Von Martin Mengden. Foto Ben Schroeter.
Ich war noch nie in einer Thai Karaoke Bar. Ich wusste nicht einmal, wo es die gibt. Dass ich endlich mal eine betrete, verdanke ich einer Freundin, sie hat dort vor kurzem ihre Abschiedsparty gegeben (ich war nicht eingeladen). Dann ist sie zurück nach Wien gezogen. Sie feiert gerne und gerne gut. Auf Orte, an denen sie das tut, ist Verlass.
Ich stehe vor dem Eingang. Die Leuchttafel bestätigt: „Jit’s“. Entweder der Name des Besitzers oder ein Wortspiel, das ich nicht verstehe. Ich gehe durch die Tür und es erschließt sich eine Kellertreppe, wie man sie sonst nur von „Sauna“-Clubs oder anderen schäbigen, zu kleinen Nachtclubs kennt. Ein sanfter Geruch von Klostein. Unten betrete ich einen Raum, der einen sofort an diese merkwürdigen Vorort-Partykeller erinnert, die Eltern meines Erbenheimer Schulfreundes hatten so einen. An der Decke rot-weiße Herzluftballons, die gemeinsam ein großes Herz formen. Fähnchen an einer Leine wie im Rudervereinsheim. An der Wand Schallplatten, Fächer, ein barbusiges Fantasy-Pinup-Girl und einer dieser unerträglich geschwungenen Ikea-Spiegel. Die bestrahlte Diskokugel kreist einsam. Ich entdecke die Bar, die Tanzfläche und die Bühne dahinter, darauf das Pult des DJs. Er ist noch nicht da.
Die Freunde, mit denen ich da bin, suchen einen Tisch aus. Nur ein weiterer ist besetzt, von ungefähr zehn jugendlichen Thais. „Locals“ sozusagen – 80% der Gäste sind Thais. Die Stimmung ist jetzt ungefähr so wie vor einem Konzert, aber kurz nach dem Soundcheck: Ein merkwürdiges Dazwischen, alles ist vorbereitet, man braucht jetzt Publikum, das „bereit“ ist. Ich bin es.
Schwingende Hüften zum Herzschmerz-Vibrato
Endlich erscheint der DJ. Als der erste R&B-Hit aus den Proberaumboxen brüllt, es wird nicht der Letzte gewesen sein, brüllen auch die benachbarten Thais. Die Party beginnt. Der Erste ergreift das Funkmikro, steht auf (man kann auch sitzen bleiben) und seine Hüften schwingen schon zur ersten Strophe, die er etwas überambitioniert und mit dramatischstem Vibrato anstimmt. Mein erstes Vorurteil („Thailänder sind zurückhaltend“) ist von gestern, es wird nicht das Letzte gewesen sein. Am Ende hat sich der erste Star des Abends so sehr in den Herzschmerz hineingesteigert, dass er Höhen anstimmt, die im Lied nicht vorgesehen sind. Die Thais feiern ihn und wir ihn mit. Was für ein Einstieg. Wir bitten um das Liederbuch.
Es liest sich wie ein thailändisches Telefonbuch. Wir suchen nach rettenden englischen Worten, aber nur ganz selten sticht aus dem thailändischen Wörtermeer eines heraus wie Treibgut, „Big Ass“ zum Beispiel. Das hilft uns auch nicht weiter, also schreiben wir irgendwas auf unseren Wunschzettel, auf gut Glück. Jetzt füllen sich auch die restlichen Tische, vor allem mit G.I.’s. Ein amerikanisches Paar wird auf der einsamen Tanzfläche später einen filmreifen Slowdance vorführen. Was für eine Mixtur, thailändische Karaoke in einem deutschen Vorort-Partykeller, gefüllt mit Amerikanern. Sogar rauchen darf man. Die Karaoke-Maschine menschelt charmant weil unperfekt, mal fehlt der Text, mal singt noch einer vom Band mit (was allem irgendwie seinen Sinn nimmt). Dafür sind die Songs hinterlegt mit Videoclips, die aussehen wie russische Softpornos von 1982. Auf dem Höhepunkt des Abends wirbelt sich der DJ plötzlich geschätzte acht Girlanden um den Hals und befördert sich selbst zum Hauptact, er performt auf der Bühne, auf der Leinwand hinter ihm performt seinerseits, zur Wirkungsverdopplung, eine Art Thai-Santana.
Ich spreche mit der Besitzerin. Sie weiß jetzt, dass ich etwas schreiben werde, man versorgt uns mit freiem Tequila. Mit zweifelhaftem Genuss stürze ich den wulff’schen Tequila herunter und überlege, was wohl mein Tequila gewesen wäre, wäre die Bar Spanien und ich eine Rating-Agentur.
Das Beste an der Bar ist vielleicht: Würde man jemandem die Augen verbinden, ihm anschließend einen Flug vorgaukeln und ins „Jit’s“ führen, er hätte keine Ahnung, wo er ist. Eine Enklave. Je reviendrai.
Jit’s Thai Karaoke Bar / Mauritiusstraße 14 / 65183 Wiesbaden / täglich bis 4 Uhr morgens.
Martin Mengden, 26, Musiker, Flaneur und bekennender Jungjurist, öffnet in der Rubrik „Verborgene Welten“ regelmäßig Türen zu Wiesbadener Sub-Welten, durch die nicht jeder auf Anhieb gehen würde.