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Verborgene Welten: Englische Kirche – Frohe Botschaft ernst genommen

 

In diesen Tagen ist es äußerst heikel, etwas zum Thema Religion zu schreiben. Das Risiko, jemanden damit zu beleidigen, ist groß. Auch weil die Schwelle zum Beleidigt sein gerade oft sehr niedrig ist. Vielleicht sollten wir uns mal fragen, wieso das so ist. Das kann doch nicht nur am Wortlaut einer heiligen Schrift liegen. Ich glaube ja, jemand mit großem Selbstvertrauen ist weniger schnell beleidigt als jemand, der sich – aus gutem Grund? – latent übervorteilt fühlt. Angesichts seiner gesicherten Stellung in der Welt hat der Papst seinen Rechtsbehelf gegen die Pipi-Kutte auf dem Titanic-Titelbild, obwohl er damit zunächst ein Verbreitungsverbot erreichen konnte, immerhin großzügig zurückgezogen. Die Kirche ist nach jahrhundertelangem Dauerbeleidigtsein heute anscheinend nicht mehr ganz so schnell beleidigt. Oder nur kurz, und dann kann es so schlimm nicht sein.

Das mutet irgendwie richtig modern an. Vielleicht ist ja genau das der gewünschte Effekt. Sieht man mal großzügig von Islamismus, VatiLeaks und dem Kondomverbot ab, so stellt sich mir so oder so die Frage: Passen Religion und Moderne doch irgendwie zusammen? Unvermutet fand ich so etwas wie eine Schnittmenge aus beidem in der englischen Kirche in Wiesbaden.

Zur Beantwortung des großen „Wieso?“ hat ja jeder seine eigene kleine Mickey-Mouse-Philosophie. So auch ich, bei mir ist dabei die Rolle des Herrgotts aber noch unbesetzt. Ich bin also Atheist. Mich hat schon immer interessiert, was gläubige Christen von ungläubigen Menschen wie mir denken. Bin ich für sie so etwas wie ein Opfer des Zeitgeistes? Oder jemand, den die Erleuchtung schon noch treffen wird, spätestens am Sterbebett? Und ganz konkret: Werde ich aus der Kirche geschmissen, sobald meine Ungläubigkeit entdeckt wird?

Trotz oder gerade wegen dieser Gedanken wurde ich äußerst herzlich empfangen beim allsonntäglichen Gottesdienst in der Church of St. Augustine, wie die Englische Kirche offiziell heißt. Am Eingang bekam ich erst einmal drei (!) Wälzer in die Hand gedrückt, dann begann das bekannte Verfahren: Aufstehen, Hinsetzen, Singen und so weiter. Das kannte ich alles schon von den Kommunionsfeiern und Weihnachtsmessen. Erst einmal also nichts Neues unterm Christuskreuz.

Der Reverend hat mehr Humor als der ganze Vatikan

Dann wurde es aber richtig interessant, nämlich als sich die Unterschiede zu den katholischen Gemeinden, wie ich sie kenne, zeigten. In Ausdruck und Sprache erinnerte mich der US-amerikanische Priester, Reverend Tony Litwinski (erreichbar via Handy und E-Mail oder auch, sofern er die Freundschaftsanfrage akzeptiert, facebook), während der freien Predigt mehr an Steve Jobs als an Pater Werner aus St. Pölten, und zwar nicht nur deshalb, weil er in seiner Predigt auch (allerdings kritisch) vom iPad sprach. Außerdem war seine Kutte näher dran an einem Kapuzenpulli in oversize als an jenen einschüchternden Gewändern, die in ihrer heiligen Anmutung auch direkt dem Himmel entflogen sein könnten. Reverend Litwinski kündigte die Halloween-Party an, mit Bastelecke für die Kleinen, und versprach uns augenzwinkernd, beim kommenden gemeinsamen Gottesdienst mit der altkatholischen Gemeinde den deutschen Pfarrer zu übersetzen: „I will tell you what I think or wish he had said“. Mir wurde klar, der Mann hat mehr Humor als der ganze Vatikan. Überhaupt, die positive Stimmung hat mich überrascht.

Fairerweise sollte ich allerdings noch erwähnen, dass mich während der Zeremonie ein grippales Fieber heimsuchte. Vielleicht war meine Wahrnehmung durch die Tabletten etwas, nun ja, beschönigt. Andererseits, jetzt, zwei Tage nach dem Gottesdienst, ist die Grippe schon wieder vorbei. Ob da etwa der liebe Herrgott seine Finger im Spiel hatte?

Sollte ich irgendwann doch noch religiös werden, werde ich ernsthaft darüber nachdenken, der Church of St. Augustine of Canterbury beizutreten. Man frischt ja auch sein Englisch auf dabei.

The Church of St. Augustine of Canterbury / Frankfurter Straße 3 / 65189 Wiesbaden / Sunday Service 10.00 am

Martin Mengden, 27, Musiker, Flaneur und bekennender Jungjurist, öffnet in der Rubrik „Verborgene Welten“ Türen zu Wiesbadener Sub-Welten, durch die nicht jeder auf Anhieb gehen würde.

Foto Ben Schroeter