Von Dirk Fellinghauer. Fotos CDU Wiesbaden/privat.
Nach der rassistischen Terrortat von Hanau gab und gibt es viele Mahnwachen und Gedenkveranstaltungen. Richtig. Wichtig. Selbstverständlich. Ein Wiesbadener CDU-Ortsverein hat einen ganz anderen Weg gewählt, um seine Solidarität zu zeigen. Richtig. Wichtig. Nicht selbstverständlich. Und deshalb so bemerkenswert. Der Vorstand der CDU Biebrich besuchte wenige Tage nach dem Anschlag spontan zwei Shishabars am Rheinufer. Und wurde mit offenen Armen empfangen. Am Ende waren alle um einige Erfahrungen und Einsichten reicher – und um einige Vorurteile ärmer.
Ein bisschen mulmig war es Renate Kienast schon, sich auf den Weg in die Shishabar zu machen. „Wir wussten ja nicht, wie die Leute dort reagieren würden“, berichtet die 72-Jährige gegenüber sensor. Sie macht keinen Hehl daraus, dass sie bisher auch eher Vorbehalte hatte: „Ich habe das etwas kritischer gesehen.“ Das Urgestein der Biebricher CDU – 14 Jahre lang Ortsvereinsvorsitzende und bis heute Stellvertreterin, außerdem seit 2009 Mitglied der Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung – zögerte aber nicht lange, mitzugehen: „Ich wollte es wissen, weil ich dachte, die Sache ist ernst“, schildert sie ihre Gemütslage unter dem Eindruck der Tat in Hanau: „Zuallererst ging es darum, zu zeigen, dass es uns sehr leid tut, was passiert ist. Und mir war es wichtig, zu sagen: Liebe Leute, wir sind hier in Biebrich. Wir stehen hinter euch und verabscheuen, was passiert ist, ganz egal, was sonst ist.“
Vorurteile abgebaut
„Wir wollten mit ihnen reden und nicht über sie“, bringt Kienast die Absicht der Aktion auf den Punkt. Die Idee dazu hatte Kienasts Nachfolgerin als Biebricher CDU-Vorsitzende, Vanessa Diehl (3. von rechts). „Es war eine ganz spontane Idee“, erzählt sie sensor: „Ich dachte – Meine Güte, wir haben hier in Biebrich auch Shishabars. Da könnten auch meine Kinder sitzen, wenn so etwas passiert“, so die 50-jährige Mutter dreier Kinder im Alter von 16, 23 und 25 Jahren. Ihr Vorschlag stieß in der WhatApp-Gruppe des CDU Biebrich-Vorstands auf beste Resonanz, und so besuchte eine achtköpfige Gruppe die Shisha Lounges Maymun und Medusa, beide in der Rheingaustraße direkt am Biebricher Rheinufer gelegen. Und beide manchen Biebrichern ein Dorn im Auge – zu Unrecht, wie beide CDU-Frauen nach ihren Ausflügen in für sie bisher komplett unbekanntes Terrain unisono meinen. „Wir haben Vorurteile abgebaut“, zeigt sich Vanessa Diehl glücklich über die Erfahrung: „Die Geschäftsführer beider Lounges waren nett, aufgeschlossen, gesprächsbereit und sehr angetan von unserer Anteilnahme“.
Begegnung hilft gegen Oberflächlichkeit
„Wir waren zu oberflächlich – auf beiden Seiten“, gesteht Renate Kienast ein und animiert dazu, vermehrt aufeinander zuzugehen. Und dabei auch offen miteinander umzugehen. „Wir wissen, dass es Probleme gab und gibt“, berichtet Kienast, dass auch Kritisches angesprochen wurde. Autoposer, Lautstärke, Streits, Polizeieinsätze, bis hin zu Razzia und Schießereien – das war das, was in letzter Zeit von und über die Biebricher Shishabars in die Schlagzeilen geriet. Auch darüber habe man mit den Gastgebern gesprochen. „Ein Geschäftsführer sagte zum Beispiel, dass er Leute, die er vorher beim `Autoposen´ beobachte, in seinen Laden gar nicht hereinlasse“, erzählt Diehl.
Keine einmalige Aktion: „Wir bleiben dran!“
Wo sie schon mal da waren, haben die so unerwarteten wie willkommenen Gäste natürlich auch das Shisharauchen ausprobiert. „Eine interessante Erfahrung“, meint die CDU-Seniorin, zur Gewohnheit soll es aber nicht werden: „Ich habe die 68er mit dem Hasch überstanden, da muss ich jetzt nicht als 72-Jährige mit Shishas anfangen“, scherzt die gebürtige Nürnbergerin. Besuche der Biebricher Shisha Lounges sollen hingegen sehr wohl zur Gewohnheit werden: „Das soll keine einmalige Aktion bleiben“, sind sich Kienast und Diehl einig und beide fest entschlossen, im Gespräch zu bleiben: „Wir bleiben dran!“.
CDU plant Stammtisch in der Shishabar
Weitere Besuche seien geplant, auch mal ein CDU-Stammtisch in der Shishabar. Und umgekehrt wolle man die Shishabar-Geschäftsführer am Biebricher Weinstand vorstellen, an dem einige der Stammgäste oft gegen die Shishabars wetterten – ohne jemals eine besucht zu haben. „Wir haben beide zur Eröffnung des Weinstands – alljährlich im Frühjahr ein Biebricher Großereignis – eingeladen, und sie werden kommen“, freut sich Diehl. Sie selbst kann dem Shisharauchen auch nach dem Eintauchen in die für sie bisher komplett fremde Welt nichts abgewinnen, wohl aber ihr Mann: „Er war so angetan, dass er sich jetzt eine Shisha anschaffen will für die Terrasse zuhause.“ Besuche von Shishabars kann Diehl hingegen nur empfehlen: „Es hat überhaupt nicht weh getan“, fasst sie den Abend mit einem Schmunzeln zusammen. Und im Ernst: „Es fruchtet sehr, wenn man miteinander ins Gespräch kommt und Brücken baut.“ Eine Botschaft des Abends soll sein: „Wir lassen uns von Terror, egal in welcher Form, nicht einschüchtern. Im Gegenteil: Wir rücken zusammen.“
Shisha Lounge bedankt sich für „Austausch auf Augenhöhe“
Die positive Erfahrung des Abends beruht auf Gegenseitigkeit. Die Maymun Shisha Lounge bedankte sich via Facebook „recht herzlich bei der Partei CDU Wiesbaden für ihren Besuch am Freitagabend“ und schreibt: „Das auf Ihre Initiative hin stattgefundene Gespräch war ein Austausch auf Augenhöhe. Vielen Dank dafür. Diese Art von Kommunikation kann gewiss einer Menge von Missverständnissen zuvorkommen oder sogar ganz aufheben. Das ist die Verhaltensweise, die wir uns wünschen, auch von anderen Politikern. Sie machen es vor.“ Während sich die Wiesbadener CDU mit Reaktionen auf die Initiative laut Diehl „bisher sehr bedeckt hält“, gab es Anerkennung über Parteigrenzen hinweg. „Eine tolle Aktion“, lobte per Facebook-Kommentar auf der CDU Biebrich-Seite Wiesbadens SPD-Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende. Ein Geschäftsmann kommentierte: „Das allgemeine, undifferenzierte Shishabar Bashing in der letzten Zeit nervt gewaltig. Eine schöne Aktion in eine andere Richtung.“