Von Martin Mengden. Bild Simon Hegenberg.
Es war einmal ein Mehrfamilienhaus in einer Wiesbadener Vorstadt. Darin wohnten mehr als zwanzig Parteien. Weil sich einige von ihnen zu Beginn nicht hatten leiden können und sogar immer wieder körperlich angegangen waren, hatten sie vor längerer Zeit einen gemeinsamen Hausvertrag vereinbart. Darin waren Regeln festgelegt worden, die allen Parteien zum Vorteil gereichen sollten. Die Hausgemeinschaft hatte daraufhin sogar ein gemeinsames Konto eingerichtet. Das führte dazu, dass sich die Nachbarn immer mehr in Ruhe ließen. Irgendwann begannen sie sogar, sich gegenseitig in ihren Wohnungen zu besuchen. Man wähnte sich auf einmal in einem Boot. Sogar die früher verfeindeten Alten fingen an, sich zu respektieren. Ihnen war klar geworden, wie viel angenehmer es doch ohne Streitereien, ohne Feindschaft war. Es war eine friedliche Zeit.
Dann, eines Tages, bekamen einige der Familien Geldsorgen. Die Gründe waren vielschichtig. Daraufhin beschloss die Hausgemeinschaft, die notleidenden Familien zu unterstützen. Vor allem der reichsten Großfamilie im Haus, Familie Schmidt, fiel das erst nicht leicht. Sie dachte an ihren Wohlstand. Dann dachte sie an die angenehme Ruhe, die sie so lange schon genossen hatten. Schließlich fiel ihr auf, dass die finanzielle Schieflage der Familien auf die gesamte Hausgemeinschaft würde überspringen können. Wenn das gemeinsame Boot leckt, dachte die Großfamilie damals, dann kann man nicht einfach auf seiner Seite des Bootes sitzen bleiben, nur weil sich das Leck auf der anderen Seite befindet. Damit war auch für die Großfamilie die Sache entschieden: Sie beteiligte sich an der Unterstützung der Familien, wollte aber mitbestimmen, wie die hilfsbedürftigen Familien in Zukunft mit ihrem Geld umgehen sollten. Es war allen klar, die Unterstützung war keineswegs uneigennützig.
Thomas Schmidt, der mittlere Sohn der Großfamilie, war über diese Entwicklung überhaupt nicht glücklich. Thomas war ein eher ängstlicher, sicherheitsbedürftiger Mensch, Risiken ängstigten ihn. Er dachte daran, dass alles doch auch ohne das gemeinsame Konto der Hausgemeinschaft geklappt hatte. Und dass sie früher auch nicht für die anderen mitdenken mussten. Hatten sie damals nicht auch mehr Geld übrig gehabt? Die vielen Menschen im Haus waren ihm ohnehin eher unangenehm. Und eines war für ihn klar, am meisten Leistung im Haus brachte seine Großfamilie. Das war schon immer so gewesen. Daraufhin beschloss Thomas, für seine Ansichten in seiner Familie zu werben. Er begann, Schilder in ihrer Vorgartenparzelle aufzustellen. Die malte er blau an, denn Blau war schon immer seine Lieblingsfarbe gewesen. Er malte außerdem Häkchen auf das Schild, denn das erinnerte ihn an seine bestandenen Klassenarbeiten. Dann schrieb er auf die Schilder richtig klingende Sätze wie „Vielfalt statt Gleichmacherei“ und „Mut zur Wahrheit“. Außerdem nahm er seine Amateurkamera und drehte mit einigen befreundeten Laiendarstellern ein Video. Darin ließ er seine Freunde empörte Nachbarn spielen, die er um ihr mühsam verdientes Geld fürchten ließ. Damit, das war ihm sonnenklar, würde er bei seiner Familie punkten.
Es kam anders. Helmut, der Vater von Thomas, war stinksauer. Mit rot angelaufenem Schädel ermahnte er seinen Sohn, an Opa Willi zu denken. Der war damals, bevor sich die Hausgemeinschaft zusammentat und als alle noch zerstritten waren, von einem Ausflug nicht zurückgekehrt. Wahrscheinlich war er von einem der Nachbarn umgebracht worden. Ob er das vergessen hatte, fragte Helmut lautstark seinen Sohn. Der spielte nur verlegen an seiner Armbanduhr. Das brachte den Vater erst richtig auf. Jetzt schrie er seinen Sohn an: „Du spuckst dem Bettler wahrscheinlich auch in seinen Becher, wenn er nicht Teil deiner Familie ist?!“
Auf einmal besann sich Helmut. Ihm war wieder eingefallen, dass sich sein Sohn Thomas in einer schwierigen Phase befand. Angststörungen plagten ihn. Es war eine Psychose, nur eine leichte zum Glück. Helmut streichelte seinen Sohn gutmütig über die Stirn. In der Nacht schlief dieser tief. Er hatte ausnahmsweise keine Albträume. Am nächsten Morgen übermalte Thomas die Schilder und löschte das Video.
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..soll das politische Bildung für Dummies sein?
Auf dem Kindergartenniveau wird uns inzwischen Europapolitik verkauft. Für wie Blöd hält man die Wähler eigentlich.