mitzutragen“.

„SPD begrüßt Einigung der Rathaus-Kooperation bei Geschäftsführerfragen“ war die Pressemitteilung von Mendes Parteifreunden im Rathaus überschrieben, in der die Parteivorsitzende Patricia Eck anmerkt, dass der Kompromiss nur ein Anfang sein könne, „um dauerhaft allein auf Qualifikation beruhende Stellenbesetzungen zu erreichen“. Der Fraktionsvorsitzende Hendrik Schmehl mahnte alle Beteiligten, „einen Schritt zurückzutreten“ und die neue Basis nicht mit öffentlichen und halb-öffentlichen Debatten darüber zu belasten, welcher Teil der Kooperation sich mehr durchgesetzt habe.

Freie Wähler/Bürgerliste-Fraktion relativiert und fordert mehr

Erfreut zeigte sich auch die Freie Wähler/Bürgerliste-Rathausfraktion. „Die Vergabe von Geschäftsführerposten in der Stadt war jahrelang mit parteipolitischen Interessen verknüpft“, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Christian Bachmann: „Diese Entscheidung war längst überfällig“. Bachmann spricht, dass sich Mende mit seinem Aufbrechen jahrelanger Praxis keinesweg nur Freunde machen dürfte: „Die Zustimmung der Kooperation erfolgt zähneknirschend“, mutmaßt er, „aber da einige Schäfchen bereits im Trockenen sitzen und eine Verweigerung ein fatales Zeichen wäre, ist ein neues Verfahren nun offenbar Konsens.“ Den Grünen nimmt Bachmann ihre Unschulds- und Aufklärer-Haltung nicht ab: „Die Grünen haben auch in der jetzigen Konstellation stets mitgemacht, wenn es um die Postenvergabe ging. Sich jetzt eine weiße Weste überziehen zu wollen, ist nicht überzeugend.“ Auch Mende nimmt  FW/BLW-Mann Bachmann in die Pflicht, (mindestens) einen Schritt weiterzugehen: „Ich hoffe, mit dem neuen Oberbürgermeister wird nicht nur in den Beteiligungen die Selbstbedienungsmentalität runtergefahren. Auch in der städtischen Verwaltung muss in Zukunft die parteipolitische Versorgungsarithmetik ein Ende haben.“